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Lebensmittelallergien bei Kindern – das müssen Eltern wissen

Bundesweit reagieren vier bis sechs Prozent aller Kinder allergisch auf ein oder mehrere Nahrungsmittel. Die Symptome reichen von Hautausschlägen, Magen-Beschwerden über Husten, Kurzatmigkeit bis hin zum allergischen Schock. Milch, Ei oder Erdnüsse gehören zu den häufigsten Allergenen bei Kindern. Das Gefährliche: Selbst kleine Mengen davon können eine allergische Reaktion auslösen. Ein Lichtblick ist eine neue Immuntherapie.

Julian strahlt. Der Dreijährige sitzt neben seiner Mutter im Café und knappert genüsslich an einem Schoko-Croissant. Plötzlich zeigen sich rote Flecken in seinem Gesicht. Von einer Sekunde auf die andere fängt er an zu quengeln, reibt sich die Augen. Seine Augenlider schwellen an, sind gerötet. Die Mutter ruft sofort einen Kinderarzt an, der auch Allergologe ist und fährt mit Julian zu ihm. Der Arzt nimmt einen Blut-Allergietest vor. Einen Tag später hat er das Ergebnis: Julian hat eine Nahrungsmittelallergie.

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Nehmen Sie Hautreaktionen, die nach dem Verzehr eines Nahrungsmittels bei ihrem Kind auftreten, ernst. Sie haben Glück, wenn Sie wie Julians Mutter sofort einen Termin beim Allergologen bekommen. Klappt das nicht, rufen Sie in einem solchen Fall unverzüglich über die 112 den Notdienst, um auf der sicheren Seite zu sein und einer möglichen schweren allergischen Reaktion vorzubeugen.

Denken sie auch an eine Nahrungsmittelallergie, wenn bei ihrem Kind gleich nach dem Verzehr eines Lebensmittels...

  • Rötungen, Nesselsucht oder Quaddeln auf der Körperhaut auftreten
  • die Haut kribbelt und/oder juckt
  • Lippen und/oder Gesicht geschwollen sind
  • sich Übelkeit, Erbrechen, Bauchweh und/oder Durchfall einstellen
  • Husten, pfeifende Atmung, und/oder Atemnot auftreten
  • sich Schwindel und Bewusstseinseintrübung zeigen

Wichtig zu wissen: Die Haut- und/oder Magen-Darm-Reaktionen bei einer Nahrungsmittelallergie sind nicht lebensbedrohlich.

„Sofort-Typ“-Allergie: Die häufigsten Symptome sind Hautreaktionen

Julian ist eines von bundesweit zwischen vier und sechs Prozent aller Kinder mit einer Nahrungsmittelallergie. „Bei 80 Prozent dieser Kinder kommt es nach dem Kontakt mit dem Allergen zu einer Hautreaktion“, erklärt Sabine Schnadt, Ökotrophologin beim Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB) in Mönchengladbach. „Da eine Reaktion meist unmittelbar – innerhalb weniger Minuten bis weniger Stunden nach dem Verzehr – auftritt, spricht man bei dieser Allergie vom Sofort-Typ.

Dann sind so genannte IgE-Antikörper erhöht. Das sind bestimmte Abwehrzellen des Körpers, die im Fall einer Allergie gegen harmlose Substanzen wie Pollen, Tierhaare oder eben Lebensmittel gerichtet sein können. Als Allergen bezeichnet man das Nahrungsmittel, das eine Allergie auslöst. Es sind nicht die ganzen Nahrungsmittel, sondern in der Regel Eiweiße, auch Proteine genannt, die darin enthalten sind.

Säuglinge und Kinder reagieren besonders auf Eiweiße in Kuhmilch, Eiern, Fisch, Weizen, Soja, Erdnüssen und Nüssen, also Schalenfrüchten, hier insbesondere Haselnüssen, Walnüssen und Cashewkernen. Neben Hautreaktionen kann es bei einer Nahrungsmittelallergie außerdem zu Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Krämpfen oder Durchfall kommen. Der Magen-Darm-Trakt ist nach der Haut das Organsystem, bei dem Symptome am zweithäufigsten auftreten.

Ob eine Nahrungsmittelallergie bei Kindern wieder verschwindet, ist sehr individuell, hängt aber unter anderem vom Nahrungsmittel selbst ab.

Ob eine Nahrungsmittelallergie bei Kindern wieder verschwindet, ist sehr individuell, hängt aber unter anderem vom Nahrungsmittel selbst ab.

AllergeneWahrscheinlichkeit
Kuhmilch70 % der Kinder entwickeln von allein eine Toleranz, innerhalb eines Jahres. Bis zum Grundschulalter bei 80 % zurückgebildet.
Hühner-Ei50 % der Kinder entwickeln von allein eine Toleranz, innerhalb eines Jahres. Bis zum Grundschulalter bei 80 % zurückgebildet.
Erdnuss- oder NussallergieNur rund 20 % „verlieren“ diese Allergie.

