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Organspende: Leben retten – Ja oder Nein ?
Organspende ist ein berührendes Thema: Der Tod des einen, der das Leben eines anderen retten kann. Die Organspende ist in Deutschland streng geregelt, dennoch gibt es hierzulande zu wenig Organspender. Viele Menschen sind unsicher, haben Bedenken. Zum Tag der Organspende am 7. Juni informiert Dr. Ana Paula Barreiros umfassend über das Thema. Denn jeder hat das Recht auf ein Ja oder ein Nein – oder auf ein Unentschieden.
Inhaltsverzeichnis
- Organe nach dem Tod einem anderen Menschen übertragen
- Tag der Organspende am 7. Juni: Informationen und Aufklärung
- Derzeit gilt: Ein Organspender muss zu Lebzeiten zugestimmt haben
- Das Alter spielt bei der Organspende keine Rolle
- Eurotransplant mit zentraler Warteliste von acht europäischen Ländern
- Organentnahme muss so schnell wie möglich geschehen
- Die Würde des Verstorbenen achten
Mit Blaulicht bringt der Rettungswagen Max M. in die nächstgelegene Klinik. Er hatte einen Autounfall. Auf der Intensivstation wird der bewusstlose 48-Jährige sofort an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Neben massiven Prellungen und Quetschungen am ganzen Körper stellen die Ärzte bei ihm ein schweres Schädel-Hirn-Trauma fest. Wenige Stunden später können sie nichts mehr für ihn tun. Max M. stirbt an einer Hirnblutung. Damit ist er ein potenzieller Organspender.
„Bei mehr als der Hälfte der Organspender in Deutschland ist die Todesursache eine Hirnblutung“, sagt Dr. Ana Paula Barreiros, geschäftsführende Ärztin bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) Region Mitte mit Hauptsitz in Frankfurt am Main. „Ein Mensch gilt als hirntot, wenn die Funktionen in Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm unwiederbringlich erloschen sind. Das wird von zwei dafür qualifizierten Ärztinnen oder Ärzten unabhängig voneinander bundesweit nach einheitlichen und strengen Kriterien festgestellt.“
Einer der Mediziner muss Fachärztin oder Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie sein. Beide müssen sich mit der intensivmedizinischen Behandlung von schwerst gehirngeschädigten Menschen auskennen. An einem Hirntod – Voraussetzung für eine Organspende – versterben in Deutschland weniger als ein Prozent der Menschen.
„Eine Organspende setzt den Hirntod voraus – in Deutschland sterben weniger als ein Prozent der Menschen an dieser Todesursache. ”
Organe nach dem Tod einem anderen Menschen übertragen
Max M. hatte einen Organspendeausweis bei sich. Seine Frau und Kinder bestätigen den Wunsch ihres verstorbenen Mannes und Vaters, seine Organe nach dem Ableben einem anderen Menschen zugute kommen zu lassen. „Er wollte Leben schenken“, betont Dr. Barreiros. „Wenn alle Beteiligten wissen, was der Verstorbene wollte, ist das für uns eine gelungene Organspende.“
Eine Organspende bedeutet, dass nach dem Hirntod eines Menschen Organe entnommen werden, um sie einem anderen Patienten zu übertragen. In diesen Fällen spricht man von einer postmortalen Organspende und anschließender Organtransplantation.
Tag der Organspende am 7. Juni: Informationen und Aufklärung
953 Menschen haben hierzulande im Jahr 2024 nach ihrem Tod Organe für eine Transplantation gespendet. Gleichzeitig standen Ende des vergangenen Jahres 8.269 schwerkranke Menschen auf den Wartelisten für eine Organübertragung. Zwei bis drei von ihnen sterben jeden Tag, weil es nicht genügend Spenderorgane gibt. Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland damit einen der hinteren Plätze ein.
