Tintenherz – wie 3D-Drucker die Medizin revolutionieren

3D-Drucker druckt menschliches Herz

3D-Drucker sind aus der modernen Medizin kaum noch wegzudenken. Schon heute versorgen die High-Tech-Geräte Patienten mit passgenauen Prothesen oder Kronen für die Zähne. Doch längst experimentieren Forscher auch mit lebenden menschlichen Zellen. Das Ziel: Organe aus Biotinte.

Von Christian Parth

 

  1. Bioprinting als Lebensretter – große Hoffnungen, ernüchternde Realität
  2. Zahnimplantate aus dem 3D-Drucker – vieles ist schon heute Normalität
  3. Das komplizierte Bioprinting-Verfahren – Drucken mit menschlichen Zellen
  4. 100 cm² Haut aus dem 3D-Drucker – hergestellt in 35 Minuten
  5. Mehrere Milliarden Zellen werden für eine Leber als „Rohmaterial“ benötigt
  6. 3D-Drucker als wichtiger, medizinischer Helfer für bemannten Marsmissionen

Michael Gelinsky urlaubte gerade in Rom, als ihn die bahnbrechende Nachricht erreichte. Ein Forscherteam aus Israel hatte mit einem 3D-Drucker erstmals ein Herz aus menschlichem Gewebe erzeugt. Die Meldung eilte durch die ganze Welt, eine medizinische Sensation. Auch er sei zunächst verblüfft gewesen, sagt Gelinsky, Leiter des Zentrums für Translationale Knochen-, Gelenk- und Weichgewebeforschung an der TU Dresden.

Er studierte das Papier, das die Wissenschaftler im April 2019 zusammen mit der Präsentation des Prototyps veröffentlicht hatten. Es folgte Ernüchterung. Das Herz war nicht größer als eine Kirsche und hatte nahezu keine Funktionalität. Zwar seien Herzmuskelzellen mit eingedruckt worden, doch das Gewebe sei so fest gewesen, dass eine Kontraktion schlicht nicht möglich war, sagt Gelinsky. Kurzum: Das Wunderherz war viel zu klein und konnte nicht schlagen.

Bioprinting als Lebensretter – große Hoffnungen, ernüchternde Realität

Die Hoffnungen, die auch bei medizinischen Innovationen auf dem 3D-Druck liegen, sind riesig. Knochen, Gewebe, Knorpel, sogar Organe – alles, so die Vision, soll irgendwann individuell, nach Form und Größe dem Patientenbedarf angepasst ausgedruckt und verpflanzt werden. Gerade bei Organen könnte das Bioprinting mangels Spender zum Lebensretter werden.

Schwerkranke Patienten wären nicht mehr auf Priorisierung und Vergabe durch die Organbanken angewiesen. Herz, Leber und Nieren kämen ganz einfach aus dem Drucker, „on demand“ produziert. Doch Meldungen wie die vom Miniherzen würden oft „Hoffnungen wecken, die dann wieder enttäuscht werden müssen“, sagt Gelinsky, der seit zehn Jahren im Bereich des medizinischen 3D-Drucks forscht. „Die Realität ist weitaus nüchterner.“

Zahnimplantate aus dem 3D-Drucker – vieles ist schon heute Normalität

Doch auch die Realität ist bereits voller Erfolgsgeschichten. Vor allem da, wo es nicht um lebendes Gewebe geht. „Bei der Herstellung von maßgeschneiderten

Implantaten beispielsweise gehört der Einsatz von 3D-Druckern schon seit einigen Jahren zum Standard“, sagt Gelinsky.

Die Zahntechnik nutzt die Technologie zur Produktion von Kronen und Brücken, die nicht nur besser passen, sondern obendrein zumeist kostengünstiger sind. In der Chirurgie können mit gedruckten Teilen aus Titan, Keramik oder dem Kunststoff PEEK Löcher im Schädelknochen passgenau geschlossen werden.

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„Ich bezweifle, dass das zu meinen Lebzeiten noch geschehen wird.“

Michael Gelinsky, Leiter des Zentrums für Translationale Knochen-, Gelenk- und Weichgewebeforschung an der TU Dresden, über das Bioprinting, das Drucken mit menschlichen Zellen.

Zahnimplantat aus dem 3D-Drucker

Auch bei der OP-Vorbereitung im Krankenhaus ist der 3D-Drucker zum wichtigen Unterstützer geworden. Am Universitätshospital in Basel wird vor komplizierten Operationen auf Grundlage von Röntgen- oder MRT-Bildern ein dreidimensionales Modell erstellt.

„Gerade wenn Fachmediziner aus unterschiedlichen Disziplinen beteiligt sind, können sie sich mit Hilfe des Modells absprechen und besser planen“, sagt Gelinsky. Auch die Operationszeit kann durch die Vorbereitung zum Teil deutlich verkürzt werden.