 

 

Systemische Allergie: Herz-Kreislauf-Versagen kann die Folge sein

Von einer so genannten systemischen Allergie sprechen die Mediziner, wenn der Körper beziehungsweise mehrere Organsysteme wie zum Beispiel Haut, Magen-Darmtrakt, Atemwege oder Herz-Kreislaufsystem davon betroffen sind. So können sich zum Beispiel die Bronchien verengen, die Kinder fangen an, zu husten. Sie bekommen eine pfeifende Atmung, leiden an Kurzatmigkeit, die bis hin zu einem Asthmaanfall und Luftnot führen kann.

Die schwerste Folge einer Nahrungsmittelallergie bei Kindern ist der so genannte allergische oder anaphylaktische Schock, wobei das Herz-Kreislaufsystem komplett versagt. Dieser kann, ebenso wie schwere Atemnot, lebensbedrohlich verlaufen. Die Warnzeichen: Kinder werden von einer Sekunde auf die andere aschfahl, von einer plötzlichen Müdigkeit befallen und es wird ihnen schwindelig. Sie leiden an Bewusstseinstrübung.

Rufen Sie bei diesen Warnzeichen sofort einen Notarzt. Alarmieren Sie den Rettungsdienst in jedem Fall, auch wenn Sie Notfallmedikamente gegen den allergischen Schock anwenden. Diese allergische Variante des Asthmas bronchiale, kurz Asthma genannt, verschwindet bei etwa der Hälfte der Kinder mit der Pubertät. Allerdings bleiben die Bronchien zeitlebens überempfindlich und reagieren auf bestimmte Reize.

Allergischer Schock

Kinder mit Anaphylaxie-Risiko benötigen ein Notfallset mit einem Adrenalin-Autoinjektor. Eltern und Betreuer sollten im Umgang mit den Notfallmedikamenten geschult sein. Der Facharzt sollte einen entsprechenden Anaphylaxie-Pass ausstellen. Die Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie-Training und Edukation (AGATE) hat ein Schulungsprogramm für Eltern und Erzieher entwickelt (anaphylaxieschulung.de). Der Deutsche Allergie- und Asthmabund (DAAB) bietet Online-Seminare, Information und Beratung für Eltern, Kinder sowie Erzieher und Lehrer an (daab.de).

Oft unspezifische Symptome – aber Kinder mit Neurodermitis sind besonders gefährdet

Die große Schwierigkeit bei Nahrungsmittelallergien von Kindern: „Die Symptome sind nicht spezifisch, fallen individuell sehr verschieden aus und können zudem hintereinander oder zeitgleich auftreten“, sagt Sabine Schnadt. Aber wovon hängt es ab, ob ein Kind eine Nahrungsmittelallergie entwickelt?

Zwei Gründe hat die Forschung bisher ausmachen können. Erstens treten Nahrungsmittelallergien besonders häufig bei Kindern auf, die an einer Neurodermitis, einer chronisch entzündlichen Hautkrankheit, leiden.

So haben die Ergebnisse einer australischen Studie im Jahr 2015 gezeigt, dass nur eines von 25 hautgesunden Kindern eine Nahrungsmittelallergie entwickelt, dagegen aber eines von fünf Kindern mit einer Neurodermitis. „Erklärt wird das durch eine gestörte Hautbarriere der Kinder, wodurch das Allergen über die Haut in den Körper gelangt“, erläutert die DAAB-Ökotrophologin.

Das Problem im praktischen Leben: Vermeiden lässt sich der Kontakt mit einem Allergen im Alltag nur schwerlich. Erdnuss- und Hühnerei-Proteine sind sogar in den Kinderbetten vorhanden, man konnte sie sogar im Hausstaub nachweisen.

Auch die familiäre Veranlagung erhöht das Allergie-Risiko deutlich

Von Allergie betroffen:Vererbtes Risiko auf das Kind:
Ein Elternteil20 – 40 %
Beide Elternteile mit unterschiedlichen Allergien40 – 60 %
Beide Elternteile mit der gleichen Allergie60 – 80 %

 

Erdnüsse bergen ein hohes Risiko für eine Nahrungsmittelallergie

„Erdnüsse gehören zu den häufigsten Allergenen bei Kindern und Jugendlichen“, sagt die DAAB-Ökotrophologin Sabine Schnadt. Sollten Eltern den Kindern vorsorglich keine allergenen Nahrungsmittel geben und damit zum Beispiel Erdnüsse komplett streichen? „Nein“, antwortet die Expertin und verweist auf die englische LEAP-Studie, deren Ergebnisse 2015 veröffentlicht worden sind.

