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Megatrend Personalisierte Ernährung – jeder Körper „isst“ anders
Es klingt so simpel: Test-Set nach Hause bestellen, mit dem Wattestäbchen eine Speichelprobe nehmen, zurück ins Labor schicken. Zwei Wochen später sind die Ergebnisse da. Mit der Analyse der individuellen Stoffwechsel-Gene lasse sich dann schlussfolgern, welche Ernährung genau für diese Person die richtige ist. Da purzeln die Pfunde ja schon beim Lesen. Klar, dass Personalisierte Ernährung ein Megatrend ist. Aber Vorsicht, manches Versprechen hält nicht!
Inhaltsverzeichnis
- Das ist Personalisierte Ernährung
- Frauen und Männer brauchen unterschiedlich viele Kalorien
- So funktioniert Personalisierte Ernährung
- Das Neue ist die Technik
- Aktuelle Apps zur Personalisierten Ernährung
- Vorsicht vor Empfehlungen auf Grundlage von Gen-Tests
- Unterstützung durch KI möglich, aber auch hier: Vorsicht!
- Studie zeigt: Nudging kann Verhalten nachhaltig ändern
- Neue App soll Menschen schon vor dem Kauf anstupsen
- Ist das etwa die perfekte Diät?
Die Personalisierte Ernährung gilt als der Trend im Gesundheits- und Ernährungssektor schlechthin. Wie sie genau funktioniert, welche Vorteile und welche Grenzen sie hat, und welche Rolle die aktuelle Technik dabei spielt, das ordnet Ökotrophologin Katja Lotz für uns ein. Die Professorin leitet den Studiengang „Personalisierte Ernährung“ an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Heilbronn.
Das ist Personalisierte Ernährung
Laut Definition gibt die Personalisierte Ernährung Empfehlungen, die über die allgemeinen Ernährungsempfehlungen hinausgehen. Diese werden von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) oder ihren Pendants in Österreich und der Schweiz veröffentlicht.
„Die DGE hat ein wichtiges Feld bearbeitet: Sie zeigt auf, dass bestimmte Lebensmittelgruppen einen positiven Einfluss auf die Gesundheit haben können“, sagt Katja Lotz. „Nun können wir aber nicht von Menschen im Allgemeinen ausgehen, sondern müssen Gruppen bilden: Säuglinge, Kinder, Jugendliche, Heranwachsende, junge Erwachsene, ältere Erwachsene – sie alle haben unterschiedliche Nährstoffbedarfe. Und allein mit dieser Einteilung begeben wir uns in die Individualisierung.“
Frauen und Männer brauchen unterschiedlich viele Kalorien
Aber nicht nur das Alter, auch der Unterschied zwischen Frauen und Männern spiele eine wichtige Rolle – und zwar von Anfang an. Katja Lotz sagt: „Wenn ein 50-jähriger Mann und eine 50-jährige Frau ins Restaurant gehen, können sie eigentlich nicht dasselbe essen. Die Frau hat nämlich einen deutlich geringeren Energiebedarf.“
Das liegt nicht nur daran, dass sie vermutlich kleiner ist als er, sondern vor allem daran, dass Frauen genetisch gesehen einen geringeren Muskelzellanteil haben – und damit auch einen geringeren Ruheenergieumsatz. Das bedeutet, dass weibliche Körper im Ruhezustand weniger Energie verarbeiten als männliche. Kurz gesagt: Sie braucht weniger Kalorien als er.
Dass das so ist, weiß man schon lange, sagt Katja Lotz. „Aber trotz aller Erkenntnisse in der Ernährungswissenschaft beobachten wir eine Zunahme von Übergewicht und Adipositas in der Bevölkerung“, sagt die Professorin. „Es liegt also auch am individuellen Verhalten der Menschen.“ Eine Kehrtwende erhofft man sich nun von der Personalisierten Ernährung.
So funktioniert Personalisierte Ernährung
Um zu verstehen, wie diese genau funktioniert, müssen wir tiefer in die Theorie einsteigen. Katja Lotz und ihr Team haben dazu ein Schalen-Modell entworfen: Insgesamt sieben Schichten gibt es hier, aufgebaut wie eine Zwiebel. Die äußerste Schale beschreibt die Lebensumstände des Menschen – Berufstätigkeit, Familienstatus, Lebensmittelpräferenzen, körperliche Aktivitäten.