Vor allem Länder, in denen die medizinische Infrastruktur eher schlecht ausgebaut ist, dürften große Hoffnungen an die 3D-Drucktechnologie knüpfen. So könnten an entlegenen Orten chirurgische Geräte ausgedruckt werden, die dort standardmäßig nicht vorhanden sind.

Manche Hersteller haben ihre Druckvorlagen für Handprothesen frei zugänglich ins Netz gestellt, damit auch Patienten in Entwicklungsländern oder in Krisengebieten davon profitieren.

Das komplizierte Bioprinting-Verfahren – Drucken mit menschlichen Zellen

Wirklich kompliziert wird das 3D-Druckverfahren, wenn menschliche Zellen ins Spiel kommen. Bioprinting nennt man die Technologie, in die gerade weltweit viel Zeit und Geld investiert wird. Das Prinzip ist einfach erklärt: Statt den 3D-Drucker mit herkömmlichen Materialien zu füttern, nimmt man so genannte Biotinte, also lebende Zellen, vermischt mit einem Hydrogel.

Bioprinting-Experte Gelinsky hat mit seinem Team ein viel beachtetes Verfahren entwickelt. Mit einer Kombination aus Knochenzement, Hydrogel, Knochen- und Gefäßzellen können sie ein lebendes Knochentransplantat drucken, das speziell bei der Behandlung von Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte eingesetzt werden könnte.

„Wir haben damit im Labor schon sehr gute Ergebnisse erzielt“, sagt der 52-Jährige.

100 cm² Haut aus dem 3D-Drucker – hergestellt in 35 Minuten

Auch bei der Herstellung von Haut – etwa für Verbrennungsopfer – könnte das Bioprinting eine gute Alternative zur herkömmlichen Züchtung sein. Beim so genannten Tissue Engineering werden dem Patienten Hautzellen entnommen und dann im Labor vermehrt. Der Nachteil: Die Herstellung großer Flächen kann mitunter Wochen dauern.

Viel schneller schafften das spanische Wissenschaftler mit dem Bioprinting-Verfahren. Ihnen war es 2017 erstmals gelungen, menschliche Haut zu drucken. Sie setzten dem Drucker Injektoren mit Nährlösung ein, in denen die Zellen und Biomoleküle der verschiedenen Hautschichten schwammen. In nur 35 Minuten produzierten die Forscher aus Madrid 100 Quadratzentimeter Haut.

Bei Mäusen, denen sie das Gewebe transplantieren, sei sie problemlos angewachsen, berichteten die Forscher damals. „In beiden Fällen war die mittels Drucker erzeugte Haut der normalen menschlichen Haut sehr ähnlich und nicht von auf herkömmliche Weise im Labor produzierten zweischichtigen Hautstücken zu unterscheiden.“

Mehrere Milliarden Zellen werden für eine Leber als „Rohmaterial“ benötigt

Noch komplizierter werde es, wenn es um die Herstellung komplexer Systeme gehe, sagt Gelinsky. Organe wie die Leber müssten präzise und in sehr hoher Auflösung gedruckt werden. Nach derzeitigem Stand der Technik würde man etwa eine Woche brauchen, um eine Leber herzustellen, die für den menschlichen Organismus groß genug wäre.

So lange aber könnte man die Leberzellen während des Druckvorgangs nicht am Leben halten. Sie würden absterben. Zudem bräuchte man für Produktion gleich mehrere Milliarden Leberzellen, die man aber nicht einfach so beschaffen könne.

Und noch ein Problem bereitet den Forschern Kopfzerbrechen: Die Organe müssten ein funktionierendes Gefäßsystem enthalten, durch das Blut zirkulieren kann. Die Gefäßwände der Adern müssten – so wie die menschlichen Originale auch – für den Austausch von Sauerstoff und Nährstoffen durchlässig sein.

„All diese Anforderungen können derzeit noch nicht erfüllt werden“, sagt Gelinsky. „Und ich bezweifle, dass das zu meinen Lebzeiten noch geschehen wird.“

Forscher arbeiten mit 3D-Drucker

3D-Drucker als wichtiger, medizinischer Helfer für bemannten Marsmissionen

Doch nicht nur auf der Erde setzt man auf Biofabrikation aus dem 3D-Drucker. Gelinsky und sein Team von der TU Dresden haben im Auftrag der Europäischen Weltraumagentur ESA für bemannte Mond- und Marsmissionen geforscht. Den Wissenschaftlern ist es gelungen, Zellstrukturen auch „kopfüber“ zu drucken, was dort wichtig wird, wo es keine Schwerkraft mehr gibt.

Und sie haben eine auf Blutplasma basierende Biotinte entwickelt. „Wenn ein Astronaut eine Notfallbehandlung braucht, kann er dafür schlecht zurück zur Erde“, sagt Gelinsky. „Der 3D-Drucker könnte liefern, was es braucht, um ihm das Leben zu retten.“ Das nötige Plasma für den Druck würde dann der Astronaut einfach vor Ort spenden. 

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