Die Wissenschaftler am King’s College in London haben herausgefunden, dass bei Risikokindern, das heißt Säuglingen mit Neurodermitis und/oder Hühnerei-Allergie, eine Erdnussallergie in sehr vielen Fällen verhindert werden kann. Und zwar, indem man ihnen beginnend im ersten Lebensjahr bis zum fünften Geburtstag regelmäßig Erdnussmus oder -pulver gibt.

Allem Anschein nach führt eine frühe Fütterung mit allergenen Nahrungsmitteln dazu, dass das kindliche Immunsystem eine vermutlich sogar lebenslange Toleranz gegen das Eiweiß aufbaut.

„Die LEAP-Studie hat zu einem echten Paradigmenwechsel in der Allergiewelt gesorgt“, betont die Ökotrophologin aus Mönchengladbach. So lautete bei Risikokindern die frühere Empfehlung, die Hauptallergene wie etwa Erdnuss, aber auch Milch, Ei und Weizen und weitere Hauptallergene, im ersten Lebensjahr komplett zu meiden.

Heute rät man – auch bei Kindern mit familiär bedingtem Allergierisiko – zu einer normalen Beikost-Einführung mit Milch, Ei, Weizen und so weiter. Auch Erdnuss soll dann im ersten Jahr eingeführt werden, wenn sie in der familiären Ernährung eine Rolle spielt.


 

Orale Immuntherapie gegen Erdnussallergie

Ein Lichtblick für Kinder und Jugendliche mit einer Erdnussallergie ist die im vergangenen Jahr erstmals in Europa zugelassene orale Immuntherapie gegen Erdnussallergie. Das Prinzip: Sie erhalten ein Medikament, das entfettetes Erdnusspulver in steigender Dosierung enthält. Dieses wird jeden Tag in das Essen eingerührt, damit sich somit die auslösende Schwelle für eine allergische Reaktion des Körpers auf das Allergen erhöht.

Julian verbringt einen Tag mit seiner Mutter in einer für die Therapie spezialisieren Klinik. Er toleriert die anfängliche Menge von 3 Milligramm Erdnusspulver in der Arznei und darf nach Hause. Nun wird die Dosis bei der oralen Immuntherapie gegen Erdnussallergie alle zwei Wochen von seinem Kinderarzt erhöht.

„Es dauert ungefähr ein halbes Jahr, bis die Erhaltungsdosis erreicht ist“, sagt Sabine Schnadt. „Ziel ist es, eine Toleranz von 300 Milligramm Erdnussprotein zu erreichen, was etwa einer ganzen Erdnuss entspricht.“

Umweltfaktoren, die eine Allergie fördern können:

  • Luftschadstoffe und Tabakrauch
  • Übertriebene Hygienemaßnahmen
  • regelmäßige Fast-Food-Ernährung

„Diese Umweltfaktoren werden unter anderem für ein vermehrtes Auftreten von allergischen Erkrankungen verantwortlich gemacht“, erklärt Sabine Schnadt.

Eine enorme Erleichterung für Eltern und Kinder

Im Rahmen von klinischen Studien hat die Hälfte der behandelten Kinder am Ende sogar die Höchstdosis von 1.000 Milligramm Erdnussprotein vertragen, was ungefähr vier Erdnusskernen entspricht. „Das hört sich erst einmal wenig an, doch im Alltag bedeutet das für die Kinder und ihre Eltern eine enorme Erleichterung“, erklärt die Expertin. Viele Kinder reagieren schon auf kleine Mengen, unter Umständen schwer, wenn sie versehentlich Schokolade, Kuchen oder Müsli essen, die Spuren von Erdnussprotein enthalten.

„Patienten müssen auch unter Therapie weiterhin den bewussten Verzehr von Erdnüssen meiden. Mit der oralen Immuntherapie gegen Erdnussallergie lässt sich aber das Risiko bei unbeabsichtigtem Verzehr von Erdnuss deutlich verringern“, betont die Ökotrophologin.

„Allergische Reaktionen können so verhindert werden oder deutlich milder und weniger gefährlich verlaufen. Das ist für Kinder wie Eltern eine Erleichterung und verbessert die Lebensqualität enorm.“ Allerdings dürfen die Betroffenen die „Erdnussdiät“ nie aufgeben und müssen die Arznei weiterhin täglich einnehmen, um die Toleranz von Erdnussprotein zu erhalten. So wie Julian.

Quellen:

Ute Wegner

Medizinjournalistin

Ute Wegner hat ihr Handwerk an einer der führenden Journalistenschulen Deutschlands gelernt und schreibt seit vielen Jahren als Medizinredakteurin über Medizin, Wissenschaft und Biologie. Sie legt Wert auf eine eingängige Sprache und hat als Fachlektorin die bekannten Kinderbücher vom kleinen Medicus von Prof. Dietrich Grönemeyer lektoriert.