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Momente, die bleiben – warum positive Erinnerungen so wichtig sind
Jeder von uns macht Erfahrungen, die viele Jahre, manchmal ein Leben lang im Gedächtnis bleiben. Sie haben etwas ausgelöst, haben eine große Bedeutung für den Einzelnen. Was passiert im Gehirn, wenn wir positive Momente abspeichern? Wie wichtig sind diese Momentaufnahmen für unsere Psyche, unser Glücksempfinden, für unseren Blick auf gesellschaftliches Zusammenleben, für unsere eigene Entwicklung?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Was den Menschen ausmacht: Das autobiografische Gedächtnis
- Achtsamkeit und Fotos machen Glücksmomente unvergesslich
- Wer positive Erlebnisse wiederholt, schafft Vertrauen
- Erinnerungen an positive Momente stärken das Immunsystem
- Mit Erinnerungen gegen Schmerzen
- Ein Kinderlied kann große Teile der Kindheit wieder erinnerbar machen
- Wie man Erinnerungen an besondere Momente wiederfinden kann
- Warum Erinnerungen oft nicht der Realität entsprechen
Die Geburt eines Kindes, die Hochzeit mit einem geliebten Menschen, die Einmal-im-Leben-Fernreise – all das sind Momente und Ereignisse, die Menschen oft ein Leben lang in glücklicher Erinnerung bleiben. Es geht aber auch eine ganze Nummer kleiner, weniger glücklich werden die Erinnerungen damit nicht.
Manchmal sind es vermeintliche Alltagssituationen, wie das gemeinsame Kochen mit der Familie, die geschenkte Puppe unter dem Weihnachtsbaum oder der Besuch eines besonders stimmungsvollen Weihnachtsmarktes, die sich viele Jahre in unserem Gedächtnis verankern.
Entscheidend für die Haltbarkeit ist die Beteiligung und Stärke der im Moment des Abspeicherns empfundenen Emotionen, sagt der Experte Hans J. Markowitsch, Professor für Physiologische Psychologie an der Universität Bielefeld und einer der bedeutendsten Hirnforscher Deutschlands.
„Kommt es zur Synchronisation zwischen der Hirnregion, die für das Abspeichern von Fakten zuständig ist, und der, die über die Emotionen wacht, dann sorgt diese Verbindung für eine starke Festigung der Erinnerungen auf der Hirnebene“, sagt Markowitsch.
Was den Menschen ausmacht: Das autobiografische Gedächtnis
Im Gehirn gibt es verschiedene Areale. Jedes ist für eine andere Art der Erinnerung zuständig. Im Faktengedächtnis haben wir beispielsweise unser Geburtsdatum, aber auch den Namen des Bundeskanzlers abgespeichert. Das prozedurale Gedächtnis sorgt dafür, dass wir auch nach vielen Jahren ohne sportliche Betätigung noch wissen, wie man Fahrrad fährt oder schwimmt. Auch Tiere verfügen über dieses Hirnareal.
„Was uns Menschen ausmacht, ist das autobiografische Gedächtnis“, sagt Markowitsch. „Es ist das einzige Gedächtnis, das zwingend mit den Emotionen verknüpft werden muss.“ Hier speichern wir ab, wie der Apfelkuchen schmeckte, den die Oma immer zum Geburtstag gebacken hat, wie der erste Geliebte lächelte, der Duft des ersten eigenen Kindes, als das noch ein Baby war. Das autobiografische Gedächtnis ist in gewisser Weise auch die Heimat unserer Identität.
Achtsamkeit und Fotos machen Glücksmomente unvergesslich
Das gemeinsame Plätzchenbacken mit der Großmutter, der erhebende Blick über die Gipfel der Alpen, der fröhliche Abend mit den Freunden aus dem Tischtennisverein: Die Erinnerung an das Glück, das man empfunden hat, hilft uns im Alltag auch dann, wenn dieser gerade eher von Arbeit und Langeweile geprägt ist. Das liegt auch daran, dass wir die schönen Dinge des Lebens häufiger in Fotos und Videos festhalten.
Beim Blättern durch das Fotoalbum verstärken sie sich deshalb, während negative Erinnerungen schneller verblassen. Die Dauer des Glücksmoments ist dabei nicht relevant für die Haltbarkeit und seine positive Wirkung, schreibt der Psychologe Daniel Kehlmann in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“. Wer gerne im Urlaub am Strand sitzt und den Sand zwischen den Zehen spürt, der erinnert sich später ebenso lebhaft an den schönen Moment, wenn er nur einen Tag statt drei Wochen dort verbracht hat.
Wer positive Erlebnisse wiederholt, schafft Vertrauen
Die Verankerung positiver Momente könne man außerdem durchaus üben. „Wir können bewusst positive Situationen herbeiführen, indem wir aktiv werden, Mut haben, Neues auszuprobieren, achtsam auf unsere Umgebung schauen und uns sozial betätigen“, sagt Markowitsch. Dafür müsse man nur mit offenen Augen durch die Welt gehen und dem Glück des Augenblicks eine Chance geben.
