
- Startseite
- Magazin
- Gesundheit
- Parasympathikus: Warum wir unseren Ruhe-Nerv häufiger aktivieren sollten
Parasympathikus: Warum wir unseren Ruhe-Nerv häufiger aktivieren sollten
Im Leben gilt: Schneller, weiter, höher, besser. Es geht um Leistung. Das gibt uns einen gewissen Kick, fordert aber auch seinen Preis. So überstrapazieren wir „den Sympathikus und trainieren den Parasympathikus viel zu wenig“, sagt Dr. Franz Sperlich. Das könne verheerende Folgen haben, warnt der Allgemeinmediziner, der als Co-Autor das Buch „Das Parasympathikus-Prinzip“ geschrieben hat.
Inhaltsverzeichnis
- Welche Aufgaben haben Sympathikus und Parasympathikus?
- Was passiert, wenn der Parasympathikus zu selten aktiviert wird?
- Wie merkt man überhaupt, dass der Sympathikus zu häufig aktiv ist?
- Wie kann man das Gleichgewicht von Sympathikus und Parasympathikus stärken?
- Wie trainiert man den Parasympathikus?
Sympathikus und Parasympathikus – die beiden werden gerne als Gegenspieler unseres Nervensystems bezeichnet. Dazu muss man wissen: Das Nervensystem besteht aus dem zentralen und dem peripheren Teil. „Unser zentrales Nervensystem ist im Wesentlichen das Gehirn. Zum peripheren Nervensystem gehört – verkürzt gesagt – alles, was außerhalb dieses Bereichs liegt“, erklärt Franz Sperlich.
Das periphere Nervensystem unterteilt man nochmal in ein System, das wir steuern können, und eines, das autonom arbeitet. „Sympathikus und Parasympathikus sind wichtige Bestandteile dieses autonomen, peripheren Nervensystems“, so der Experte. Dabei dürfe man sich die beiden weniger als einen langen Nerv vorstellen, sondern als ganzes Netzwerk.
„Der Parasympathikus hat zwei Zentren: eines im Hirnstamm und eines im Sakralmark, tief in der Wirbelsäule. Von diesen aus erstreckt sich das parasympathische System über viele Verästelungen bis in die Organe hinein – Herz, Magen und Darm, aber auch Augen und Stimme.“ Beim Sympathikus liegen die Zentren an verschiedenen Stellen im Rückenmark.
Welche Aufgaben haben Sympathikus und Parasympathikus?
„Der Sympathikus stellt Energie bereit, wenn wir zum Beispiel muskuläre Kraft brauchen, um zu fliehen oder zu kämpfen – oder in der heutigen Zeit, um die Bahn zu kriegen. Aber auch, um die Leistungsbereitschaft vor einer Prüfung zu steigern.“
Der Parasympathikus ist dagegen der Ruhe-Nerv. Er sorgt dafür, dass der Körper sich regenerieren kann. Und das ist extrem wichtig. Denn gewisse körperliche Prozesse funktionieren nur, wenn der Parasympathikus aktiv ist. Das gilt zum Beispiel für den Darm. Erst unter Parasympathikus-Einfluss kann unser Körper verdauen, Nährstoffe aufnehmen und uns mit Energie versorgen.
„Erst unter Parasympathikus-Einfluss kann unser Körper verdauen, Nährstoffe aufnehmen und uns mit Energie versorgen.”
Auch die Reparatur und Erneuerung von Zellen finden in diesen Phasen statt, ebenso wie Entgiftungsprozesse. Auch der Sexualbereich hängt stark von diesem Nerven-Netzwerk ab. Im Buch beschreiben Sperlich und seine Mit-Autorin Dr. Ursula Eder den Parasympathikus als „inneren Heiler“ – ein Bild, das es ziemlich gut trifft.
„Wir sind darauf angewiesen, eine Balance zwischen Leistung und Ruhe zu haben“, betont Franz Sperlich. „Bei zu viel Leistung haben wir einen zu hohen Energieverbrauch und die Systeme laufen heiß. Wenn wir zu entspannt sind, hängen wir nur noch auf dem Sofa und schaffen nichts mehr.“ Das Problem: Viele Menschen haben die Balance verloren.
„Das Problem: Viele Menschen haben die Balance verloren.”
Was passiert, wenn der Parasympathikus zu selten aktiviert wird?
Es geht los, sobald der Wecker klingelt: Duschen, Frühstück machen, Kind durchs Bad schleusen, Kita, Arbeit, erster Call, zweiter Call, arbeiten, arbeiten, arbeiten, Mittagessen reinschieben, Kind einsammeln. Klingt stressig? Ist es auch! Und der Tag ist ja noch nicht vorbei. Im Minutentakt plingt dazu das Handy – Nachrichten via WhatsApp, neue Mail vom Chef, Newsticker von der Tagesschau. Uff.
