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Schutz vor digitalem Stress: Was bringen Blaulichtfilterbrillen ?

Mal ehrlich: Wer kennt das nicht? Nach Feierabend noch schnell mit Freunden WhatsApp austauschen, Instagram, Snaps ansehen, die spannende Serie auf dem Laptop – und plötzlich liegt man wieder viel zu spät im Bett. Die Augen brennen, der Kopf pocht. Schuld daran sollen – glaubt man Werbung und Social Media – die „schädlichen“ blauen Lichtwellen aus Smartphones und Bildschirmen sein. Blaulichtfilterbrillen werden als Rettung angepriesen.

Blaulichtfilterbrillen sollen unsere innere Uhr schützen und digitale Erschöpfung lindern. Immer mehr Menschen setzen im Alltag auf solche Brillen – in der Hoffnung auf besseren Schlaf oder entspanntere Augen. Aber was ist wirklich dran? Wie reagiert unser Körper auf Licht – ob natürlich oder künstlich? Und was sagt die Forschung dazu?

Natürliches Licht als Taktgeber

Blaues Licht ist kein Phänomen der Technik – es ist ganz natürlich. Tageslicht enthält das komplette Farbspektrum, wobei tagsüber der Blauanteil überwiegt und abends abnimmt. Das beeinflusst unsere innere Uhr: Der sinkende Blauanteil signalisiert dem Körper, Melatonin auszuschütten – was uns auf den Schlaf vorbereitet.

„Die natürliche Veränderung von Spektrum und Intensität ist ein entscheidender Unterschied zu künstlichem Licht“, erklärt Dr. Larissa Wüst, Psychologin am Zentrum für Chronobiologie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.

„Der sinkende Blauanteil signalisiert dem Körper, Melatonin auszuschütten – was uns auf den Schlaf vorbereitet. ”

Eine Schlüsselrolle spielen dabei besondere Sinneszellen im Auge, die mehr können als nur Sehen. „Im menschlichen Auge gibt es neben Stäbchen und Zapfen weitere spezielle Zellen – sogenannte ‚intrinsisch-photosensitive retinale Ganglienzellen‘“, sagt Dr. Wüst. „Sie reagieren besonders stark auf blaues Licht und senden Signale an den Nucleus suprachiasmaticus – unsere innere Uhr im Hypothalamus.“ 

Diese sogenannte „Master Clock“ koordiniert eine Vielzahl physiologischer Prozesse – vom Blutdruck über die Körpertemperatur bis zur Hormonfreisetzung, darunter auch die Melatonin-Ausschüttung und die Schlafregulation. Schon wenig blaues Licht am Abend kann dies verzögern – und damit den Schlaf. 

Licht wirkt aber nicht nur auf den Schlaf. Zu wenig Tageslicht – etwa in dunklen Jahreszeiten oder bei Schichtarbeit – kann auch Stimmung, Leistung und Immunsystem beeinflussen. Tageslicht wirkt dabei nicht nur aktivierend, sondern stabilisiert auch langfristig unseren biologischen Rhythmus. Wer zu wenig davon abbekommt, läuft Gefahr, dauerhaft aus dem Takt zu geraten.

Künstliches Licht – der ewige Tag aus der Steckdose?

„Morgens ist Licht vorteilhaft, da uns damit die Information ‚Tag‘ vermittelt wird. Am Morgen ist die Sensibilität für Licht erhöht, und die innere Uhr passt sich täglich an den externen Tag-Nacht-Rhythmus an. Daher wird beispielsweise auch Lichttherapie bevorzugt am Morgen durchgeführt“, erklärt Dr. Larissa Wüst.

Künstliches Licht, vor allem aus LEDs und Bildschirmen, liefert konstant hohe Blauanteile – unabhängig von der Tageszeit. „Künstliches Licht ist rund um die Uhr verfügbar und verändert sich in der Regel nicht“, sagt Dr. Wüst. Das bringt unsere innere Uhr aus dem Takt, denn unser Körper bekommt das Signal: Es ist noch Tag. 

Besonders morgens und abends kann das negative Folgen haben: Schlafenszeiten verschieben sich, der Schlaf wird kürzer und weniger erholsam. Ein Grund dafür ist, dass unser Körper auf Blauanteile besonders sensibel reagiert – auch bei geringer Lichtintensität.