Das leckere Eis in Verona bewusst genießen, statt nebenbei Nachrichten auf dem Handy zu checken. Sich auf das Telefonat mit der besten Freundin konzentrieren, sich beim Basteln mit den Kindern ganz bewusst an deren Lachen erfreuen, statt nebenbei schon in Gedanken wieder im Büro zu sein. Wer diese positiven Erlebnisse dann immer wieder suche, der gewinne Vertrauen in sich selbst, speichere ab, was ihm guttut, und kann versuchen, angenehme Tätigkeiten oder Momente zu ritualisieren.
So helfen Sie dem Glück auf die Sprünge
Positive Momente gibt es in jedem Leben. Man muss sie nur entdecken. Und hier können ein paar Tipps hilfreich sein:
- Dankbarkeit ist ein guter Glücksbringer. Wer sich am Ende des Tages überlegt, wofür er heute dankbar war, und das in ein Tagebuch schreibt, der verankert die Erlebnisse und kann sogar Jahre später noch nachlesen, welch gute Momente er erlebt hat.
- Negativer Stress dagegen ist ein Glückskiller. Dauernde Überforderung sollte also vermieden werden. Denn wer nur gehetzt durch das Leben rennt, der verpasst, wie schön sich das knisternde Laub unter den Füßen anhört, wie nett die Verkäuferin uns angelächelt hat.
- Im Augenblick leben hilft, das Glück einzufangen. Wer dazu neigt, das Schöne auf später zu verschieben, der sollte die Reihenfolge mal umdrehen und lieber die unangenehmen Dinge auf später verschieben. Also jetzt gleich einen Waldspaziergang machen, mit dem Kind kuscheln, solange es dafür noch bereit ist. Fensterputzen oder Keller aufräumen läuft nicht davon und kann später erledigt werden, wenn wir gut gelaunt von den Glücksmomenten zehren können.
- Gutes Tun ist ein Glücksvermehrer. Nicht nur der einsame Nachbar, dem wir eine Dose selbstgebackener Plätzchen vorbeibringen, profitiert. Auch wir selbst aktivieren damit den Ausstoß von Glückshormonen: Dopamin bewirkt, dass wir Vorfreude empfinden, Serotonin wird freigesetzt, wenn wir Wertschätzung erhalten, und das Bindungshormon Oxytocin, wenn wir Zusammengehörigkeit spüren.
Erinnerungen an positive Momente stärken das Immunsystem
Wer sich an viele positive Erlebnisse erinnert, der tut damit laut einer Studie der australischen Universität Queensland auch etwas für seine Gesundheit. So könne sich dadurch die Arbeit des Immunsystems verbessern. Dieser Effekt komme vor allem älteren Menschen zu Gute. Auch wappnen positive Erinnerungen den Menschen vor stressigen Erlebnissen in Gegenwart und Zukunft.
Das hat laut Markowitsch auch etwas mit Resilienz zu tun. „Wer in Erinnerungen auf Momente zurückgreifen kann, in denen er etwas gut bewältigt hat, beispielsweise nach einer Krankheit wieder gesund wurde, nach einem Liebeskummer wieder eine glücksbringende Beziehung eingehen konnte, der schöpft daraus Mut und Vertrauen, es auch diesmal wieder zu überleben und etwas Gutes daraus machen zu können.“
Eine englische Studie hat sogar ergeben, dass positive Erinnerungen auch geeignet seien, psychische Probleme zu behandeln. Autoaggressive Tendenzen konnten durch das bewusste Erinnern an jüngere positive Erlebnisse mit anderen Menschen verringert, das Gefühl von Sicherheit verstärkt werden.
Mit Erinnerungen gegen Schmerzen
Nostalgie, also das sich Erinnern an schöne Zeiten, kann außerdem eine wohlige Zufriedenheit, sogar Glücksgefühle auslösen. Ein Forscherteam hat sogar herausgefunden, dass Nostalgie auch gegen Schmerzen wirkt. In einer chinesischen Studie wurden Teilnehmer Hitzereizen ausgesetzt. Diejenigen, die währenddessen Bilder von schönen Erinnerungen, also Urlaubsbilder, Süßigkeiten aus der Kindheit oder Lieblingsserien ansahen, empfanden weniger Schmerzen.
Der bewusst genossene Duft des frisch geschlagenen Tannenbaums oder das Glitzern der Christbaumkugeln im Kerzenschein kann also auch später im Alltag, wenn das schöne Weihnachtsfest längst hinter uns liegt, noch wie ein Schmerzmittel auf den Körper wirken. Besonders gut funktioniert der Effekt laut Julie Swets von der Texas Christian University bei Menschen, die enge Beziehungen und Intimität genießen können. Auch hier gilt also: Wer sich den schönen Augenblicken im Kreise der Liebsten öffnet, profitiert davon im besten Fall ein Leben lang.
Ein Kinderlied kann große Teile der Kindheit wieder erinnerbar machen
Zudem können Erinnerungen aus der Vergangenheit beispielsweise bei Demenzpatienten auch dazu führen, dass ganze Erinnerungsfelder wieder zurückkehren. Kinderlieder oder alte Einrichtungsgegenstände können hier als Türöffner zu ganzen, schon verschüttet geglaubten Hirnarealen genutzt werden.
