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Raus aus der Mental-Load-Falle – so gelingt die faire Verteilung von Verantwortung im Alltag

Mental Load – die „Last des Drandenkens“: Vor allem Frauen kennen das Gefühl nie enden wollender To-Do-Listen und die Last, für die gesamte Organisation des Alltags verantwortlich zu sein. Erst recht, wenn sie Mütter werden. Rollenerwartungen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen erschweren Männern und Frauen im Alltag eine gleichberechtigte Aufgabenverteilung. Wir verraten, wie Sie aus der Mental-Load-Falle herausfinden.

Was ist eigentlich Mental Load?

Mental Load, das ist das Klein-Klein des Alltags, die – oft unsichtbare – Verantwortung, die auf den Schultern von Menschen ruht, die in Familien für die Organisation des gemeinsamen Lebens zuständig sind. Patricia Cammarata, Psychologin und Autorin des 2020 erschienenen Ratgebers „Raus aus der Mental Load Falle“, betont, dass nicht nur ungleich verteilte Aufgaben das Problem sind:

„Mental Load umfasst auch die emotionale Last, die eine Person schultern muss, wenn sie für die Gesundheit, das Wohlergehen und die Bedürfnisse aller Familienmitglieder die Verantwortung trägt.”
Patricia Cammarata

Es ist nun einmal nicht egal, ob der Termin der U-Untersuchung eingehalten wird, die Winterjacke des Kindes groß genug ist oder dieses den Geburtstag seines Freundes besuchen kann. Genau hier fühlen sich Frauen aber eher verantwortlich – und sind es de facto auch. Unabhängig vom Umfang ihrer Erwerbstätigkeit. „Im gleichen Umfang einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, führt nicht dazu, dass die Sorgearbeit gleich verteilt ist“ schreibt Cammarata in ihrem gerade erschienenen Buch „Musterbruch“:

„Arbeiten die Eltern beide Vollzeit, leisten Frauen mehr Sorgearbeit als Männer. Die Lücke beträgt dann 41,3 Prozent. Das gilt auch, wenn beide Teilzeit arbeiten und sogar, wenn beide nicht erwerbstätig sind.“ Das von Männern wie Frauen häufig vorgebrachte Argument, es sei nur fair, dass sie sich mehr um die Organisation des Familienalltags kümmere, da er beruflich eingespannter sei, widerlegen diese Zahlen: Frauen kümmern sich offenbar grundsätzlich mehr.

Mental Load ist nicht geschlechtsgebunden – warum trifft er dennoch vor allem Frauen?

Mental Load ist nicht geschlechtsgebunden, das bestätigt auch Psychologin Lea Beck-Hiestermann. Dennoch tragen Frauen – und insbesondere Mütter – in Familien oft die Hauptverantwortung. Beck-Hiestermann sieht als Grund dafür, dass Frauen bereits während der Schwangerschaft in die Rolle der Organisatorin hineingeworfen werden. Sie erhalten den Mutterpass, planen die Vorsorgeuntersuchungen und nach der Geburt die ersten Termine mit dem Neugeborenen.

„Paare gehen gleichberechtigt in den Kreissaal und kommen als Paar der 1950er Jahre wieder heraus.”
Patricia Cammarata

Nach dem Väterreport 2023 des Bundesfamilienministeriums sind 77 Prozent der Väter bereits kurz nach der Geburt wieder Vollzeit oder vollzeitnah erwerbstätig. Dadurch verfestigt sich dieses Ungleichgewicht. Dazu kommen gesellschaftlich tief verankerte Glaubenssätze wie „Ein Baby gehört zu seiner Mutter“ oder Fürsorge sei „typisch weiblich“.

Kombiniert mit der noch immer weit verbreiteten Geringschätzung der Aufgaben rund um Haushalt und Kinderbetreuung, führt das innerhalb kürzester Zeit zu einem massiven Ungleichgewicht: „Paare gehen gleichberechtigt in den Kreissaal und kommen als Paar der 1950er Jahre wieder heraus“, so Mental-Load-Expertin Cammarata.

Wie zeigt sich Mental Load – und welche Rolle spielt Perfektionismus dabei?

