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Eisbaden – Kälteschock für Körper und Geist
Wigald Boning schwört ebenso darauf wie Gwyneth Paltrow oder Ralf Möller: Das Eisbaden hat gerade im Winter Saison. Die Finnen sind berühmt dafür, dass sie gar ein Loch in den zugefrorenen See hacken, um kurz unterzutauchen. Welche positiven Aspekte für die Gesundheit der Kälteschock haben kann und wer es besser nicht übertreiben sollte, erklärt unser Experte.
Der Schock überfällt den Körper unmittelbar. Der Atem stockt, das Herz rast, als würde im Brustkorb eine Polizeihundertschaft sitzen, die Alarm schlägt: „Achtung, Achtung! Verlasse sofort dieses Eiswasser! Es könnte dich umbringen.“ Und in der Tat führt ein Bad in Eiswasser von vier Grad Celsius nach etwa fünf bis 30 Minuten zum Tod – dem Kälteschock folgt nämlich eine Erschlaffung der Muskulatur und schließlich ein Absinken der Körpertemperatur, was den Kreislauf stört und Bewusstlosigkeit und somit Ertrinken nach sich zieht.
„Ein Bad in Eiswasser von vier Grad Celsius führt nach fünf bis 30 Minuten zum Tod.”
Und dennoch avancierte Eisbaden zum Wellnesstrend, auf dessen gesundheitlich positive Auswirkungen viele Prominente von Gwyneth Paltrow über Rafael Nadal bis zu Naomi Campbell und Wigald Boning schwören. Boning fühle sich nie wacher als nach einem Bad in einem kalten See oder Fluss, Campbell verspricht sich Verjüngung der Haut, Paltrow hat das Eisbad in ihre Wellnessroutine aufgenommen, der Tennisprofi Nadal will durch die kalten Reize seine Erholung nach den Matches unterstützen.
Birgt das Eisbad nun körperliche Gefahr oder ein Gesundheitsgeheimnis? Beides stimmt, sagt Sportkardiologe Prof. Dr. Axel Preßler. Und beides hängt sogar zusammen.
Was passiert im Körper im Eisbad?
Die Kälte erzeugt laut Preßler eine Stresssituation für den Körper. Die Blutgefäße ziehen sich im Schock zusammen, „zunächst erscheint es dem Körper wichtiger, das Blut in den Körper zurückzuziehen, denn dort sitzen die wichtigen Organe, die auf jeden Fall geschützt werden müssen“, sagt Preßler. Stresshormone werden ausgeschüttet, die dem Körper signalisieren: Du musst dich schützen und in Sicherheit bringen! „Die positive Reaktion erfolgt erst, wenn man wieder aus dem Eiswasser raussteigt“, erklärt Preßler.
„Die positive Reaktion erfolgt erst, wenn man wieder aus dem Eiswasser raussteigt.”
Die Gefäße weiten sich wieder, das Blut schießt in Arme und Beine, der Stress löst sich wohltuend und das Gefühl, der Gefahr entronnen zu sein, animiert den Körper, Endorphine, also Glückshormone auszuschütten. „Es kommt gewissermaßen zu einer Überreaktion und die ist wohltuend für Körper und Geist“, sagt Preßler.
Gerade was die Psyche betrifft, können Studien den positiven Effekt vom Baden in kaltem Wasser gut belegen. Laut Preßler verbessert sich bei vielen Patienten die Schlafqualität, sie fühlen sich erholt. Bei Angststörungen sowie Depressionen konnte Eisbaden erfolgreich als ein Teil der Therapie eingesetzt werden.
Hilft die Kälte auch den Muskeln?
Gerade Sportler sprechen in Interviews nach Matches häufiger davon, sie müssten nun erstmal in die Eistonne eintauchen. Dahinter steckt das Wissen, dass Kälte kleine Entzündungen im Körper quasi einfrieren kann. Das komme auch Schmerzpatienten zugute oder könne lindernde Effekte bei Rheumakranken auslösen, sagt Preßler. Und auch ein Muskelkater besteht im Grunde aus nichts anderem als winzigen Verletzungen, die zu entzündlichen Reaktionen und damit zu Schmerzen am nächsten Tag führen können.
„Kälte kann kleine Entzündungen im Körper quasi einfrieren.”
Durch die verringerte Gewebetemperatur sinke Experten zu Folge zudem der Druck auf die Muskulatur. Manche Sportmediziner gehen davon aus, dass die Muskulatur auch vom Auftrieb des Wassers profitiert. „Auch die Schmerzleitungen werden durch die Kälte blockiert, die Muskelregeneration kann so etwas schneller gelingen“, sagt Preßler.
So kann eine nächste Trainingseinheit erfolgreicher und nach nur kurzer Regeneration eingelegt werden. Die Effekte sind nicht riesig, gibt Preßler zu. „Aber im Leistungssport nützt auch schon ein kleiner Vorteil, um die Konkurrenz in Schach zu halten.“
Stärkt der Kälteschock das Immunsystem?
Auch was das Immunsystem betrifft, profitiert der Körper von den Kältereizen, die entzündliche Reaktionen im Körper quasi ablöschen. „Je weniger Entzündungen im Körper es gibt, umso weniger Nährboden finden beispielsweise Viren“, sagt Preßler. Zudem würde der Körper im Kampf gegen die Kälte auch immer besser lernen, Entzündungen zu unterdrücken. Er trainiert quasi mit dem Sparring-Partner Kälte. „So kann in gewisser Weise eine Schutzmauer gegen Viren und Bakterien hochgezogen werden.“
Organe wie die Milz könnten biochemisch verantwortlich dafür sein, da sie durch den Kältereiz Leukozyten freisetzen. Das führt kurzfristig zu einer Vermehrung der weißen Blutkörperchen im Blut. Der Körper schickt also seine Polizisten los, um sich auf die Verteidigung vorzubereiten. Zur Frage, ob Kaltwasserschwimmer tatsächlich weniger häufig von Erkältungskrankheiten heimgesucht werden, existieren nur wenige Studien.
