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Placebo-Effekt: Die Macht der positiven Erwartung

Wer an den Erfolg seiner Therapie fest glaubt, wird sehr wahrscheinlich auch von ihr profitieren. Wissenschaftler verstehen immer besser, warum das so ist und wie Patienten diesen Placebo-Effekt optimal für sich nutzen können. Die allermeisten Medikamente oder Behandlungsmethoden entfalten durch ihn wahrscheinlich erst ihre volle Wirkung. Manche werden vielleicht sogar überflüssig. 

ltern benutzen den Placebo-Effekt meist ganz instinktiv: Sie pusten ihrem kleinen Kind den Schmerz, den es sich – vielleicht bei einem Sturz – zugefügt hat, ganz einfach weg. Da das Kind seinen Eltern vertraut und somit fest daran glaubt, dass Mama oder Papa sein Aua in Luft auflösen können, lässt der Schmerz tatsächlich nach.

Auf ganz ähnliche Weise kann schon ein Löffel Sirup oft gegen Bauchweh helfen oder ein Schluck Zitronenwasser die Kopfschmerzen vertreiben. Der elterlichen Fantasie sind dabei, solange es sich um keine ernsten Beschwerden des Kindes handelt, kaum Grenzen gesetzt.

Bei der Anwendung von Placebos macht sich die Medizin die Macht der positiven Erwartung zu Nutze. Es ist erstaunlich, in welchen Bereichen der Effekt zum Einsatz kommt:

  • In Arzneimittelstudien bekommt die Kontrollgruppe ein Scheinmedikament.
  • Echte Medikamente wirken besser, wenn sie beim Patienten mit positiven Erwartungen verknüpft sind.
  • Selbst vorgetäuschte Operationen können Beschwerden lindern.
  • In der Schmerzmedizin ist der Effekt besonders gut erforscht.
  • Auch bei Depressionen und Angststörungen lassen sich Placebos nutzen.
  • Erfolge gibt es zudem bei Schuppenflechte und Arthritis.

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Placebos vor allem in klinischen Studien

In der Medizin werden Placebos – also Scheinmedikamente, die keinen echten Wirkstoff enthalten – bislang vor allem dann eingesetzt, wenn ein neu entwickeltes Medikament in einer klinischen Studie beweisen muss, dass es bei einer bestimmten Erkrankung besser wirkt als ein Placebo.

Die Teilnehmer der Studie werden dazu üblicherweise nach dem Zufallsprinzip in mindestens zwei Gruppen aufgeteilt, bei denen die eine Gruppe den echten Wirkstoff erhält und die andere das Scheinmedikament. Weder die Patienten noch die Ärzte der Studie wissen, welcher Gruppe der einzelne Teilnehmer angehört.

Eine messbare Überlegenheit gegenüber dem Placebo ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass die zuständigen Behörden dem neuen Arzneimittel eine Zulassung erteilen. Fast immer nämlich berichten zumindest einige der Studienteilnehmer, die das wirkstofffreie Präparat erhalten haben, ebenfalls von einer Besserung ihrer Beschwerden. Der Grund dafür ist unter anderem – natürlich – der Placeboeffekt.

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Schon gewusst? Fast immer berichten einige Studienteilnehmer, die das wirkstofffreie Präparat erhalten haben, ebenfalls von einer Besserung ihrer Beschwerden.

Vorgetäuschte Operationen und echte Therapien

Doch was genau verbirgt sich eigentlich hinter diesem mysteriösen Phänomen? „Im klassischen Sinn versteht man unter dem Placeboeffekt eine positive Veränderung körperlicher oder psychischer Art nach der Einnahme eines Scheinmedikaments“, erklärt Prof. Dr. Ulrike Bingel von der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Essen, die sich seit vielen Jahren wissenschaftlich mit dem Placeboeffekt beschäftigt.  

Auch ein Scheineingriff, etwa eine vorgetäuschte Operation, könne solche Veränderungen auslösen, sagt Bingel. Zu einem Placebo-Effekt im erweiterten Sinn komme es allerdings auch bei echten Therapien: „Ein Medikament beispielsweise wirkt dann besonders gut oder schon in sehr geringer Dosierung, weil der Patient eine positive Erwartung damit verknüpft“, erläutert die Professorin für Klinische Neurowissenschaften.

