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Muskeln dehnen – wann es sinnvoll ist und wann nicht

Es gibt Sportler, die schwören auf ein ausgiebiges Dehnen vor dem Sport, andere praktizieren es nach dem Laufen, Wandern oder Fahrradfahren als Mittel der Regeneration. Wieder andere langweilt das Stretchen der Muskeln und sie behaupten, es würde ihnen nicht guttun. Was bringt Dehnen wirklich, wie lange muss man Positionen halten und wann sollte man es besser ganz sein lassen? Wir haben in Studien geschaut und mit einer Expertin ausführlich gesprochen.

Gerade bei Wettkämpfen war es ein unerlässliches Rahmenprogramm. Bevor sich der ehemalige Kunstturner Fabian Hambüchen ans Reck hängte oder durch die Luft wirbelte, stand eine Stunde Dehnen auf dem Trainingsplan. Und wenn alle Schrauben gesprungen waren, dann ging es wieder zurück auf die Matte zum Dehnen.

„Das Wichtigste ist das Dehnen“, sagt Hambüchen bei einem PR-Termin zu Bürogymnastik in Frankfurt am Main. Gerade bei Menschen, die viel im Sitzen arbeiteten, würden die Sehnen spröde, die Beweglichkeit leide. Aber alles ließe sich leicht wieder ins Lot bringen mit ein bisschen Training.

Was bringt Dehnen genau?

Das Dehnen gehört vielleicht zu einer der am meisten umstrittenen Disziplinen der Sportwissenschaft. Es gibt Metastudien, wie die der Physiotherapeuten Rob Herbert und Michael Gabriel von der Universität Sydney, die nahelegen, dass das Dehnen vor oder nach dem Sport keinen Schutz vor Muskelkater biete und auch das Verletzungsrisiko lediglich um fünf Prozent gesenkt werden könne. Im Schnitt, so rechnen die Therapeuten vor, dauere es demnach 23 Jahre, bis ein Sportler durch das Stretchen eine Verletzung vermeide. Statistisch „ohne Bedeutung“, so das vernichtende Urteil der Untersuchenden.

Eine Metaanalyse verschiedener Studien, aufbereitet an der Bergischen Universität Wuppertal sowie der Universität des Saarlandes, traut dem Dehnen da mehr Nützliches zu. Durch Dehnen heißt es da, könne bis zu einem Drittel der Muskelsehnenverletzungen vermieden werden.

Studien, die dem Dehnen keinen Effekt bescheinigten, konzentrierten sich auf Gelenke, Bänder und Schleimbeutel und ließen Muskelsehnenzerrungen außer Acht. Zudem argumentieren viele Sportwissenschaftler, trage Dehnen häufig dazu bei, die Beweglichkeit des Körpers symmetrischer zu machen. Also den Radius der linken Schulter ebenso groß zu machen wie den der rechten. Und nur ein symmetrischer Körper kann symmetrisch belastet werden, was wiederum das Verletzungsrisiko minimiere.

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Was beim Dehnen im Körper eigentlich passiert

„Ob Dehnen vor oder nach dem Sport sinnvoll ist oder nicht, wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert“, sagt Christiane Wilke vom Institut für bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation der Deutschen Sporthochschule in Köln. Vieles laufe am Ende auf persönliches Wohlbefinden hinaus. Und auch das sei im Sinne des Sports ja ein nicht zu vernachlässigendes Argument. „Manche fühlen sich subjektiv einfach gut damit und schwören darauf, andere langweilen sich dabei und vernachlässigen es deshalb. Wer im Sinne der Wissenschaft nun richtig handelt, ist nicht so leicht festzustellen.“

Zunächst kann man erklären, was beim Dehnen eigentlich im Körper passiert. Wer beispielsweise seine Wadenmuskulatur durch das Anheben der Zehenspitzen dehnt, der setzt im Körper einen Prozess in Gang. Proteine, die für eine Kontraktion des Muskels zuständig sind, werden dabei auseinandergezogen. Das Bindegewebe um den Muskel leistet Widerstand und stellt dadurch sicher, dass der Muskel durch die Dehnung nicht geschädigt wird.

„Proteine, die für eine Kontraktion des Muskels zuständig sind, werden beim Dehnen auseinandergezogen.”

„Wie sich das anfühlt, können Sie gut nachempfinden, wenn Sie einen verspannten Nacken haben und den Kopf auf die andere Seite legen, die Muskulatur also dehnen“, erklärt Wilke. „Ist der Muskel verspannt, steckt dahinter eine erhöhte Frequenz der elektrischen Impulse, die für eine gewisse Grundspannung des Muskels sorgen. Zieht man die Kontraktionsproteine nun durch die Dehnung auseinander, verringert sich die Frequenz wieder, der Muskel entspannt, die Sehnen werden elastischer, der Schmerz verschwindet im besten Fall.“

Wann man auf das Dehnen verzichten sollte

Dehnen heißt also nicht nur für Elastizität sorgen, sondern auch Spannung verringern. Kontraproduktiv sei das Dehnen im Allgemeinen deshalb vor dem Ausüben von schnellkräftigenden Sportarten wie Springen, Werfen oder Sprinten. „Dehnen senkt den Tonus, verringert deshalb eher die Schnellkraft“, so Wilke.

