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Mein Kind will sich schon schminken! Cool bleiben oder verbieten?

Mit elf oder zwölf schon Mascara oder rote Lippen? Für manche Eltern ist das irritierend. Dabei ist Make-up bei Kindern oft eher ein spielerisches Experimentieren mit Rollen – und es hat auch immer etwas mit Beziehung zu tun. Das betont Pädagogin und Elterncoach Miriam Maja Gass. Verbieten Eltern das Make-up rigoros, richten sie in Bezug auf die Beziehung zu ihrem Kind oft mehr Schaden an, als wenn sie es das neue Erscheinungsbild ausprobieren lassen. Und wenn es Eltern doch zu viel wird? Auch dafür hat die Expertin Tipps.

Eltern können beruhigt sein: Es ist ganz normal, dass ihr Kind sie nachahmt und über das Äußere in neue Rollen schlüpfen möchte. Dieses Phänomen lässt sich bereits im Kindergartenalter beobachten. Mamas Nagellack auszuprobieren oder ihren leuchtenden Lippenstift, ist für Mädchen wie Jungen in diesem Alter faszinierend. „Letztlich steht dahinter, dass Ihr Kind eine Ähnlichkeit zu Ihnen herstellen will“, so Bindungsexpertin Miriam Maja Gass: „Es will Ihnen einfach nahe sein. Die Nutzung des Make-ups zur Verschönerung steht dabei erst einmal nicht im Vordergrund.“ 

„Letztlich steht dahinter, dass Ihr Kind eine Ähnlichkeit zu Ihnen herstellen will.”
Miriam Maja Gass

Etwas anders sieht es aus, wenn Ihr Kind im Alter von zehn oder elf Jahren zum ersten Mal den Wunsch äußert, Make-up zu tragen. Wie schon in jüngerem Alter steht dahinter oft der Wunsch nach Zugehörigkeit. Allerdings stehen jetzt weniger die Eltern, denn Gleichaltrige im Fokus seiner Aufmerksamkeit. 

Für Eltern lohnt sich, zu fragen, warum genau ihr Kind auf einmal Make-up tragen möchte: Möchte es coolen Gleichaltrigen nacheifern oder einfach nur mitmachen, weil alle gerade das Schminken für sich entdecken? Steht dahinter das Bedürfnis nach Bindung und die Möglichkeit, sich über das äußere Erscheinungsbild an das eigene Umfeld anzupassen – oder umgekehrt gerade der Wunsch, sich abzugrenzen und sich in seiner Individualität zu behaupten?

Bindungsorientiertes Eltern-Kind-Gespräch zum Thema „Make-up“

  • Machen Sie Ihrem Kind keine Vorwürfe, sondern fragen Sie, was es gerade beschäftigt und warum es sich schminken möchte.

  • Bleiben Sie Ihrem Kind nah, indem Sie sich für seine Lebenswelt interessieren. Dazu gehören seine Hobbies, Gleichaltrige, aber auch Vorbilder auf Social Media. 

  • Hinterfragen Sie Ihren eigenen inneren Widerstand: Was beunruhigt Sie? Was wünschen Sie sich für Ihr Kind?

  • Machen Sie sich möglichst frei von normierenden Vorstellungen, wie der Frage, ab welchem Alter Make-up „normal“ sei. Letztlich entscheiden Sie, was sich für Sie stimmig anfühlt. Auch Ihr Kind darf seine Bedürfnisse formulieren und seine Grenzen wahren. 

  • Formulieren Sie Ihre eigenen Grenzen klar (z. B. kein Make-up in der Schule), lassen Sie sich aber auf die Begründung Ihres Kindes ein, warum dieses sich zum Beispiel unter Gleichaltrigen schminken möchte.

Gemeinsames Schminken als verbindendes Ritual

Statt aus dem Thema Make-up einen Konfliktpunkt zu machen, können Eltern die Gelegenheit nutzen, ihr Kind besser kennenzulernen und sogar gemeinsame Rituale zu etablieren. Warum nicht einmal im Monat einen Wellness-Nachmittag machen und sich gemeinsam verschönern? Auch eine gemeinsame Shopping-Tour kann Eltern die Faszination ihres Kindes besser verstehen lassen. Vielleicht schenken Sie ihm sogar das Lipgloss, das es immer schon ausprobieren wollte? 

Der Gedanke dahinter: Als Mutter oder Vater begeben Sie sich in die Lebenswelt Ihres Kindes, statt es mit starren Regeln zu konfrontieren und sich damit von ihm zu distanzieren. Natürlich gilt dabei: Das Einverständnis Ihres Kindes vorausgesetzt. Nicht jede und jeder Zwölf- oder Dreizehnjährige möchte sich von den eigenen Eltern beim Shoppen begleiten lassen. 