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Schon gewusst? Der Begriff Placebo stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Ich werde gefallen“.

Schmerzen lassen tatsächlich nach

Wie sich der Placeboeffekt auf körperlicher Ebene erklären lässt, hat Bingel gemeinsam mit anderen Kollegen untersucht. „Vereinfacht gesagt werden – insbesondere durch die Erwartung des Patienten, dass ihm die verordnete Therapie helfen wird – im zentralen Nervensystem bestimmte Prozesse in Gang gesetzt, die Auswirkungen auf Vorgänge in anderen Regionen des Körpers haben“, sagt Bingel.

Verdeutlichen lässt sich das an einem Beispiel aus der Schmerzmedizin, für die der Placeboeffekt besonders gut untersucht ist: „Wenn ein Patient ein vermeintliches Schmerzmedikament erhält, von dem er annimmt, dass es seine Schmerzen lindert, werden allein durch die Einnahme des Mittels im Gehirn bestimmte Areale aktiviert“, erklärt Bingel.

Das lasse sich mit bildgebenden Verfahren zeigen. Die Aktivität dieser Hirnabschnitte habe unter anderem zur Folge, dass das Gehirn körpereigene Opioide, beispielsweise Endorphine, ausschütte. „Dadurch lassen die Schmerzen tatsächlich nach“, sagt Bingel.

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„Wenn ein Patient ein vermeintliches Schmerzmedikament erhält, von dem er annimmt, dass es seine Schmerzen lindert, werden allein durch die Einnahme des Mittels im Gehirn bestimmte Areale aktiviert“, erklärt Bingel.

Manche Menschen empfänglicher, manche weniger

Allerdings seien manche Menschen für den Placeboeffekt empfänglicher als andere, räumt die Neurowissenschaftlerin ein. „Da die Erwartungshaltung des Patienten eine wichtige Rolle spielt, ist unter anderem entscheidend, welche Erfahrungen ein Mensch in der Vergangenheit mit der Einnahme von Medikamenten gemacht hat oder wie groß sein Vertrauen in den Arzt ist, der ihm ein bestimmtes Mittel empfohlen hat“, erklärt Bingel.

Darüber hinaus scheine die genetische Ausstattung eines Patienten mitzubestimmen, ob und inwieweit dieser für den Placeboeffekt empfänglich sei. Zudem können natürlich nicht alle Beschwerden mithilfe eines Scheinwirkstoffs oder einer nur vorgetäuschten Operation gelindert werden. „Grundsätzlich lassen sich auf diese Weise nur Dinge bewirken, die der Körper selbst auslösen kann“, sagt Bingel.

„Ein Trümmerbruch im Unterschenkel lässt sich mit keinem noch so guten Placebo heilen.“ Gerade bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen aber, etwa bei Schmerzen, Depressionen oder Angststörungen, lasse sich der Effekt meist gut nutzen. „Allgemein gilt: Je subjektiver die Symptome sind, desto stärker kann der Placebo-Effekt greifen“, sagt Bingel. Bei einem akuten Schlaganfall oder einer Krebserkrankung hingegen werde man allein mit einem Placebo nicht weiterkommen.

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Je subjektiver die Symptome sind, desto stärker kann der Placeboeffekt greifen“, sagt Prof. Dr. Ulrike Bingel.

Lernendes Immunsystem wie beim Pawlowschen Hund

Sehr wohl beeinflussen lassen sich allerdings die körpereigenen Abwehrkräfte. Gezeigt hat das unter anderem Prof. Dr. Manfred Schedlowski vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie am Universitätsklinikum Essen mit einer Reihe farbenfroher Experimente. Schedlowski kreierte dazu ein Getränk, das seine Probanden in dieser Form noch nie gesehen und vor allem nicht geschmeckt hatten: eine grün gefärbte Erdbeermilch mit Lavendelaroma.

