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Alzheimer: Neue Arzneien sollen am Ursprung des Leidens ansetzen

Menschen mit einer beginnenden Alzheimer-Erkrankung und deren Angehörige können auf neue Wirkstoffe hoffen. Die Medikamente bekämpfen erstmals nicht nur die Symptome, sondern auch mögliche Ursachen der Demenz. Inwieweit sie den Alltag der Betroffenen aber tatsächlich erleichtern, dürfte individuell sehr verschieden sein. Zudem sind sie längst nicht für alle Alzheimer-Patientinnen und -Patienten geeignet.

Schädliche Ablagerungen lassen die Nervenzellen sterben

Alzheimer ist eine beängstigende Erkrankung. Sie beginnt zwar meist mit harmlosen Symptomen, die von gewöhnlichen Alterserscheinungen kaum zu unterscheiden sind. Man verwechselt vielleicht einmal die Namen der Enkel, verlegt den Haustürschüssel oder vergisst einen wichtigen Arzttermin. Nach und nach jedoch finden sich die Betroffenen immer weniger im Alltag zurecht, verändern ihr Wesen und scheinen zunehmend aus der Welt zu gleiten.

Schuld daran ist ein leises Sterben der Nervenzellen im Gehirn, das bislang unaufhaltsam ist. Ausgelöst wird es wahrscheinlich durch schädliche Ablagerungen in und zwischen den Zellen. Die derzeit gängigen Alzheimer-Medikamente können allenfalls die Symptome der Erkrankung etwas lindern, nicht aber den Untergang der Nervenzellen stoppen. 

„Schuld daran ist ein leises Sterben der Nervenzellen im Gehirn.”

Die neuen Medikamente richten sich gegen die Ablagerungen

Gleich drei neue Wirkstoffe sollen den Betroffenen und ihren Angehörigen – für die eine Erkrankung oft mindestens so belastend ist – nun neue Hoffnung geben. Zwei von ihnen, die Antikörper Lecanemab und Donanemab sind bereits zugelassen. Lecanemab kann in Deutschland seit September 2025 verabreicht werden. 

Kürzlich wurde auch Donanemab als Alzheimer-Therapie offiziell zugelassen. Die europäische Arzneimittelagentur EMA (European Medicines Agency) hatte diesen Wirkstoff bereits im Juli 2025 zur Zulassung empfohlen. Beide Medikamente richten sich gegen die berüchtigten Plaques, die vermutlich krank machenden Amyloid-Ablagerungen zwischen den Gehirnzellen.

Ein dritter Wirkstoff namens Blarcamesin wird derzeit von der EMA geprüft. Ein entsprechender Antrag des Herstellers liegt der Behörde seit Dezember 2024 vor. Blarcamesin ist kein Antikörper, sondern zählt zu den Small Molecules – den kleinen Molekülen. Diese können in Zellen eindringen und dort gezielt biologische Prozesse beeinflussen.

Blarcamesin soll die Autophagie, eine Art zelluläre Müllabfuhr, anregen. Somit werden nicht nur die Plaques, sondern auch die für Alzheimer ebenfalls typischen Tau-Fibrillen im Inneren der Nervenzellen abgebaut. Bei ihnen handelt es sich um faserartige Strukturen des Tau-Proteins, die die Kommunikation der Zellen ähnlich wie die Plaques beeinträchtigen und wahrscheinlich zu deren Sterben beitragen.

Stoppen oder gar heilen lässt sich die Erkrankung trotzdem nicht

Insbesondere die beiden Antikörper waren in vielen Medien zuletzt oft heroisch gefeiert worden. Doch es gibt gute Gründe, die Erwartungen an sie nicht allzu hoch anzusetzen. „Aus wissenschaftlicher Sicht handelt es sich bei den Medikamenten zwar durchaus um einen Durchbruch“, sagt Dr. Linda Thienpont von der Alzheimer Forschung Initiative (AFI). „Mit ihnen scheint endlich das zu gelingen, was man schon so lange versucht hat: die Amyloid-Plaques im Gehirn zu zerstören.“

„Beide Antikörper können die Krankheit weder aufhalten noch heilen, sondern allenfalls ihren Verlauf um ein paar Monate hinauszögern.”

