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Volkskrankheit Depression: Symptome und Therapieformen

Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe wird in Deutschland jedes Jahr bei 5,3 Millionen Menschen eine Depression diagnostiziert. Mehr als jede zehnte Frau ist davon betroffen – mehr als doppelt so viele wie Männer. Die Ergebnisse sind jedoch irreführend. Denn dass Depression eine frauentypische Krankheit ist, wird zunehmend in Frage gestellt. Vielmehr geht man heute davon aus, dass die Krankheit bei Männern häufig gar nicht erst erkannt wird. 

Das hat fatale Konsequenzen. Etwa drei Viertel der jährlich knapp 10.000 Suizide in Deutschland werden von Männern begangen – meist infolge einer depressiven Krankheit. Dabei könnten viele Fälle verhindert werden.

Diagnose: Wie erkenne ich Depressionen?

Das Problem bei der Diagnose einer Depression ist ein althergebrachtes: „Männer reden immer noch ungerne über ihre Gefühle“, sagt Anne-Maria Möller-Leimkühler. Die Soziologin an der Universitätsklinik in München forscht seit Jahren über die Unterschiede zwischen depressiven Männern und Frauen. Sie hat herausgefunden, dass allein das traditionelle Rollenverständnis zu unterschiedlichen Symptomen führen kann. „Psychische Probleme werden von Männern als Schwäche gedeutet und passen nicht in das allgemeine Bild des starken Mannes.“ Deshalb gestehen sich Männer Gefühle gar nicht erst ein und neigen dazu, sich abzulenken. Sie stürzen sich in den Sport oder in die Arbeit. „Manche zeigen sich sehr gereizt, werden schnell aggressiv oder sind hyperaktiv.“ Nicht selten flüchten sie sich in übermäßigen Internet- oder Alkoholkonsum. Dass sich dahinter eine handfeste Depression verbergen kann, wissen die wenigsten.

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Frauen hingegen fällt es leichter, über seelische Leiden zu reden und suchen selbstverständlicher nach Hilfe. In den meisten Fällen berichten sie über anhaltende Antriebslosigkeit und Traurigkeit, klagen darüber, ständig müde zu sein und die Freude selbst an schönen Dingen verloren zu haben. Sie werden von Selbstzweifeln und Schuldgefühlen geplagt, sind weinerlich und übernächtigt.

Auch Männer kennen solche Beschwerden. Sie gehen deshalb aber nicht unbedingt zum Arzt. Falls Männer eine Praxis aufsuchen, äußern sie eher körperliche Beschwerden. Auch die könnten wichtige Hinweise liefern, müssten aber richtig interpretiert werden. Dazu bräuchte es mehr männersensible Ärzte, wie Möller-Leimkühler es formuliert. Bislang verlaufen die Begegnungen alles andere als optimal: „Treffen ein männlicher Arzt und ein männlicher Patient aufeinander, fallen die Gespräche in der Regel sehr kurz aus.“ Es werden Fragen gestellt, die mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden können. Sorgen oder Ängste sind kein Thema.

„Außerdem weiß längst nicht jeder Allgemeinmediziner, dass auch Männer depressiv sein können“, gibt Möller-Leimkühler zu bedenken. Weil die Depressionsforschung bislang überwiegend anhand weiblicher Probanden durchgeführt wurde, sind vielen Ärzten, wenn überhaupt, nur die frauentypischen Symptome bekannt. So fallen Männer schlichtweg durch das Diagnoseraster. Selbst wenn sie die gleichen Beschwerden wie Frauen zeigen: Sie erhalten seltener eine Depressionsdiagnose. Denn die Stereotypen sind auch im Weltbild vieler Mediziner immer noch fest verankert. Das muss sich ändern, denn so langsam stellt sich heraus: Männer sind mindestens genauso gefährdet, an einer Depression zu erkranken wie Frauen. Einiges spricht dafür, dass sie sogar anfälliger sind.

Risikofaktoren für Depressionen

Die wunden Punkte der Männer sind seit jeher dieselben. Männer definieren sich vornehmlich über den sozialen Status und die Leistungsfähigkeit. „Leben sie allein, lassen sie sich scheiden, haben permanent Probleme im Beruf oder verlieren ihren Job, treibt das ihr Depressionsrisiko viel deutlicher in die Höhe als bei Frauen“, erklärt Möller-Leimkühler. Männer halten sich in diesen Situationen für sehr belastbar, sind es aber nicht. Experimentelle Studien belegen, dass Männer stärkere psychobiologische Reaktionen auf Stress zeigen als Frauen. Sie weisen zum Beispiel ein höheres Niveau des Stresshormons Cortisol auf. Außerdem schütten Männer bei Stress mehr Adrenalin- und Testosteron aus, was Energie für „Kampf und Flucht“ freisetzt. Das heißt, Männer verhalten sich in dieser Situation riskanter – zum Beispiel im Straßenverkehr. Sie tendieren dazu, sich selbst oder anderen zu schaden.