Sollten Frauen und Mütter also einfach „lockerer“ werden, fünf gerade sein lassen und Verantwortung abgeben? Ganz so simpel ist es nicht. Zwar tragen Frauen, die perfektionistisch veranlagt sind, tatsächlich ein höheres Risiko, in der Mental-Load-Falle zu landen, bestätigt Psychologin Lea Beck-Hiestermann: „Wenn mein innerer Standard ist: Meine Wohnung muss immer schön aussehen oder muss immer sauber sein, ist es natürlich ungleich schwerer, das mit Kind beizubehalten“, so die Psychologin. „Und es ist wahrscheinlich, dass ich nicht sage ‚Okay, das gehört zu diesem transformativen Prozess nach der Geburt meines Kindes dazu‘“, sondern eher: „‚Oh nein, ich will die Kontrolle über mein Leben zurück. Es soll so sein wie früher! ‘“

Drei Warnsignale, dass Sie unter Mental Overload leiden

  • Sie haben das Gefühl, alles wachse Ihnen über den Kopf: Sie sind gereizt, fühlen sich erschöpft, schlafen schlecht und vergessen wichtige Termine.
  • Auch Migräne, Tinnitus, Bluthochdruck, Schlafstörungen und depressive Verstimmungen bis hin zum Burnout können als Begleiterscheinung von Mental Load auftreten.
  • Sie verlieren die Freude an Ihren täglichen Aufgaben und am Zusammensein mit Ihrer Familie, haben den Impuls, sich zurückzuziehen und wollen am liebsten nur Ihre Ruhe.

Müttern falle es zudem häufig schwer, sich bei Dingen, die die Familie betreffen, zurückzunehmen, so Beck-Hiestermann. Hier könne tatsächlich helfen, die eigenen Ansprüche zu hinterfragen. Mental-Load-Expertin Cammarata weist jedoch darauf hin, dass Frauen, die sich von der täglichen Verantwortung belastet fühlen, nicht generell zu hohe Standards haben. Oft basiere eine akribische Planung schlicht auf Erfahrungswerten.

Eine gut sortierte Hausapotheke oder das griffbereite Kuscheltier im Urlaubsgepäck entscheiden im Zweifel darüber, wie viel Schlaf Kind und Eltern in der folgenden Nacht bekämen. Unter schlechter Planung leide letztlich die ganze Familie. Anders als im Beruf werden diese Erfahrungswerte im Privaten aber häufig nicht geschätzt, so Cammarata. Stattdessen wird Müttern vorgeworfen, die Verantwortung in unguter Weise an sich zu reißen.

„Der soziale Vergleich spielt eine große Rolle und es findet oft keine ehrliche Kommunikation über Mutterschaft statt.”
Lea Beck-Hiestermann

Frauen sehen sich also mit einer doppelten Botschaft konfrontiert: Sie sollen sich nicht zu verantwortlich fühlen, umgekehrt aber doch dafür sorgen, dass alles rund läuft. Hier spielt oft auch der Vergleich mit der Großelterngeneration oder mit anderen Müttern auf Social Media eine Rolle. „Dort sagen ja die allerwenigsten, dieses Kinderding überfordert mich, ich muss alles machen und bekomme kaum etwas hin!“, so Psychologin Beck-Hiestermann.

Was hilft, Mental Load gerechter zu verteilen?

  1. Die eigenen Ansprüche überdenken: Was brauche ich gerade, um eine entspanntere Mutter oder ein entspannterer Vater zu sein? Und: Ist dieser konkrete Punkt wesentlich für das Glück meines Kindes?
  2. Das Gespräch mit dem Partner oder der Partnerin suchen: Idealerweise bereits vor der Geburt, aber spätestens, „wenn der Laden brennt“. Hilfreich ist, sich ohne Vorwürfe gegenseitig aufmerksam zuzuhören und die Bemühung des jeweils anderen wertzuschätzen.
  3. Aufgaben auflisten und verteilen: Hierbei hilft zum Beispiel der Mental Load Test, der einfach im Netz heruntergeladen werden kann. Ziel ist nicht notwendigerweise eine 50:50-Aufteilung. Wichtig ist, zu reflektieren: Wer übernimmt was aus welchen Gründen? Und wo ist Unterstützung oder eine Umverteilung der Aufgaben nötig?
  4. Wichtig auch: Unterscheiden zwischen Aufgabenerfüllung und Prozessverantwortung. Wer eine Aufgabe übernimmt, trägt die Verantwortung für den gesamten Ablauf, kauft bei einem Kindergeburtstag also zum Beispiel nicht nur das Geschenk, sondern fragt nach den Wünschen des Gastgebers, packt das Geschenk ein und sorgt dafür, dass das eigene Kind zur Feier gefahren und wieder abgeholt wird.