Warum das so ist? „Die Mythen und das Nichtwissen über die Organspende sind immens“, sagt Dr. Barreiros. „Deswegen geht es uns als DSO um transparente und klare Aufklärung wie zum Beispiel am diesjährigen Tag der Organspende am 7. Juni.“
„953 Menschen haben 2024 nach ihrem Tod Organe gespendet. Gleichzeitig standen 8.269 schwerkranke Menschen auf den Wartelisten. ”
Derzeit gilt: Ein Organspender muss zu Lebzeiten zugestimmt haben
Damit sich die Situation in Deutschland ändert und mehr Menschenleben mit Spenderorganen gerettet werden können, setzt sich ein parteiübergreifendes Bündnis von Abgeordneten des Deutschen Bundestags für die sogenannte Widerspruchslösung ein. Das bedeutet, dass jeder volljährige und einwilligungsfähige Mensch zum Organspender wird, wenn er dem nicht zu Lebzeiten widersprochen hat.
„Wir als DSO sind für die Widerspruchslösung. Sie ist ein Zeichen dafür, dass es ,normal‘ ist, seine Organe zu spenden, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Genauso wie wir es als ,normal‘ empfinden, dass jemand ein Organ transplantiert bekommt, wenn er eines benötigt“, sagt die geschäftsführende Ärztin.
Doch diese Lösung ist zurzeit auf Eis gelegt. Denn sie ist umstritten. So sieht z. B. Prof. Claudia Wiesemann, Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universitätsmedizin Göttingen, darin einen gravierenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Menschen über seinen eigenen Körper. Aktuell gilt in Deutschland die sogenannte Erweiterte Entscheidungslösung.
Diese besagt, dass nur dann Gewebe und Organe eines hirntoten Menschen entnommen werden dürfen, wenn die verstorbene Person ausdrücklich zu Lebzeiten zugestimmt hat. Liegt dagegen keine Einwilligung vor, müssen enge Angehörige die Entscheidung nach dem Willen des Verstorbenen treffen.

Sie können Ihre Bereitschaft, nach dem Tod Organe zu spenden, erklären mit
einem formlosen Schreiben, das Sie bei sich tragen oder zuhause hinterlegen und die Angehörigen darüber informieren
einem Eintrag in der Patientenverfügung
einem bei Ihrer Krankenkasse erhältlichen Organspendeausweis
einem Eintrag in das digitale Organspende-Register (organspende-register.de)
„In Deutschland entscheiden in etwas mehr als der Hälfte der Fälle die Angehörigen, ob eine Organspende vorgenommen werden darf, entweder nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen oder ihren eigenen Wertvorstellungen“, bedauert Dr. Barreiros. Das ist die Crux. „Denn über 70 Prozent von ihnen entscheiden sich bei letzterem dagegen, weil sie unsicher sind. Deshalb ist es so wichtig, dass das jeder für sich entscheidet, und damit den Angehörigen die Belastung in dieser schwierigen Situation abnimmt.“
Das Alter spielt bei der Organspende keine Rolle
Ist der Hirntod bei einem Verstorbenen festgestellt und liegt das Einverständnis von ihm oder den Angehörigen vor, wird der Fall an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) gemeldet. Sie ist die bundesweite Koordinierungsstelle für die postmortale Organspende in Deutschland. Ihre Koordinatoren sind für die Krankenhäuser rund um die Uhr zu erreichen. Im Akutfall unterstützen sie das Krankenhauspersonal in den organisatorischen Abläufen. Nachdem der Hirntod festgestellt worden ist, wird die oder der Verstorbene umfangreich untersucht.
Eine Entnahme und Transplantation kommt nicht in Frage, wenn bei dem potenziellen Organspender eine akute Krebserkrankung festgestellt wird, ein positiver HIV-Befund, akute Tuberkulose, übertragbare Infektionskrankheiten oder Prionen-Erkrankungen – das sind seltene, derzeit unbehandelbare degenerative Erkrankungen des Gehirns. Dagegen gibt es keine Altersbeschränkung. So war die bislang älteste Organspenderin in Deutschland 98 Jahre alt. Ihr wurde im Jahr 2009 eine Leber entnommen und erfolgreich transplantiert. Vor zehn Jahren spendete eine 96-Jährige Leber und Niere, auch das mit Erfolg.