„LEDs und Bildschirme senden ständig blaues Licht – besonders morgens und abends kann das unsere innere Uhr stören, den Schlaf verkürzen und weniger erholsam machen. ”
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„Daher kann sich künstliches Licht insbesondere in den Morgen- und Abendstunden besonders stark auf die innere Uhr und den Schlaf auswirken“, warnt Wüst. Das Problem ist hausgemacht: Wir verbringen heute viel mehr Zeit in Innenräumen und vor Bildschirmen – besonders abends. Smartphones, Tablets und Co. senden ständig Lichtsignale, die das Melatonin ausbremsen. Unsere innere Uhr wird regelrecht überlistet – mit spürbaren Folgen für Schlaf, Wohlbefinden und Gesundheit.

Blaulichtfilterbrillen: Was sie (nicht) leisten

Klingt praktisch: Brillen mit Spezialbeschichtung sollen blaues Licht herausfiltern, Augen entspannen und den Schlaf fördern. Doch was sagt die Wissenschaft? 

„Insgesamt gibt es bislang eher wenig Forschung zu Blaulichtfiltern in Brillen“, erklärt Dr. Wüst. „Die Ergebnisse der vorhandenen Studien sind gemischt, manche Studien finden positive Effekte von Blaulichtfilterbrillen auf den Schlaf, andere wiederum nicht. Daher kann man zum aktuellen Zeitpunkt nicht davon sprechen, dass ein Effekt wissenschaftlich nachgewiesen wäre.“ Hinzu kommt: Auch sogenannte Placebo-Effekte oder eine veränderte Mediennutzung können Einfluss auf das Empfinden haben – unabhängig vom Filterglas.

Für die Mehrheit der Menschen bringen solche Brillen bisher keinen nachweisbaren Vorteil. Subjektive Verbesserungen können auch auf andere Faktoren zurückgehen – etwa bessere Entspiegelung oder bewussteren Umgang mit digitalen Medien. Die Studienlage ist uneinheitlich, der Nutzen individuell.

„Die Ergebnisse der vorhandenen Studien sind gemischt, manche Studien finden positive Effekte von Blaulichtfilterbrillen auf den Schlaf, andere wiederum nicht.”

Blue-blocker-Brillen: Wann Filter wirklich wirken

Normale Blaulichtfilter haben ihre Grenzen – aber eine Sonderform sticht hervor: Blue-blocker-Brillen mit stark oranger Tönung. Sie filtern besonders viel blaues Licht und haben sich in Studien als hilfreich erwiesen – vor allem für sogenannte „Spättypen“, also Menschen, deren innere Uhr später tickt.

„Für diese Gruppe konnten positive Effekte gezeigt werden, wenn sie früher schlafen mussten, als ihr natürlicher Rhythmus vorgibt“, erklärt Dr. Wüst. Die Brille hilft dabei, den Melatoninrhythmus der inneren Uhr etwas nach vorne zu verschieben – und damit schneller einzuschlafen. Gerade für Berufstätige mit frühem Start kann dieser gezielte Einsatz hilfreich sein. „Blue-Blockers werden auch beispielsweise von Leistungssportlern zur Reduktion des Jetlags bei einer Reise über mehrere Zeitzonen genutzt, um die innere Uhr zu ‚verschieben‘“, so Dr. Wüst weiter.

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„Blue-Blocker-Brillen mit oranger Tönung filtern besonders viel blaues Licht und können den Melatoninrhythmus vorverlegen. ”

Licht bewusst nutzen – besser als jede Brille

Ob mit oder ohne Filter: Entscheidend ist der richtige Umgang mit Licht. „Die Veränderung von Spektrum und Intensität des natürlichen Lichts ist ein entscheidender Unterschied zu künstlichem Licht“, erinnert Dr. Wüst. Wer tagsüber viel natürliches Licht aufnimmt, stabilisiert seine innere Uhr. 

Abends gilt: Weniger ist mehr. Bildschirmzeit reduzieren, Nachtmodus aktivieren, Räume dimmen – und idealerweise eine Stunde vor dem Schlafengehen keine digitalen Geräte mehr nutzen. 

„Integrierte Filtermodi wie ‚Night Shift‘ oder ‚Blau-Licht-Reduktion‘ in Smartphones können sinnvoll sein, um abends die Lichtintensität zu senken“, sagt Wüst. „Aber man sollte keine Wunder erwarten – oft ist nicht nur das Licht das Problem, sondern auch die Inhalte, die wir konsumieren.“ 

„Integrierte Filtermodi wie ‚Night Shift‘ oder ‚Blau-Licht-Reduktion‘ in Smartphones können sinnvoll sein, um abends die Lichtintensität zu senken”

Auch Ernährung spielt eine Rolle: „Es kann hilfreich sein, die täglichen Mahlzeiten in einem Zeitfenster von maximal elf Stunden einzunehmen“, so Dr. Wüst. Zwischen Abendessen und Zubettgehen sollte eine längere Pause liegen – nicht wegen der Kalorien, sondern wegen des Rhythmus. Neben Licht zählt auch der zeitliche Rahmen von Gewohnheiten wie Essen, Bewegung oder Medienkonsum zu den „Zeitgebern“, die unsere innere Uhr beeinflussen. Solche Maßnahmen lassen sich einfach umsetzen – und wirken oft besser als jede Spezialbrille.