„In unserer Welt geht es darum, Aufmerksamkeit zu erzielen. Durch Werbung, durch Netflix-Serien, durch Videospiele. Das aktiviert den Sympathikus und sorgt gleichzeitig dafür, dass der Parasympathikus zu wenig am Zug ist. Vielen Menschen fällt es immer schwerer, zur Ruhe zu kommen“, erklärt Franz Sperlich. Der Preis dieses Ungleichgewichts können Verdauungs- und Schlafstörungen sein, aber auch Bluthochdruck oder depressive Verstimmungen.
„Umso länger die Stressphase andauert und umso geringer die Entspannungszeit ist, desto größer ist die biologische Abnutzung: Wir zerstören auf Dauer unsere körpereigenen Regulationsmechanismen, altern schneller und leiden unter Stresserkrankungen bis hin zum Burnout“, erklärt Franz Sperlich.
Er hat sich deswegen zum Ziel gesetzt, möglichst viele Menschen darüber zu informieren, was der Parasympathikus überhaupt ist. Und: „Wie wir ihn aktivieren können, damit wir uns nach einem stressigen Tag runterbringen, unsere Akkus aufladen können und für die nächste Stress-Phase gewappnet sind.“
Wie merkt man überhaupt, dass der Sympathikus zu häufig aktiv ist?
Wie sich Stress, also die Hochphasen des Sympathikus, anfühlt, wissen die meisten Menschen. „Ist der Sympathikus aktiv, merkt man das unter anderem am Herzschlag. Man ist in einer ständigen Leistungsbereitschaft und innerlich unruhig, es fällt schwer, sitzen zu bleiben“, beschreibt Franz Sperlich. „Auch der Blutdruck kann ansteigen und in extremen Fällen beginnt man zu schwitzen.“ Um zu testen, wie es wirklich um das Gleichgewicht zwischen Sympathikus und Parasympathikus steht, misst der Mediziner bei seinen Patientinnen und Patienten die Herzratenvariabilität.
„Das ist die Unregelmäßigkeit zwischen den Herzschlägen, die normal ist, weil sie zeigt, dass unser Körper sich an veränderte Situationen anpassen kann“, sagt Sperlich.
„Ist der Sympathikus aktiv, merkt man das unter anderem am Herzschlag.”
Ist der Sympathikus aktiv, schlägt unser Herz gleichmäßig stark, ist der Parasympathikus am Zug, ist der Herzschlag nicht mehr so gleichmäßig. „Wenn die Herzratenvariabilität hoch ist, haben wir also einen niedrigen Stresslevel. Das heißt, dass Sympathikus und Parasympathikus sich gut gegenseitig den Staffelstab übergeben.“
Die Messung, die sonst vor allem von Kardiologinnen und Sportmedizinern angewandt wird, könne man in vereinfachter Form aber auch zu Hause machen, sagt Sperlich. Denn auch Fitnessuhren messen die Herzratenvariabilität und teilen uns auf dieser Grundlage zum Beispiel mit, ob wir gut geschlafen haben.
Für den Mediziner sind solche Uhren eine echte Errungenschaft: Die eigentliche Messung der Herzratenvariabilität ist zwar schon mehrere Jahrzehnte alt, dass sie nun aber für jeden unkompliziert und günstig zugängig ist, findet er toll. Trotzdem seien die Uhren nicht für jeden etwas, weiß der Mediziner. „Manche Menschen entwickeln dadurch gefährliche Wechselschleifen: Sie schauen ständig auf den Tracker, um ihr Stresslevel zu überprüfen, was sie wiederum stresst.“
Wie kann man das Gleichgewicht von Sympathikus und Parasympathikus stärken?
Um Parasympathikus und Sympathikus möglichst im Gleichgewicht zu halten, sei es auch wichtig, dass man gut mit Nährstoffen und Vitaminen versorgt sei, sagt Franz Sperlich. Magnesium, Omega 3, B-Vitamine und Vitamin D3 spielten dabei eine entscheidende Rolle. Wer die Werte überprüfen lassen möchte, kann das über eine Blutuntersuchung beim Hausarzt tun – die Kosten für die Untersuchung im Labor tragen Patientinnen und Patienten aber selbst.
Wer nicht gleich zum Arzt gehen will, sollte zumindest auf seine Ernährung achten und bevorzugt Lebensmittel mit den entscheidenden Nährstoffen essen. Außerdem rät der Mediziner: „Wer sich gerade in einer Umstellungsphase befindet, zum Beispiel Frauen in den Wechseljahren, sollte unbedingt seinen Hormonspiegel überprüfen lassen.“
Wie trainiert man den Parasympathikus?
Und generell gilt: Wir sollten unseren Parasympathikus nicht erst trainieren, wenn es zu spät ist, sondern am besten schon jetzt Rituale in unseren Alltag integriert haben, die uns runterbringen. All jene, die sich gerne mit Sport entspannen, sollten allerdings bedenken, dass die körperliche Leistung zunächst den Sympathikus aktiviert.