Zunächst verabreichten Schedlowski und seine Kollegen das ziemlich süße und leicht bittere Getränk 30 Hausstauballergikern, fünf Tage lang und immer gemeinsam mit einem Antihistaminikum, das die allergischen Reaktionen dämpft. Auf diese Weise sollte das Unterbewusstsein der Probanden die Wirkung des Medikaments mit dem ungewöhnlichen Geschmack der grünen Erdbeermilch verknüpfen.

Übrigens

Erstaunlich war, dass sich im Blut der Probanden aus der Erdbeermilch-Gruppe auf einmal auch deutlich weniger Immunzellen fanden, die charakteristisch für allergische Reaktionen sind.

Nach einer neuntägigen Pause teilten die Forscher ihre Teilnehmer in drei Gruppen ein. Die erste bekam das Antihistaminikum mit Wasser, die zweite eine wirkstofffreie Tablette mit Wasser und die dritte das Placebo zusammen mit der Erdbeermilch. Wie das Team um Schedlowski zeigen konnte, nahmen die eher subjektiven Beschwerden wie eine verstopfte Nase oder juckende Augen bei allen Probanden erwartungsgemäß ab.

Erstaunlich war allerdings, dass sich im Blut der Probanden aus der Erdbeermilch-Gruppe auf einmal auch deutlich weniger Immunzellen fanden, die charakteristisch für allergische Reaktionen sind. Den Blutuntersuchungen zufolge wirkte die Erdbeermilch nun fast so gut wie das echte Medikament und deutlich besser als die wirkstofffreie Tablette.

Ganz offenbar hatte das Immunsystem „gelernt“, dass das ungewöhnliche Getränk gegen allergische Reaktionen hilft – ganz ähnlich wie einst bei dem berühmten Pawlowschen Hund, dem man beigebracht hatte, allein auf das Klingeln einer Glocke mit Speichelfluss zu reagieren. Klassische Konditionierung nennt man das in der Psychologie.

Effekt kann helfen, weniger Medikamente einzunehmen

Ähnliche Erfolge haben Schedlowski und seine Kollegen inzwischen auch bei anderen Erkrankungen erzielt, bei denen das Immunsystem eine Rolle spielt, etwa bei Schuppenflechte und Arthritis. Erklärtes Ziel der Forscher ist es jetzt, mithilfe der grünen Erdbeermilch die erforderliche Dosis von Immunsuppressiva zu reduzieren, die Patienten mit einem transplantierten Organ in der Regel ein Leben lang nehmen müssen, um eine Abstoßung zu verhindern.

Diese Medikamente haben oft recht schwere Nebenwirkungen. Zeigen konnte das Team um Schedlowski bereits, dass der Wirkstoff Ciclosporin in Verbindung mit der Erdbeermilch nach einer Phase der Konditionierung besonders gut wirkt – und beispielsweise im Blut die Konzentration des Immunbotenstoffs Interleukin-2 stärker senkt als ohne das grüne Getränk.

So können sie selbst Ihren Körper Konditionieren 

  • Leiden Sie häufig an Kopfschmerzen? Dann reiben Sie Ihre Stirn und Ihre Schläfen doch von nun an jedes Mal, wenn Sie eine Schmerztablette einnehmen, mit ein paar Tropfen Pfefferminzöl ein. Vielleicht lässt das Öl dann in ein paar Wochen Ihre Schmerzen auch ohne Tablette verschwinden.
  • Oder schlafen Sie abends meist nur schlecht ein und greifen deswegen öfter mal zu einer Schlaftablette? Dann kombinieren Sie das Präparat doch ab jetzt immer mit ein paar Tropfen Lavendelöl, die Sie für eine Weile im Mund behalten, bevor Sie sie herunterschlucken. Womöglich schlafen Sie dann schon bald auch mit dem Öl allein viel besser ein.
  • Nehmen Sie andere Medikamente, auf die Sie gerne häufiger verzichten würden? Seien Sie kreativ und finden Ihre eigenen Strategien. Hat Ihnen die Arzneimittel allerdings Ihr Arzt verordnet, sprechen Sie bitte unbedingt zunächst mit ihm über Ihr geplantes Vorhaben. Ändern Sie in diesem Fall bitte nicht eigenmächtig die ärztlich empfohlene Dosierung.