Blaulichtfilterbrillen im Alltag: Investition mit Augenmaß

Wer eine Blaulichtfilterbrille ausprobieren will, muss nicht tief in die Tasche greifen: Einfache Modelle starten bei etwa 35 Euro, Zusatzfilter beim Optiker kosten meist 25 bis 50 Euro pro Glas, wenn ohnehin eine Brille verschrieben ist. Doch Vorsicht vor falschen Erwartungen: Abgesehen von speziellen Blue-blockern sind die meisten Modelle eher Lifestyle-Produkte. Sie bieten subjektiven Komfort – aber keinen garantierten Schutz. 

„Die wirksamste „Schutzbrille“ bleibt der verantwortungsvolle Umgang mit Licht. ”

„Künstliches Licht insbesondere in den Morgen- und Abendstunden kann sich besonders stark auf die innere Uhr und den Schlaf auswirken“, betont Dr. Wüst erneut. Die wirksamste „Schutzbrille“ bleibt der verantwortungsvolle Umgang mit Licht. Die Kombination aus Tageslicht, bewusster Bildschirmzeit und einem entstörten Lichtumfeld vor dem Schlafengehen ist die wirksamste Strategie für gesunde Augen und guten Schlaf.

Maßnahmen gegen die abendliche Belastung mit Blaulicht

  • Tageslicht tanken: Schon tagsüber auf eine ausreichende Lichtexposition achten
  • Bildschirmzeit einschränken oder auf Nachtmodus umschalten
  • Abendrituale: Lichtintensität am Abend (auch im Badezimmer) reduzieren
  • Räume am Abend bewusst dimmen, möglichst eine Stunde vor dem Schlafengehen keine digitalen Geräte mehr verwenden
  • Augen relaxen mit der 20-20-20-Regel: Alle 20 Minuten für 20 Sekunden auf etwas in etwa sechs Meter (20 Fuß) Entfernung blicken, was die Augenmuskulatur entspannt

Fazit: Licht verstehen

Blaues Licht ist ein natürlicher und lebenswichtiger Regulator unseres Biorhythmus, wenn es zur richtigen Zeit kommt. Tagsüber macht es wach und leistungsfähig. Das moderne künstliche Licht – speziell in den Abendstunden – kann die innere Uhr aus dem Takt bringen und den Schlaf beeinträchtigen. „Bei anhaltenden Schlafproblemen sollte man sich in ärztliche Abklärung begeben“, rät Dr. Wüst. „Gerade wenn ständige Müdigkeit oder starker Leidensdruck bestehen.“ 

Blaulichtfilterbrillen bringen gesunden Menschen bislang keinen klar belegten Vorteil hinsichtlich Augenbelastung oder Schlafqualität. Eine Ausnahme bilden spezielle Blue-blocker-Brillen, die „Spättypen“ beim Einschlafen helfen können. Die beste Strategie bleibt simpel – aber wirkungsvoll: Mehr Tageslicht, weniger Bildschirmzeit, gedimmtes Licht am Abend. 

„Mit Hilfe von künstlichem Licht am Abend suggerieren wir unserem Körper einen längeren Tag, was sich negativ auf die Einschlafzeit und -dauer auswirken kann“, sagt Dr. Larissa Wüst. Wenn wir das beachten, steht einer erholsamen Nacht nichts mehr im Wege – und die Blaulichtfilterbrille wird zur Ergänzung, nicht zur Notwendigkeit.

Quellen

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Dr. Larissa Wüst

Experte

Psychologin am Zentrum für Chronobiologie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel

Robert Danch

Autor

Robert Danch studierte Kommunikationswirtschaft und Germanistik. Nach einem Verlagsvolontariat bei der „Süddeutschen Zeitung“ baute er dort den Online-Auftritt der „SZ“ mit auf und war danach in Köln bei DuMont unter anderem für die Online-Redaktionen verantwortlich. Als Fachautor schreibt er über neue Medien und Trends im Gesundheitswesen.