Die zweite Schale beschäftigt sich mit Körpergröße, Gewicht und Body-Mass-Index. Die dritte Schicht stellt klinische Parameter dar, die man mit Hilfe von Blut-, Speichel- oder Urin-Untersuchungen messen kann, wie Glucosespiegel, Blutdruck oder Knochendichte.
„Je mehr Daten man kennt, desto genauer kann man dem Menschen Ernährungsempfehlungen geben, die individuell auf ihn abgestimmt sind.”
Von Schicht zu Schicht geht es also immer tiefer in den Körper des Menschen hinein, gleichzeitig steigt der Grad der Individualisierung. In der vierten Schicht geht es um das Metabolom, also die Interaktion der klinischen Parameter, dann um die Epigenetik, Genetik und im Kern der Zwiebel schließlich um das Mikrobiom.
Das Neue ist die Technik
Je mehr Daten man kennt, desto genauer kann man dem Menschen Ernährungsempfehlungen geben, die individuell auf ihn abgestimmt sind. Im Grunde ist die Personalisierte Ernährung also eine Fortentwicklung dessen, was Ernährungsberaterinnen und -therapeuten schon seit Jahrzehnten machen: Sie analysieren eine Person und deren Ernährungsgewohnheiten und erstellen individuelle Speisepläne für diese.
Das Neue ist die Technik, die nun ins Spiel kommt und die wir immer bei uns tragen: Apps auf dem Handy und sogenannte Wearables, also beispielsweise Fitnessuhren oder Ringe, die wir mit unseren Daten füttern und die uns individuelle Ernährungsempfehlungen geben können.
Aktuelle Apps zur Personalisierten Ernährung
„Zurzeit gibt es sehr viele Apps und Wearables zum Thema Personalisierte Ernährung auf dem Markt, aber die meisten bewegen sich auf den äußeren beiden Schalen, individualisieren also nur nach Parametern wie Körpergröße, Gewicht, Geschlecht oder Aktivitätslevel“, sagt Katja Lotz. Anhand dieser Daten und in Kombination mit den allgemeinen Ernährungsempfehlungen errechnen die Apps einen – mehr oder weniger – personalisierten Kalorienverbrauch.
„Die meisten Apps individualisieren nur nach Parametern wie Körpergröße, Gewicht, Geschlecht oder Aktivitätslevel. ”
Mit eingerechnet wird dabei auch, ob man eine sitzende Tätigkeit hat oder sich bei der Arbeit bewegt und wie viel Sport man treibt. Verknüpft man die Fitnessuhr mit der Ernährungsapp auf dem Handy, kann der Kalorienbedarf noch genauer vorhergesagt werden. Um das alles nachzuhalten, muss man seine Mahlzeiten natürlich tracken, also in die App eingeben.
Vorsicht vor Empfehlungen auf Grundlage von Gen-Tests
„Manche Apps gehen auch noch eine Schicht weiter in den invasiven Bereich und berücksichtigen das Blutbild oder den Urin.“ Anbieter, die zurzeit eine Personalisierte Ernährung nach Genetik oder Mikrobiom anböten, könnten leider noch keine validen Ernährungsempfehlungen abgeben, so Lotz. Einfach, weil sie nicht genug wissenschaftliche Evidenzen hätten. Wir befinden uns immer noch auf der Experimentalebene, wenn es um Prävention geht.
Dabei waren die Hoffnungen in der Ernährungswissenschaft groß, als Genetikerinnen und Genetiker 2001 verkündeten, das menschliche Genom entschlüsselt zu haben. „Damals dachte man: Der Blick ins Genom ermöglicht uns, eine ganz bestimmte Ernährung für diesen einen Menschen abzuleiten“, erinnert sich Katja Lotz.
„Leider lassen sich durch Genom und Mikrobiom noch nicht so aussagekräftige Ernährungsempfehlungen ableiten, wie man sich erhofft hatte.”