Für die Betroffenen allerdings seien die Wirkstoffe keine bahnbrechende Innovation: „Beide Antikörper können die Krankheit weder aufhalten noch heilen, sondern allenfalls ihren Verlauf um ein paar Monate hinauszögern“, erläutert Thienpont. „Und ob das im Alltag überhaupt spürbar ist, bleibt abzuwarten.“ In den Studien, die – nach längerem Hin und Her – schließlich zu den Zulassungsempfehlungen seitens der EMA geführt hatten, gibt es zu dieser Frage nur unzureichende Informationen. 

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Vor Beginn der Behandlung warten zahlreiche Untersuchungen

Hinzu kommt, dass sowohl Lecanemab als auch Donanemab nur dann wirken, wenn sie in einem ganz frühen Stadium der Erkrankung verabreicht werden, wenn oft noch gar keine gesicherte Diagnose vorliegt. Um herauszufinden, ob die Betroffenen tatsächlich an einer beginnenden Alzheimer-Demenz oder deren Vorstufe – der leichten kognitiven Störung – leiden, seien neuropsychologische Tests, eine MRT-Aufnahme des Gehirns sowie eine Untersuchung des Nervenwassers notwendig, erklärt Professor Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

Und das ist noch nicht alles. Denn Betroffene, die ein erhöhtes Risiko für gefährliche Nebenwirkungen haben und die Antikörper deshalb gar nicht erhalten dürfen, müssen schon vor Beginn der Therapie identifiziert werden – was weitere Untersuchungen mit sich bringt. „Hierfür ist eine genetische Diagnostik und eine Analyse von Gefäßrisikofaktoren erforderlich“, sagt Berlit. 

„Zu Begleiterscheinungen der Antikörper gehören Hirnschwellungen und Hirnblutungen.”

Zu den gravierendsten Begleiterscheinungen der Antikörper gehören Hirnschwellungen und Hirnblutungen. „In den Zulassungsstudien hat man herausgefunden, dass Menschen mit zwei Kopien des ApoE4-Gens ein erhöhtes Risiko für diese gefährlichen Nebenwirkungen haben“, berichtet Thienpont. 

Deshalb dürfen die Medikamente ausdrücklich nur solchen Patientinnen und Patienten verabreicht werden, bei denen höchstens eine Kopie dieses Risikogens vorliegt. Darüber hinaus eignet sich der neue Wirkstoff nicht für Menschen, die Gerinnungshemmer einnehmen müssen.

Die Antikörper werden alle zwei Wochen per Infusion verabreicht

Der Neurologe und Neurowissenschaftler Professor Klaus Fließbach vom Universitätsklinikum Bonn und vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn ergänzt, auch die Behandlung selbst sei sehr komplex und aufwendig: Neben den vorausgehenden Untersuchungen seien vor Beginn und im weiteren Verlauf der Therapie regelmäßige MRT-Kontrollen des Gehirns notwendig, um mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen.

Die Gabe der Antikörper erfolgt in Form von Infusionen, die alle 14 Tage in spezialisierten Zentren, den Gedächtnisambulanzen, in eine Vene verabreicht werden. „Während der Infusion sowie mindestens mehrere Stunden danach müssen die Patientinnen und Patienten im Krankenhaus überwacht werden“, sagt Fließbach. Eine weitere Sicherheitsauflage der EMA besteht darin, dass alle Menschen, die Lecanemab erhalten, an einem EU-weiten Register teilnehmen müssen, in dem unter anderem sämtliche Nebenwirkungen festgehalten werden.

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Nicht einmal jeder zehnte Erkrankte kommt für die Therapie in Frage

Den Risiken und auch dem Aufwand gegenüber steht ein Nutzen, der zumindest als überschaubar bezeichnet werden kann: „In den Zulassungsstudien für Lecanemab wurde zwar gezeigt, dass die Erkrankung bei den Teilnehmenden, die den Antikörper erhielten, langsamer voranschritt als in der Gruppe, die ein Placebo bekam“, sagt Thienpont. 

Bei den Patientinnen und Patienten, die das neue Medikament jetzt tatsächlich erhalten können, habe sich der geistige Abbau nach 18 Monaten im Durchschnitt aber nur um 31 Prozent verlangsamt. Dazu zählen also Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder beginnender Alzheimer-Demenz, die höchstens eine Kopie des ApoE4-Gens tragen.