Deswegen sollte man zwischen Sport und Schlafenszeit mindestens drei Stunden Pause einplanen. Die Entspannung, die viele dann nach dem Sport fühlen, resultiert aus dem Gegensatz: Wir haben den Sympathikus hochgepusht – und spüren danach, wie es sich anfühlt, im Parasympathikus zu sein.
„Deswegen sollte man zwischen Sport und Schlafenszeit mindestens drei Stunden Pause einplanen.”
Diese Gegensätze kann man auch durch andere „Grenzgänge“ entdecken, sagt der Mediziner: Große Hitze in der Sauna, eisige Kälte in der Dusche, oder mal einen Tag lang hungern. „Wir leben in einer Komfortkrise: Essen gibt es dreimal am Tag und in der Wohnung ist es immer schön warm. Sich aber wirklich mal Hunger oder Kälte auszusetzen, finde ich persönlich wichtig. Denn so bringt man den Körper dazu, sich wieder selbst zu regulieren – das ist nämlich auch eine Aufgabe des vegetativen Nervensystems.“
Gemeinsam mit Franz Sperlich haben wir sechs weitere Ideen gesammelt, mit denen Sie Ihren Parasympathikus aktivieren können. Wichtig: Nicht jede Methode funktioniert bei jedem Menschen, man muss für sich selbst herausfinden, was guttut. „Mehr Achtsamkeit ist aber auf jeden Fall eine gute Richtschnur für die Aktivierung des Parasympathikus“, sagt der Mediziner.
Atmen: „Die meisten Menschen atmen zu flach. Dadurch werden die Gase nicht richtig ausgetauscht und sie können übersäuern. Außerdem wird der Parasympathikus erst stimuliert, wenn wir bis ins Zwerchfell atmen,“ sagt Sperlich. Tief, ruhig und gleichmäßig atmen ist also die Devise. Im nächsten Schritt: Die Luft nach dem Einatmen anhalten und dann lange und langsam ausatmen. „Generell ist die Atmung eine sehr gute Möglichkeit, sich runterzubringen“, sagt Franz Sperlich.
Anspannung und Entspannung: Wer Sympathikus und Parasympathikus bewusst ansteuern will, kann das auch tun, indem er oder sie Anspannung und Entspannung trainiert und bewusst den Unterschied spürt. Die Methode der „Progressiven Muskelrelaxation“ sei dabei sehr hilfreich, so der Experte.
Langsamkeit: Bei Yoga, Tai Chi oder Chi Gong werden Jahrhunderte alte Techniken geübt, die uns in die Langsamkeit bringen. Das hilft, den Parasympathikus bewusst anzusteuern. Wichtig dabei: die Einstellung. „Wer weiter im Wettbewerb denkt und länger als andere in der Asana, der ruhenden Körperstellung, verweilen will, kommt nicht in die Entspannung“, sagt Franz Sperlich. Aber auch andere Dinge bringen uns in die Langsamkeit: beim Essen oder Trinken mal innezuhalten und bewusst zu schmecken, zum Beispiel.
Sozialleben: „Sich mit Menschen zu umgeben, die einem guttun, halte ich für einen der wichtigsten Punkte“, so Sperlich. Wer sich regelmäßig mit guten Freundinnen und Freunden trifft, redet oder gemeinsam etwas unternimmt, tut seinem Parasympathikus Gutes.
Flow-Zustand: Manche schaffen es beim Joggen, andere beim Malen oder Musizieren: Wer ein Hobby hat, in dem er oder sie richtig abschalten kann, hat viel gewonnen. „Es gibt nicht die ideale Aktivität, die jeden in den Flow-Zustand bringt. Aber wenn wir neue Dinge neugierig ausprobieren, können wir viel erreichen“, rät der Mediziner.
Digital-Detox: Mit diesem Begriff werden in den sozialen Medien die Phasen beschrieben, in denen das Handy – und alle anderen Medien – bewusst ausgeschaltet sind. Solche Phasen seien extrem wertvoll, auch für Kinder und Jugendliche, betont Franz Sperlich: „Digitale Medien sind die absoluten Sympathikus-Aktivatoren.“ Er empfiehlt, mit Familie oder Freunden gemeinsam zu kochen, zu reden, zu spielen oder vorzulesen – und das Handy auszulassen. Aus eigener Erfahrung wisse er: „Das ist tatsächlich eine Herausforderung, lohnt sich aber auf jeden Fall.“
Quellen
- Interview mit Dr. med. Franz Sperlich: https://dr-med-sperlich.de/
- Ratgeber: „Das Parasympathikus-Prinzip: Wie wir mit wenigen Atemzügen unseren inneren Arzt fit machen“, GU Gesundheit, 176 Seiten
- https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/gehirn-nerven/so-steuern-sympathikus-und-parasympathikus-unseren-koerper/

Dr. Franz Sperlich
Experte
Allgemeinmediziner und Co-Autor des Buchs „Das Parasympathikus-Prinzip“