Eurotransplant mit zentraler Warteliste von acht europäischen Ländern
Max M. war gesund. Er kommt für eine Organspende in Frage. Die DSO übermittelt seine Daten – wie die aller Organspender – an die Stiftung Eurotransplant, eine Organisation mit Sitz im niederländischen Leiden. Die Stiftung ist verantwortlich für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern. Zum Verbund gehören Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Ungarn und Slowenien.
Es gibt ein gemeinsames Spender-Meldesystem sowie eine zentrale Warteliste, auf der zurzeit rund 14.000 Patienten stehen. Die große Anzahl ermöglicht, fast jedes Spenderorgan einem geeigneten Empfänger zuzuordnen. Die Auswahl wird unter anderem nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht mit Hilfe eines komplexen Computerverfahrens bestimmt. Nun beginnt das Rennen gegen die Zeit, denn die Spenderorgane müssen innerhalb weniger Stunden entnommen und zu dem Empfänger gebracht werden. Denn die Zeit, in der die Organe nicht durchblutet werden, in der Fachsprache Ischämiezeit genannt, muss so kurz wie möglich sein.
„Die Auswahl des Empfängers wird nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht mit Hilfe eines komplexen Computerverfahrens bestimmt. ”
Organentnahme muss so schnell wie möglich geschehen
Die Organentnahme von Herz und Lunge hat eine Ischämiezeit von vier bis sechs Stunden. Damit alle Schritte so rasch wie möglich ablaufen, kommt in der Regel bei einer Herz- und Lungenentnahme das Operationsteam, das auch die Transplantation vornehmen wird, mit Auto, Flugzeug oder – selten – mit einem Hubschrauber, um die Organe dem Spender zu entnehmen und zum Empfänger zu transportieren.
Das Übertragen der Organe wird in einem dafür vorgesehenen sogenannten Transplantationszentrum vorgenommen. Insgesamt gibt es 79 derlei interdisziplinäre Einrichtungen in den Eurotransplant-Mitgliedstaaten. Leber und Bauchspeicheldrüse können zehn bis zwölf Stunden ohne Sauerstoff auskommen, die Nieren sogar bis zu 24 Stunden. Diese Organe entnehmen speziell dafür ausgebildete Chirurgen in „Entnahmekrankenhäusern“, zu denen alle Krankenhäuser mit Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeiten zählen. Davon gibt es rund 1.200 in Deutschland.
Die vier Arten einer Organspende:
Postmortale Organspende, bei der bis zu acht Organe gespendet werden können. Das sind zwei Nieren, zwei Lungenflügel, Herz, Leber, Bauchspeicheldrüse und Darm. Es müssen aber nicht alle Organe gespendet werden. Man kann im Organspendeausweis eintragen, welche Organe entnommen werden dürfen und welche nicht.
Gewebespende: Auch Gewebe kann entweder von einem lebenden oder verstorbenen Menschen entnommen und übertragen werden, dazu gehören unter anderem die Augenhornhaut, Herzklappen, Knochen, Blutgefäße, Haut, Weichteilgewebe. Dies kann ebenfalls im Organspendeausweis dokumentiert werden.
Lebendorganspende, bei der Spender ihre eigenen Organe für eine Transplantation zur Verfügung stellen. Vor allem Nieren, Teile der Leber und in ganz seltenen Fällen auch Teile der Lunge, können auf Empfänger übertragen werden. Die Lebendspende wird – abgesehen von der Niere – in Deutschland jedoch kaum durchgeführt.
Stammzellspende, ebenfalls eine Lebendspende. Dafür eignen sich grundsätzlich gesunde volljährige Menschen. Stammzellen sind sogenannte Vorläuferzellen, die sich zu verschiedenen Blutzellen entwickeln können. Blutbildende Stammzellen befinden sich im Knochenmark und können Menschen mit schweren Bluterkrankungen wie z. B. Blutkrebs transplantiert werden.