Frauen sind hingegen anfälliger für Stress, der aus engen sozialen Beziehungen rührt, sind aber biologisch besser gegen Stress geschützt. „Sie reagieren subjektiv viel empfindlicher und suchen unter anderem dank vermehrter Ausschüttung des Hormons Oxytocin den Austausch und die Nähe zu anderen.“ Sie sind so in der Lage, Stress abzumildern oder sogar ganz abzubauen.

Die genetische Disposition spielt zwar bei beiden Geschlechtern eine Rolle, ist aber nicht ausschlaggebend. „Es müssen im Laufe des Lebens mehrere Belastungen zusammenkommen, die unsere Fähigkeit überschreiten, Stress zu bewältigen.“

Was passiert, wenn Depressionen nicht behandelt werden?

Über eines sollten sich Männer wie Frauen im Klaren sein: „Die Krankheit kann tödlich verlaufen, wenn sie nicht behandelt wird“, sagt Möller-Leimkühler. Depressionen führen Betroffene häufig in eine Abwärtsspirale. Sind sie zunächst mit ihrem beruflichen Alltag überfordert, verlieren sie später unter Umständen ihren Job. Das Leben zu meistern, wird zu einer wachsenden Herausforderung. Depressive Menschen werden zudem anfällig für andere Krankheiten: „Alkoholabhängigkeit oder Herz-Kreislauf-Störungen, Diabetes oder Schlaganfall können die Folge sein.“ 
Im schlimmsten Fall nehmen sich Betroffene das Leben. Die höhere Selbstmordrate bei Männern ist für Möller-Leimkühler ein starker Beleg dafür, dass die Dunkelziffer depressiver Männer hoch sein muss. Die Krankheit wird zu selten erkannt. Von Laien und von Fachleuten. 

Therapie: Wie werden Depressionen behandelt?

Grundsätzlich können Verhaltenstherapien bei Männern genauso effektiv sein wie bei Frauen. Doch die Behandlung geht noch nicht in dem Maße auf männerspezifische Konflikte ein, wie es nach Ansicht von Möller-Leimkühler geboten wäre. Einzel-, aber auch Gruppensitzungen seien oft noch von Frauen dominiert. Alle Beteiligten sollten sich bewusst werden, wie sehr die normative Erwartung die Genesung beeinflussen kann. „Gerade Männer mittleren und höheren Alters sind noch von einer gewissen soldatischen Männlichkeit geprägt.“ Deswegen stellen Männer für Psychotherapeuten eine besondere Herausforderung dar. Sie sind weniger motiviert und kritischer als Frauen – und wollten auf keinen Fall die Kontrolle abgeben. „Machen statt quatschen“ sei ihre Devise.

„Männer müssen vor allem mehr Geduld mitbringen und nicht zum Arzt gehen wie zu einer Autoreparatur“, mahnt die Wissenschaftlerin. Es braucht Zeit, bis sich Besserung einstellt. Auch die Vorbehalte gegenüber Medikamenten ist bei Männern ausgeprägter. Es gibt einige Vorurteile, die es laut Möller-Leimkühler unbedingt zu korrigieren gilt. „Viele haben Angst, dass sich die Persönlichkeit durch Antidepressiva verändert.“ Dabei sei das Gegenteil der Fall: „Die Persönlichkeit wird durch die Depression verändert. Antidepressiva räumen mit dem biochemischen Chaos im Gehirn auf.“ 

Selbsttests helfen dabei, Anzeichen zu erkennen

Einige Plattformen wie die Deutsche Depressionshilfe bieten Selbsttests an. „Sie ersetzen zwar nicht die ärztliche Diagnose, aber es ist ein erster Schritt, um sich über die eigene emotionale Lage klar zu werden“, sagt Möller-Leimkühler. Allerdings werde in vielen Fragebögen immer noch ausschließlich nach konventionellen Anzeichen gefragt. Vielleicht könnten solche Überprüfungen trotzdem dazu führen, dass Männer früher professionellen Rat suchen. Sie melden sich oft erst, wenn die Krankheit schon fortgeschritten ist. „Schwere Depressionen sind aber auch schwerer zu behandeln.“

Vorsorge: Freundschaften, Sport und gute Selbstfürsorge

Allmählich schleift sich das Image des unverletzlichen Mannes ab. Das ist zumindest die Hoffnung, die angesichts der nachwachsenden Generation aufkommt. „Jüngere Männer achten mehr auf ihre Bedürfnisse und tauschen sich ungenierter über ihre Gefühle aus“, hat Möller-Leimkühler beobachtet. Das allein kann schon helfen. Wer vorsorgen will, der sollte außerdem auf ausreichend Entspannung, Sport und gesunde Ernährung achten. Möller-Leimkühler warnt aber im gleichen Atemzug davor, sich und sein Leben andauernd optimieren zu wollen. Besser sei es stattdessen, auch mal alle Fünfe gerade sein zu lassen. Insbesondere den Männern rät sie, Freundschaften zu pflegen. „Ich meine damit nicht die Sportkumpelrunde oder den Politikstammtisch“, sagt sie. „Jeder braucht einen Freund, mit dem er auch über ganz persönliche Dinge reden kann.“