„Begeben Sie sich als Mutter oder Vater in die Lebenswelt Ihres Kindes, statt es mit starren Regeln zu konfrontieren. ”

Und vielleicht ist auch bei Ihnen selbst der Widerstand zu groß. Dann formulieren Sie dies ruhig, allerdings immer in respektvollem Ton. „Gerade in der Vorpubertät und Pubertät braucht Ihr Kind die Freiheit, unabhängig von Ihnen seine Werte zu entdecken“, so Elterncoach Miriam Maja Gass: „Das kann bedeuten, dass es gegebenenfalls ganz anders handelt, als Sie es selbst tun würden. Zeigen Sie ihm, dass Sie dennoch an seiner Seite sind!“

Make-up in anderen Kulturen: ein spannender Blick über den Tellerrand

Beim Thema Make-up lohnt sich nicht zuletzt der Blick in andere Kulturen. Seien es Kajal umrandete Augen – in Indien bei Jungen und Mädchen Ausdruck ihrer kulturellen Zugehörigkeit – oder die Gesichts- und Körperbemalung indigener Völker: Sich zu schminken ist vielerorts sowohl Initiationsritus als auch Zeichen von Gemeinschaft. Die Verbindung von Make-up und (Über-)Sexualisierung, wie sie in der westlichen Kultur häufig hergestellt wird, ist im weltweiten Vergleich längst nicht überall gegeben. 

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Dieses Wissen kann Eltern gegebenenfalls entspannter reagieren lassen, wenn ihre Tochter das nächste Mal Lippenstift verwenden oder ihr Sohn seine Nägel schwarz lackieren möchte.

Make-up ohne schädliche Inhaltsstoffe 

Will Ihr Kind Make-up benutzen, ist doppelt wichtig, dass dieses keine schädlichen Inhaltsstoffe enthält. Wie erfahren Sie, ob Make-up-Produkte diese Kriterien erfüllen? 

Schönheitsideale in den Medien: wie Eltern ihre Kinder gut begleiten

Beim Thema Make-up spielt natürlich auch das Thema Aussehen und seine Darstellung in den (Sozialen) Medien eine Rolle. Fragen Sie Ihr Kind doch einmal direkt, wen oder was es schön findet, oder lassen Sie sich seine Vorbilder zeigen. Tatsächlich sind Jugendliche heutzutage bereits früh vielfältigen medialen Bildern ausgesetzt. Manches Schönheitsideal mag nicht nur Ihnen als Eltern missfallen, sondern ist objektiv schädlich. Zum Beispiel, wenn Schönheit als extremes Dünnsein oder als stark K.I.-bearbeitetes Ideal zelebriert wird. 

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„Wir überbehüten unsere Kinder häufig in der realen und ‚unterbehüten’ sie in der virtuellen Welt”
Miriam Maja Gass

Mit Ihrem Kind zu besprechen, dass die porenlose Haut der Social-Media-Stars nicht allein auf perfektes Make-up zurückzuführen ist und dass manche Influencerin im „echten“ Leben ganz anders aussieht als im Netz, kann eine Brücke schlagen zwischen der Lebenswelt Ihres Kindes und dem, was Ihnen als Eltern wichtig ist. „Wir überbehüten unsere Kinder häufig in der realen Welt und ‚unterbehüten’ sie in der virtuellen Welt“, so Elterncoach und Bindungsexpertin Miriam Maja Gass. 

Indem Eltern ihrer Tochter oder ihrem Sohn helfen, die wahrgenommenen Bilder einzuordnen, vermitteln sie ihrem Kind nicht nur Medienkompetenz, sondern auch ein realistisches Bild von sich selbst und der Welt, die es umgibt.

Information zu kindgerechter Mediennutzung

Make-up als Ausdruck der Kreativität: Darf Schminken einfach Spaß machen?

Nicht zuletzt sollten Eltern sich bewusst werden, dass in der Anwendung von Make-up auch immer eine kreative Komponente liegt. Berühmte Musiker und Musikerinnen wie Madonna, David Bowie oder die Brüder der Boyband Tokio Hotel haben über Make-up und Kleidung beeindruckende Ausdrucksformen gefunden. 

Würdigen Sie die Kreativität, die Ihr Kind entwickelt, wenn es immer wieder neue Formen von Make-up ausprobiert! Vielleicht erkennen Sie darin sogar Ihre eigene Freude, sich mit Kajal, Wimperntusche und kräftigen Farben in ganz unterschiedliche Persönlichkeiten zu verwandeln. 

Aber auch wenn Sie selbst eher „pur“ unterwegs sind: Der Spaß an Kreativität und äußerer Veränderung ist tief in uns Menschen angelegt. Erlauben Sie sich, gemeinsam mit Ihrem Kind Freude daran zu haben und Make-up weniger als Bedrohung, denn als Ausdruck seiner dahinterliegenden Bedürfnisse und seiner ganz eigenen Persönlichkeit zu sehen. 

Das Wichtigste dabei: Bleiben Sie an der Seite Ihres Kindes, indem Sie sich für seine Lebenswelt interessieren. So stärken Eltern die Bindung zwischen sich und ihrem Kind. Und die ist letztlich doch wichtiger als die Frage „Make-up – ja oder nein?“ 

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Miriam Maja Gass

Expertin

Pädagogin, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Elterncoach: https://www.mmg-elterncoaching.de/

Sarah Zöllner

Autorin

Sarah Zöllner schreibt als Journalistin und Autorin über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Familien- und Gleichstellungspolitik. 2023 erschien ihr zweites Buch „Mütter. Macht. Politik. - Ein Aufruf!“. Für die Envivas informiert sie regelmäßig über Gesundheitsthemen und Wissenswertes rund um den Alltag mit Kindern. Mit ihrer Familie lebt sie nahe Heidelberg.