Die Würde des Verstorbenen achten
Viele Menschen befürchten, dass etwas schiefgeht, die Ärzte eventuell nicht genug für das Überleben des Schwerstkranken tun. Diese Sorge sieht Dr. Barreiros als völlig unbegründet an. Es werde alles, wirklich alles getan, um den Menschen zu retten. Nach einem festgestellten unwiederbringlichen Hirnfunktionsausfall, dem Hirntod, jedoch gebe es nur zwei Optionen: Das Beatmungsgerät abschalten, dann tritt auch der Herz-Kreislauf-Stillstand ein, oder die Beatmung und intensivmedizinischen Maßnahmen für wenige Stunden bis zur Organentnahme fortsetzen.
„Es gibt keinen medizinischen Bereich in Deutschland, der so klar strukturiert ist wie die Organspende“, unterstreicht Dr. Barreiros. „Die Regularien sind überall gleich, alles wird streng und gewissenhaft protokolliert.“ Auch wird die Würde des Verstorbenen bedacht. Bevor die Organentnahme beginnt, gedenkt und dankt das gesamte Team in einer Schweigeminute dem Spender.
„Es gibt keinen medizinischen Bereich in Deutschland, der so klar strukturiert ist wie die Organspende”
Nach der Entnahme wird die Wunde wie nach jeder Operation sorgfältig verschlossen. Dann können sich die Angehörigen auf Wunsch von dem Verstorbenen verabschieden. „Wir sehen uns als Anwalt der Verstorbenen. Es ist uns ein Anliegen, ihnen mit Würde und Pietät zu begegnen“, sagt Dr. Barreiros.
Ja oder Nein: Wie Sie Ihre Entscheidung zur Organspende vorbereiten können
Informieren Sie sich gründlich, z. B. beim Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO), dem Bundesministerium für Gesundheit (BM) oder bei Ihrer Hausärztin bzw. Ihrem Hausarzt. Sprechen Sie dort offen alle Ängste an, die Sie haben.
Beraten Sie sich auch mit Ihren liebsten Angehörigen und/oder engen Freunden darüber, sprechen Sie mit ihnen über eventuelle Zweifel, die völlig in Ordnung sind.
Wenn sie gläubig sind, suchen Sie das Gespräch mit einem Geistlichen Ihres Vertrauens.
Gehen Sie in aller Ruhe in sich und treffen die Entscheidung allein und für sich.
Setzen Sie sich nicht unter Druck, sondern lassen Sie sich die Zeit, die Sie benötigen.
Es ist auch Ihr gutes Recht, sich nicht zu entscheiden. In diesem Fall müssen Ihre Angehörigen nach Ihren Wertvorstellungen entscheiden, auch wenn das nicht einfach für sie ist.
Quellen
- Interview mit Dr. Ana Paula Barreiros, geschäftsführende Ärztin bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) Region Mitte
- https://www.bundesgesundheitsministerium.de/entscheidungsbereitschaft-organspende.html
- https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/organspende-register-106.html
- https://www.transplantation-verstehen.de/etappen/die-wartezeit/arten-der-organtransplantation
- https://www.deutschlandfunk.de/organspende-widerspruchsregelung-zustimmungsregelung-100.html
- https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw05-pa-gesundheit-transplantationsgesetz-1038610
- https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Organspende-Fragen-und-Antworten-im-FAQ,organtransplantation108.html
- https://www.zeit.de/news/2025-02/05/96-jaehrige-spendete-organe-stiftung-wirbt-mit-beispiel
- https://www.eurotransplant.org/region/deutschland/
- https://dso.de/SiteCollectionDocuments/Hintergrundtexte%20PDFs/Hintergrund_Organtransport.pdf
- https://www.organspende-info.de/stammzellenspende/

Dr. Ana Paula Barreiros
Expertin
Geschäftsführende Ärztin bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) Region Mitte mit Hauptsitz in Frankfurt am Main

Prof. Dr. Claudia Wiesemann (emerit.)
Expertin
Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universitätsmedizin Göttingen

Ute Wegner
Medizinjournalistin
Ute Wegner hat ihr Handwerk an einer der führenden Journalistenschulen Deutschlands gelernt und schreibt seit vielen Jahren als Medizinredakteurin über Medizin, Wissenschaft und Biologie. Sie legt Wert auf eine eingängige Sprache und hat als Fachlektorin die bekannten Kinderbücher vom kleinen Medicus von Prof. Dietrich Grönemeyer lektoriert.