Die Studien zeigen, dass Menschen, die regelmäßig in kaltem Wasser schwimmen, seltener – und wenn doch – weniger schwer an Infektionen der oberen Atemwege erkranken. Ein Zeichen, das auf eine stärkere Immunfunktion hindeutet.
Allerdings war dafür nicht zwingend Eiswasser nötig, ein mäßiger Kältereiz hatte die gleichen Auswirkungen. Auch Preßler sagt: „Die positiven Effekte können schon bei einer Wassertemperatur von 15 Grad eintreten.“ Wer die Studien liest, kann diese auch als Warnung vor übertrieben langem Eisbaden sehen. Zeigen sie doch, dass Teilnehmer, die beim Eisbad und danach über langes Zittern klagten und sich wenig Regeneration gönnten, sogar noch häufiger krank wurden.
Kann man durch Eisbaden abnehmen?
Für die Temperaturregulation im Körper verantwortlich sind die Blutgefäße, die sich bei Hitze weiten, sodass mehr Blut an der Hautoberfläche abkühlen kann. Bei Kälte verengen sie sich, um möglichst wenig Wärme an die kältere Umgebung abzugeben. Sinkt die Körpertemperatur aber zu stark ab, reicht diese ausgeklügelte Venentätigkeit nicht mehr aus, um den Körper warm genug zu halten. Die Lösung: Wir zittern und verbrennen auf diese Weise Energie, die der Körper in Wärme umwandeln kann. Dieser erhöhte Kalorienverbrauch kommt dem Abnehmenden natürlich zugute.
Aber es gibt laut Preßler noch einen weiteren Trick, wie der Körper sich gegen zu starke Kälte wappnen kann: Er kann weißes Fettgewebe, das vor allem Übergewichtige in erhöhtem Maße mit sich herumschleppen, in sogenanntes braunes oder beiges umwandeln. Dazu bildet das Fett Mitochondrien, also Zellkraftwerke aus, die Triglyceride verbrennen und die so gewonnene Wärme in den Blutkreislauf abgeben.
„Adipöse Menschen könnten von dem Abnehmeffekt also mehr profitieren als sehr schlanke.”
Einerseits wird der Körper dadurch wieder beheizt. Andererseits steigt auch der Kalorienverbrauch. „Dieses Gewebe hat den Vorteil, dass es – einmal gebildet – seine Mitochondrien mit Kalorien versorgen muss, der gesamte Kalorienumsatz des Körpers also steigt. Man spricht deshalb auch von aktivem Fettgewebe“, so Preßler. Das Gute daran: Je mehr Fettgewebe eine Person hat, desto mehr kann sie in aktives umwandeln und mit kalorienintensiven Mitochondrien bestücken. Adipöse Menschen könnten von dem Abnehmeffekt also mehr profitieren als sehr schlanke.
Wer besser nicht in die Eistonne steigen sollte
Auch Gesunde fühlen es schon beim ersten Abtauchen: Der Kälteschock ist eine Herausforderung für das Herz. Immer wieder gibt es beispielsweise Berichte über Herzinfarkte, die bei einem unvorbereiteten Sprung ins kalte Wasser vom großen Temperaturunterschied ausgelöst werden können. Deshalb gilt: „Menschen, die unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie einer Herzschwäche, erhöhtem Blutdruck oder Herzrhythmusstörungen leiden, sollten vom Eisbaden Abstand nehmen“, sagt Preßler.
Auch Kindern empfiehlt der Experte die extrem niedrigen Temperaturen noch nicht. „Ihr Körper ist in der Wärmeregulation noch nicht so geübt, weshalb er schnell unterkühlen kann.“ Und auch wer gesund ist, sollte nicht übertreiben: „Vier Minuten im kalten Wasser reichen aus. Am besten, man tastet sich langsam heran. Und wer gerade keinen kalten See vor der Haustür hat, kann auch mit einer kurzen kalten Dusche die positiven Effekte auslösen“, so Preßler.
Quellen
- Cold‐water immersion (cryotherapy) for preventing and treating muscle soreness after exercise - Bleakley, C - 2010 | Cochrane Library
- Full article: Health effects of voluntary exposure to cold water – a continuing subject of debate
- Rhinology International Journal
- Open water swimming as a treatment for major depressive disorder | BMJ Case Reports
- White adipose tissue browning and obesity
- Eisbaden: Wie gesund ist Baden im Winter? | ndr.de
- Eisbaden, schwimmen im Winter: Wie gesund ist das? Vorteile aber auch Risiko | Brisant.de

Prof. Dr. Axel Preßler
Experte
Sportkardiologe

Claudia Lehnen
Autorin
Claudia Lehnen wollte als Jugendliche Ärztin werden, entschied sich dann aber dafür, lieber über Medizin und Menschen und ihre Krankheits- und Genesungsgeschichten zu berichten. Die in Köln niedergelassene Journalistin, die im Tageszeitungs-Journalismus zu Hause ist, ist unter anderem auf das Themengebiet Gesundheit spezialisiert.