Man habe in der Zwischenzeit auch Gene ausmachen können, die mit dem Thema Ernährung in Verbindung stehen, wisse aber leider noch nicht, welche Wirkung diese genau haben. Gleiches gelte für das Mikrobiom. „Leider lassen sich durch Genom und Mikrobiom noch nicht so aussagekräftige Ernährungsempfehlungen ableiten, wie man sich erhofft hatte.“
Unterstützung durch KI möglich, aber auch hier: Vorsicht!
So viel zu den Grenzen der Personalisierten Ernährung. Doch auch mit den bisherigen Möglichkeiten könne man schon viel erreichen, sagt Lotz. Urin- und Speichelproben, die man zu Hause selber testen kann, gäben einen ersten Einblick, seien aber nur eine Momentaufnahme.
„Das Blutbild bleibt eine sehr gute Möglichkeit, um den Status des Körpers zu überwachen“, sagt die Professorin. „Auch, wenn man keine Beschwerden hat, rate ich dazu, mindestens einmal im Jahr ein Blutbild beim Arzt oder der Ärztin machen zu lassen – und nicht einfach so Vitamine oder Mineralstoffe zu supplementieren.“
„Das Blutbild bleibt eine sehr gute Möglichkeit, um den Status des Körpers zu überwachen.”
Frauen sollten unbedingt den Status von Vitamin D, Calcium, Eisen, Jod und der Sexualhormone im Blick behalten. In manchen Ernährungs-Apps könne man nicht nur persönliche Essensvorlieben angeben, sondern beispielsweise auch den Wunsch nach einer calcium- oder eisenreichen Ernährung äußern – und die künstliche Intelligenz im Hintergrund erstellt dann die Ernährungspläne.
Apropos KI: Manche Menschen lassen sich Ernährungspläne von ChatGPT oder anderen erstellen. „Es gibt erste Erkenntnisse, die zeigen, dass die Klarheit der KI die Leute dazu veranlasst, das zu glauben. Wir wissen aber, dass ChatGPT manchmal halluziniert oder falsche Wahrheiten als richtig verkauft. Das wird zu einem Problem“, sagt Katja Lotz. KI müsse intelligent integriert werden und im Hintergrund von Expertinnen und Experten kontrolliert werden.
Auch für die Auswahl von Ernährungsapps und Wearables empfiehlt sie, sich genau anzuschauen, wer hinter dem Angebot steckt und es entwickelt hat. „Ein wesentlicher Teil ist, dass es sich um wissenschaftlich fundierte Ernährungsempfehlungen handelt“, so Lotz. „Und dass über die App nicht nur irgendwelche Produkte verkauft werden sollen.“
Studie zeigt: Nudging kann Verhalten nachhaltig ändern
Eine gute App jedoch kann ein echter Gamechanger sein. Bereits im Jahr 2016 zeigte eine Studie des „Human Nutrition Research Centre“ der Newcastle University in England: Mit persönlichen Empfehlungen per App stellten erwachsene Europäer ihre Ernährung langfristiger und besser um als die Kontrollgruppe, die mit herkömmlichen Methoden beraten wurde.
Die Probanden der Testgruppe konsumierten in den sechs Monaten weniger rotes Fleisch, weniger Salz und weniger gesättigte Fettsäuren. Katja Lotz: „Wenn ein Mensch das Gefühl hat, dass etwas nur für ihn persönlich empfohlen wird und er einen Nutzen davon hat, setzt er die Empfehlung eher um.“
„Wenn ein Mensch das Gefühl hat, dass etwas nur für ihn empfohlen wird und er einen Nutzen hat, setzt er die Empfehlung eher um.”
Wie effektiv Wearables und ihre Aufforderungen sein können, wisse man aus dem Sportbereich. Wir erinnern uns an jene Menschen, die kurz nach dem Erwerb einer Fitnessuhr ihren Arbeitsweg plötzlich in Business-Schuhen zu Fuß zurücklegten, um auch ja auf die geforderten 10.000 Schritte pro Tag zu kommen.