Hilfreich sei in diesem Zusammenhang, wenn beide Elternteile die Verantwortung im Alltag am eigenen Leib erlebten, so Mental-Load-Expertin Cammarata: „Schwierig, solange nur 34 Prozent aller Väter überhaupt Elternzeit nehmen und davon über 60 Prozent nie allein und hauptverantwortlich. In jedem Job sprechen wir von 100 Tagen Einarbeitungszeit – warum gilt das nicht auch für die Elternschaft – für beide Eltern?“

Der Partner zieht nicht mit – oder ist gar nicht da: Was tun?

Was aber, wenn einer der Partner aus praktischen Gründen tatsächlich kaum anwesend sein kann oder der Alltag gar komplett alleinerziehend zu stemmen ist? „Leider gibt es gerade für Alleinerziehende noch viel zu wenig staatliche Unterstützung“, so Psychologin Beck-Hiestermann: „Umso wichtiger ist es, sich nach und nach ein privates Netzwerk aufzubauen. Schon bevor mir alles über den Kopf wächst, sollte ich klären, wer aus meinem Freundeskreis im Notfall welche Hilfe anbieten kann. Es kann auch helfen, ganz praktisch Essen vorzukochen oder einzelne Aufgaben, wie das Abholen der Kinder aus Schule oder Kita, an Freunde oder Familienangehörige auszulagern.“ Am wichtigsten aber sei, so die Psychologin, sich klarzumachen, dass man letztlich nur eine Person wirklich ändern könne: sich selbst.

„Ob sich mein Partner oder Ex-Partner engagiert, kann ich nicht beeinflussen. Was ich aber beeinflussen kann, ist, welchen Stress ich mir selbst mache und wie ich mein Muttersein gestalte.”
Lea Beck-Hiestermann

Der Weg aus der Mental-Load-Falle startet also im Kopf. Für eine faire Verteilung der täglichen Verantwortung braucht es aber mehr als guten Willen. Das Klären von Ansprüchen und die Verteilung konkreter Aufgaben ist ein erster Schritt. Ebenso wie eine offene und wertschätzende Kommunikation. Ohne einen Wandel der gesellschaftlichen Werte und Rahmenbedingungen, unter denen Familien leben, geht es langfristig allerdings nicht. Aber bis dahin können Sie selbst schon ziemlich viel tun. Der Weg aus der Mental-Load-Falle beginnt bei Ihnen – gehen Sie den ersten Schritt!

Quellen

  • Interview mit Patricia Cammarata, Psychologin, SPIEGEL-Bestsellerautorin und Mental-Load-Expertin sowie mit Lea Beck-Hiestermann, Psychotherapeutin in eigener Praxis und Dozentin an der Psychologischen Hochschule Berlin
  • https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/vaeterreport-2023-230376
  • https://equalcareday.de/mental-load/
  • Marcus Tamm: „Fathers’ Parental Leave-Taking, Childcare Involvement and Mothers’ Labor Market Participation. IZA Discussion Paper Nr. 11873, 2018. URL: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3273712
  • Lea Beck-Hiestermann: Sorg gut für dich im Wochenbett. Dein psychologischer Begleiter durch die Höhen und Tiefen nach der Geburt (Beltz, erscheint 2024)
  • Patricia Cammarata: Musterbruch. Überraschende Lösungen für wirkliche Gleichberechtigung (Beltz, 2024)
  • Patricia Cammarata: Raus aus der Mental Load Falle. Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt (Beltz, 2020)
  • Birk Grüling: Eltern als Team. Ideen eines Vaters für gelebte Vereinbarkeit (Kösel, 2021)

Sarah Zöllner

Autorin

Sarah Zöllner schreibt als Journalistin und Autorin über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Familien- und Gleichstellungspolitik. 2023 erschien ihr zweites Buch „Mütter. Macht. Politik. - Ein Aufruf!“. Für die Envivas informiert sie regelmäßig über Gesundheitsthemen und Wissenswertes rund um den Alltag mit Kindern. Mit ihrer Familie lebt sie nahe Heidelberg.

Patricia Cammarata

Psychologin, SPIEGEL-Bestsellerautorin und Mental-Load-Expertin

Lea Beck-Hiestermann

Psychotherapeutin in eigener Praxis und Dozentin an der Psychologischen Hochschule Berlin