Therapien entfalten erst mit dem Placebo-Effekt ihre optimale Wirkung

Immer mehr Mediziner versuchen inzwischen, den Placebo-Effekt so zu nutzen, dass eine von ihnen verordnete Behandlung optimal wirkt. „Ich bin mittlerweile fest davon überzeugt, dass Medikamente und andere Therapien ohne den Effekt ihre volle Wirksamkeit gar nicht entfalten können“, sagt die Neurowissenschaftlerin Bingel.

Dazu könne auch der Patient selbst beitragen: „Wichtig ist, sich über die Ziele und Vorteile der geplanten Therapie möglichst umfassend zu informieren“, sagt Bingel. Jeder Patient solle wissen, warum sein Arzt oder Therapeut gerade diese Behandlungsmethode für ihn ausgewählt habe, wie sie im Körper wirke und welchen konkreten Nutzen er sich von ihr erhoffen könne.

Auch Nebenwirkungen lassen sich mithilfe des Placeboeffekts verringern. „Denn zum einen kann der Effekt dabei helfen, die notwendige Dosis eines Arzneimittels zu senken“, sagt Bingel. Damit reduziere sich natürlich auch das Risiko von Nebenwirkungen. „Zum anderen trägt eine positive Erwartungshaltung des Patienten – die durch das Wissen entsteht, dass die meisten Menschen die verordnete Therapie gut vertragen – dazu bei, unerwünschte Wirkungen zu minimieren.“

Wer‘s glaubt, wird gesund – Wirkung auch bei wissentlicher Einnahme

Ethische Konflikte bei der Nutzung des Placebo-Effekts sieht Bingel eigentlich nur dann, wenn ein Arzt seinen Patienten nicht darüber informiert, dass er ihm anstelle eines echten Wirkstoffs ein Placebo verabreicht oder dass – wie in einer klinischen Studie – zumindest die Möglichkeit dafür besteht.

Erstaunlicherweise ist eine vorsätzliche Täuschung des Patienten aber offenbar auch gar nicht vonnöten: Erst kürzlich hat eine Publikation in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ gezeigt, dass Placebos selbst dann wirken, wenn sie ganz bewusst eingenommen werden.

Das Team um Prof. Dr. Stefan Schmidt von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg wertete für seine Analyse 13 Studien mit insgesamt 834 Probanden aus, die unter anderem an Rückenschmerzen, Heuschnupfen, Depressionen, Hitzewallungen oder an einem Reizdarmsyndrom litten. Alle Teilnehmer wussten, dass sie lediglich ein Placebo erhalten.

Zudem wurden sie über die prinzipielle Wirkung von Placebos informiert und um die regelmäßige Einnahme der Tabletten gebeten. Ihre Analyse habe klar gezeigt, dass auch offen verabreichte Placebos wirksam sein könnten, schreiben Schmidt und seine Kollegen. Wer also an die Macht der Placebos fest glaubt, dem scheinen sie in aller Regel auch zu helfen. Oder anders gesagt: Wer’s glaubt, wird gesund.

Quellen

  • Bingel, U.: Placeboeffekte und ihre Implikationen in der Medizin. Schmerzmedizin (2020);36: 48–56
    https://doi.org/10.1007/s00940-020-0593-8
  • von Wernsdorff, M., Loef, M., Tuschen-Caffier, B. et al.: Effects of open-label placebos in clinical trials: a systematic review and meta-analysis.Scientific Reports (2021); 11: 3855
    https://doi.org/10.1038/s41598-021-83148-6
  • Ulrike Bingel, Manfred Schedlowski, Helga Kessler: „Placebo 2.0 – Die Macht positiver Erwartung“, Rüffer & Rub, 1. Auflage, 2019 (gebundene Ausgabe, 320 Seiten, 33,50 €)

Anke Brodmerkel

Autorin

Anke Brodmerkel hat Biologie und Chemie studiert und lange für die Berliner Zeitung als Medizinredakteurin gearbeitet. Sie lebt mit ihrer Familie nahe Flensburg und schreibt über alle Aspekte zum Thema Gesundheit – für Zeitungen, Magazine und Online-Portale. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie während eines zweijährigen Segeltörns durch Europa.