Auch bei Verletzungen ist Vorsicht geboten. Ein verletzter Muskel beispielsweise sollte nach Ansicht von Sportwissenschaftlern in der akuten Phase keinesfalls gedehnt werden. Das verlängere nur die Regenerationszeit. Auch vom Dehnen bei starkem Muskelkater raten Sportmediziner eher ab. Schließlich habe der Körper in dieser Phase ohnehin mit kleinen Faserrissen zu kämpfen, die besser abheilten, wenn man sie nicht zusätzlich reize.

„ Vom Dehnen bei starkem Muskelkater raten Sportmediziner ab, weil der Körper ohnehin mit kleinen Faserrissen kämpfe.”

„Es gibt auch hypermobile Menschen, die ohnehin schon über die Maßen gelenkig sind. Ihnen würde ich ein Dehnen auch nicht anraten“, sagt Wilke. Denn auch wenn elastische Sehnen wünschenswert seien, von „ausgeleierten“ profitiere der Mensch nicht, im Gegenteil. „Sind die Sehnen zu elastisch, schützen sie die Gelenke nicht mehr ausreichend, weil sie eben kein haltgebendes Korsett mehr bieten“, sagt Wilke. Das wiederum könne zu Schädigungen führen.

Passiv-Statisch vs. Aktiv-Dynamisch

  • passiv-statischem Dehnen, wie beispielsweise beim Yoga, Dehnungen werden lange gehalten, oft arbeitet man mit der Schwerkraft oder Hilfsmitteln wie einer Wand, gegen die man sich lehnt oder einem Gurt, und
  • aktiv-dynamischem Dehnen, wie dem wippenden Ausfallschritt vor dem Joggen, hier setzt man die eigene Muskelkraft ein, um in die Position zu kommen, die eher eine langsame Bewegung ist, langes Halten ist eher kontraproduktiv

Die verschiedenen Arten des Dehnens

Sportwissenschaftler halten das aktiv-dynamische Dehnen generell für etwas wirkungsvoller, wenn es um die Vorbereitung auf die Sporteinheit geht. In den 90er Jahren geriet das wippende Dehnen zwar in Verruf, es sei zu verletzungsreich. Wer über ein Mindestmaß an Körpergefühl verfüge, der müsse sich aber keine Sorgen machen, sagen Sportwissenschaftler heute.

Gerade bei Sportarten oder Alltagsbelastungen, die ein eingeschränktes Bewegungsmuster vorgäben, wie beispielsweise das Radfahren, das Walken, aber auch die Gartenarbeit, sei es förderlich, dem Körper die Möglichkeit zu geben, das volle Bewegungsausmaß zu nutzen.

„Auch beim Kraftsport kann aktiv-dynamisches Dehnen vorab sinnvoll und schützend sein“, sagt Wilke. „Radfahrer sitzen beispielweise permanent mit gebeugter Hüfte, da kann als Ausgleich eine Hüftstrecker-Übung sinnvoll sein. Zu empfehlen wäre beispielsweise ein großer Ausfallschritt.

Wann Dehnen in jedem Fall nützt

Worin sich die Sportwissenschaftler einig sind: Gerade zum Erhalt der Beweglichkeit im Alter ist Dehnen ein wichtiger Baustein. „Die Sehnen werden mit zunehmendem Alter spröde und weniger elastisch“, sagt Wilke. Das mache auch die Muskeln, die an den Sehnen hängen, träge und ineffizient. Das führe dazu, dass man sich plötzlich kaum mehr hinknien könne oder aus bestimmten Sitzpositionen kaum noch nach oben komme. „Diese Einschränkungen kann man durch Dehnen und Beweglichkeitstraining aber so lange wie möglich hinausschieben.

„Im Alter ist Dehnen ein wichtiger Baustein zum Erhalt der Beweglichkeit.”

Denn nur wenn die Muskeln und Sehnen noch gut funktionieren, kann man Stürze vermeiden und den Körper stabil halten“, sagt Wilke. Jeden zweiten Tag ein paar Minuten Dehnen der Hauptmuskelgruppen ab 45 Jahren könne da schon viel helfen. Da Dehnen aber sehr individuell sei und man auch viel falsch machen könne, empfiehlt sie Anfängern vorab unbedingt eine Einweisung durch einen Bewegungsexperten, zum Beispiel den Besuch eines Gesundheitssportkurses.

Claudia Lehnen

Autorin

Claudia Lehnen wollte als Jugendliche Ärztin werden, entschied sich dann aber dafür, lieber über Medizin und Menschen und ihre Krankheits- und Genesungsgeschichten zu berichten. Die in Köln niedergelassene Journalistin, die im Tageszeitungs-Journalismus zu Hause ist, ist unter anderem auf das Themengebiet Gesundheit spezialisiert.