Die Rückgewinnung von Vergangenheit hilft auch bei der Wiederentdeckung der Persönlichkeit. „Wir können beobachten, dass diese Patienten wieder stärker aus sich herausgehen, zugewandter ihrer neuen Umwelt gegenüber werden und sogar in der Lage sind, wieder Neues hinzuzulernen“, sagt Markowitsch.
Neue Medien können grade älteren Menschen beim Erhalt der Erinnerungen helfen. Kleine Filme, Bilder oder Sprachnachrichten unterstützen die Wiederentdeckung der Vergangenheit. „Alte Menschen können auf diese Weise wieder lebendig werden lassen, was sie mit den Enkeln beispielsweise im Urlaub erlebt haben. Mit den Filmen oder Tonaufnahmen kommt auch die Assoziationskette in Gang. Plötzlich erinnert man sich auch an Dinge, die nicht filmisch oder bildlich festgehalten wurden.“
Wie man Erinnerungen an besondere Momente wiederfinden kann
Erstmalerlebtes oder Dinge mit „Einmaligkeitscharakter“ hätten große Chancen, auch viele Jahre später noch abrufbar zu sein. Hier ist auch der Grund dafür zu suchen, dass die Erinnerung zwar nachlässt, je länger ein Ereignis zurückliegt, das junge Erwachsenenalter aber meist auch im Seniorenalter noch lebhaft im Gedächtnis präsent ist. In diesem Alter machen wir viele Erfahrungen zum ersten Mal.
Manchmal scheinen schöne Momente früherer Zeiten allerdings verschüttet. Im stressbehafteten Alltag erinnern wir uns beispielsweise nicht mehr an die Zeit der Verliebtheit, als wir jung und unbeschwert waren und den Partner zum ersten Mal geküsst haben. Das liegt laut Markowitsch vor allem daran, dass wir uns in einem anderen Stimmungszustand als damals befinden. „Erinnerungen kommen immer dann am ehesten zurück, wenn der emotionale Abrufzustand dem Einspeicherzustand entspricht“, sagt Markowitsch.
Wenn wir uns also daran erinnern wollen, wie sich die unbeschwerte, atemlose Verliebtheit angefühlt hat, dann klappt das zwischen Bausparvertrag und dreckigen Wäschebergen wahrscheinlich weniger gut. „In einem Urlaub, in dem wir vielleicht gemeinsam das Risiko beim Klettern suchen oder das Abenteuer, eine fremde Kultur kennenzulernen, ist das schon leichter.“
Warum Erinnerungen oft nicht der Realität entsprechen
Nicht immer entsprechen die Erinnerungen an die Vergangenheit der Realität. Das führt dann schon mal dazu, dass die Ehefrau sich an einen wunderschönen Wanderurlaub mit dem immer noch geliebten Exmann erinnert, dieser aber Jahre später nur von den Qualen der Touren erzählt. Das liegt daran, dass wir mit jeder Erinnerung das Erlebte neu abspeichern. Mitarchiviert werden immer auch die Gefühlszustände, in welchen wir uns im Moment der Erinnerung befunden haben.
Das bedeutet: Wer gerade mit dem Ex-Partner im Clinch liegt, der speichert bei der Erinnerung an gemeinsame Erlebnisse auch den Groll der Gegenwart mit ab – und trübt damit das vielleicht einstmals empfundene Glück. Umgekehrt funktioniert das aber auch. So kann es passieren, dass zum Beispiel nach dem Tod der Mutter vergangene Erlebnisse mit ihr in der Erinnerung glorifiziert werden.
Vielleicht früher empfundene Wut und Aggression nehmen dann ab und weichen einer altersmilden Zufriedenheit. „Die Verklärung der Vergangenheit ist manchmal wichtig, da uns im Alter extreme Emotionalisierung zu viel Kraft kosten würde. Wenn wir eine Videoaufnahme der wichtigsten Momente unseres Lebens abspielen würden, hätte die mit unserer Erinnerung aber wahrscheinlich sehr wenig zu tun.“
Quellen:
- https://www.uq.edu.au/news/article/2014/09/positive-boost-immune-system
- https://livrepository.liverpool.ac.uk/18613/2/HoldenNat_May2014_18613.pdf
- https://www.geo.de/magazine/geo-kompakt/15852-rtkl-autobiografisches-gedaechtnis-darum-erinnern-wir-uns-manche
- https://www.jneurosci.org/content/42/14/2963
- https://llu.edu/?rsource=home.llu.edu/
Claudia Lehnen
Autorin
Claudia Lehnen wollte als Jugendliche Ärztin werden, entschied sich dann aber dafür, lieber über Medizin und Menschen und ihre Krankheits- und Genesungsgeschichten zu berichten. Die in Köln niedergelassene Journalistin, die im Tageszeitungs-Journalismus zu Hause ist, ist unter anderem auf das Themengebiet Gesundheit spezialisiert.