Neue App soll Menschen schon vor dem Kauf anstupsen
Dieses „Nudging“, also Erinnern oder Anstupsen durch Apps oder Wearables will man sich nun auch im Ernährungsbereich zunutze machen. Eine Forschungsgruppe aus Lotz‘ Studiengang an der DHBW arbeitet zurzeit an einer App, die den Nutzer schon vor dem Konsum anstupst, also noch im Supermarkt oder am Restaurant-Tisch.
„Wir wollen herausfinden, wie man Menschen dazu bringen kann, bestimmte Lebensmittelgruppen zu wählen. Die App zeigt dann: Wenn du viel von dieser Lebensmittelgruppe isst, hat das einen positiven Einfluss auf die Lebensjahre in Qualität“, sagt Lotz. Denn es gehe ja nicht nur darum, alt zu werden, sondern vor allen Dingen, gesund alt zu werden. Und auf die individuelle Energiezufuhr zu achten.
„Manche Menschen wissen gar nicht, wie hoch die Nährstoffdichte mancher Lebensmittel ist.”
„Manche Menschen wissen gar nicht, wie hoch die Nährstoffdichte mancher Lebensmittel ist, und müssen das erst einmal realisieren.“ Die „guten“ Lebensmittelgruppen decken sich dabei mit dem, was auch die DGE empfiehlt: Viel Gemüse und Vollkornprodukte, wenig Fleisch, wenig Zucker. Am besten natürlich abgestimmt auf den individuellen Nutzer, sein Alter, seine Lebensweise, seine Körpergröße, sein Gewicht.
Ist das etwa die perfekte Diät?
Was nun klingt wie eine perfekt an den eigenen Körper angepasste Diät mit einem starren Regelwerk, soll genau das nicht sein. Im Gegenteil: Die Personalisierte Ernährung soll die Freiheit geben, zu wissen, was einem guttut, und das auch genießen zu können. „Mein Team und ich wollen weg vom Begriff der Sünde. Essen ist Genuss und soll Spaß machen“, sagt Katja Lotz. Auch ein Eis oder eine Pizza seien drin, aber eben nicht täglich, sondern gelegentlich – vor allem, wenn man älter werde.
„Mein Team und ich wollen weg vom Begriff der Sünde. Essen ist Genuss und soll Spaß machen”
„Viele Nahrungsmittel vertragen wir mit 50 Jahren nicht mehr so gut wie mit 20 Jahren. Stoffwechsel und Verdauung verlangsamen sich mit dem Alter, manche Lebensmittel werden nicht mehr so gut abgebaut. Diese Erkenntnis muss bei allen erwachsenen Menschen reifen“, sagt Katja Lotz. Im Übrigen: Für Alkohol gibt es keinerlei Gesundheitsempfehlung, das Beste ist, ihn schlicht wegzulassen.
Bei der Personalisierten Ernährung gehe es auch darum, das Bewusstsein dafür zu schärfen. „Im Grunde ist alles erlaubt, aber die Dosis macht das Gift.“ Katja Lotz hofft, durch Apps und Wearables in Zukunft auch die Menschen besser erreichen zu können, die sich eine klassische Ernährungsberatung nicht leisten können. „Wir möchten allen Menschen Lust darauf machen, sich mit Genuss gesünder zu ernähren.“
Quellen
- Interview mit Prof. Katja Lotz: https://www.heilbronn.dhbw.de/prof-dr-katja-lotz/
- Studie: https://academic.oup.com/ije/article/46/2/578/2622850?keytype=ref&ijkey=tzP7SwxECIjoDg8&login=true
- https://www.aerzteblatt.de/archiv/personalisierte-ernaehrung-neue-konzepte-notwendig-a10cba25-cc2d-405d-9096-03a5b4c72fd2
- https://www.swr.de/swr1/swr1leute/oekotrophologin-prof-katja-lotz-ueber-personalisierte-ernaehrung-102.html
- https://www.nutrition-hub.de/post/trendreport-ernaehrung-trends-2025
- https://www.envivas.de/magazin/gesundheitswissen/ernaehrungspyramide-kinder
- https://www.zdfheute.de/ratgeber/gesundheit/ernaehrung-zukunft-trend-personalisierung-100.html

Katja Lotz
Experte
Ökotrophologin und Professorin, leitet den Studiengang „Personalisierte Ernährung“ an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Heilbronn.