„Nach einer Einschätzung des IQWiG erfüllt nur etwa einer von hundert Menschen alle Voraussetzungen für die Behandlung mit Lecanemab.”

Wie viele Betroffene hierzulande überhaupt für einen Therapieversuch infrage kommen, ist noch unklar. Nach einer Einschätzung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) erfüllt nur etwa einer von hundert Menschen mit einer Alzheimer-Demenz alle Voraussetzungen für die Behandlung mit Lecanemab. Das wären in Deutschland rund 12.000 Erkrankte. 

Berechnungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) kommen hingegen auf rund 73.000 Patientinnen und Patienten. Diese Zahl gilt jedoch als optimistische Obergrenze. In der Praxis werde sie vermutlich deutlich niedriger sein, auch wegen der begrenzten ärztlichen Kapazitäten, heißt es auf den Internetseiten der AFI. 

Die alten Medikamente werden weiterhin benötigt

Die bislang verfügbaren Wirkstoffe werden somit auch künftig ihren Stellenwert in der medikamentösen Alzheimer-Therapie nicht verlieren. „Das liegt nicht nur daran, dass die meisten dementen Menschen für eine Behandlung mit Antikörpern gar nicht geeignet sind, sondern auch daran, dass diese Medikamente in Zukunft wahrscheinlich zusammen mit den Antikörpern gegeben werden“, sagt Thienpont. Auch in den Zulassungsstudien hatten die meisten Teilnehmenden gleichzeitig die bisherigen Alzheimer-Arzneien weiter eingenommen.

Zu diesen gehören insbesondere die Acetylcholinesterase-Hemmer und die Glutamat-Antagonisten. Erstere – die Wirkstoffe Donepezil, Rivastigmin und Galantamin – verbessern die Signalübertragung im Gehirn, indem sie den Abbau des Botenstoffs Acetylcholin hemmen. Alle drei kommen bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz zum Einsatz. 

Ist die Krankheit weiter fortgeschritten, kann der Wirkstoff Memantin verordnet werden. Es schützt die Nervenzellen vor einer Überstimulation durch den Botenstoff Glutamat. Mögliche Nebenwirkungen all dieser Antidementiva sind unter anderem Übelkeit, Durchfall, Schwindel und Unruhe.

Ein pflanzlicher Wirkstoff, der die kognitiven Funktionen von Menschen mit Alzheimer ebenfalls unterstützen kann, ist Ginkgo biloba. Er gilt als gut verträglich, beeinflusst aber die Wirkung einiger anderer Medikamente, weshalb seine Einnahme stets ärztlich abgeklärt werden sollte. Darüber hinaus können Neuroleptika und Antidepressiva den Alltag der Betroffenen und ihrer Angehörigen zuweilen erleichtern.

Auch nicht-medikamentöse Therapien helfen dementen Menschen

Fast immer ist es sinnvoll, eine medikamentöse Therapie durch andere Behandlungsansätze zu ergänzen – etwa ein spezielles Gedächtnistraining oder eine körperliche und soziale Aktivierung, bei der Menschen mit Demenz in Bewegung und Kontakt zu anderen kommen. „Auch solche Maßnahmen können das Wohlbefinden der Erkrankten stärken und deren Selbstständigkeit meist länger erhalten“, sagt Thienpont. Manchmal sei ihre positive Wirkung sogar stärker als die der Medikamente.

Wenn Sie erfahren möchten, wie man Alzheimer vorbeugen kann, lesen Sie den Artikel Alzheimer – So kann man Demenz vorbeugen: https://www.envivas.de/magazin/gesundheitswissen/demenz-vorbeugen 

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Dr. Linda Thienpont

Expertin

Alzheimer Forschung Initiative (AFI)

Anke Brodmerkel

Autorin

Anke Brodmerkel hat Biologie und Chemie studiert und lange für die Berliner Zeitung als Medizinredakteurin gearbeitet. Sie lebt mit ihrer Familie nahe Flensburg und schreibt über alle Aspekte zum Thema Gesundheit – für Zeitungen, Magazine und Online-Portale. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie während eines zweijährigen Segeltörns durch Europa.