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Kinder und Handy: Worauf Eltern achten sollten
Das Smartphone ist eine der größten Errungenschaften des digitalen Zeitalters und Konfliktherd zugleich. Aus dem Alltag ist das kompakte Technikwunder kaum mehr wegzudenken. Psychologen warnen vor gravierenden Entwicklungsschäden bei Kindern und Jugendlichen. Andere wiederum mahnen zu mehr Gelassenheit.
Ein Schrei gellt durch die Wohnung. „Leg‘ endlich das verdammte Handy weg oder ich nehme es dir weg“, ruft Sabine. „Lass mich in Ruhe“, kreischt Sophie zurück. Die Tür knallt, die 14-Jährige verschwindet mit dem Smartphone im Kinderzimmer. Mutter Sabine läuft hinterher, beschlagnahmt das Handy und zetert: „Für heute ist Schluss.“ Dann verlässt sie das Zimmer, die Tochter weint.
Smartphone als Familien-Fluch
Als Apple-Gründer Steve Jobs im Januar 2007 das erste iPhone vorstellt und damit die Ära des Smartphones einläutet, konnte kaum jemand ahnen, wie viele solcher Szenen er damit in den Familienalltag befördern würde: Teenager und Kinder, die plötzlich ohne Unterlass auf Displays starren und ihre Eltern damit beinahe in den Wahnsinn treiben. Jugendliche, die sich den halben Tag auf Whatsapp Nachrichten schicken, via Facetime telefonieren, jede Regung auf Instagram veröffentlichen und stundenlang daddeln. Smartphones sind mehr denn je Anlass feuriger Familiendebatten. Vielen Familien ist das kompakte Technikwunder ein Fluch.
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70 Prozent der Kita-Kinder nutzen Smartphones
Das Smartphone ist für die meisten Teenager zu einem unentbehrlichen Begleiter geworden. Aber auch Grundschulkinder sind immer häufiger in Kontakt mit dem Medium. Die meisten Studien können bei der Bewertung der Smartphone-Nutzung von Heranwachsenden kaum etwas Positives erkennen. Laut BLIKK Medienstudie aus dem Jahr 2017, die der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte erstellt hat, benutzen bereits 70 Prozent der Kinder im Kita-Alter das Smartphone ihrer Eltern mehr als eine halbe Stunde täglich. Die Auswirkungen können drastisch sein. Bei den Zwei- bis Fünfjährigen konnten bei regelmäßiger Smartphone-Nutzung motorische Hyperaktivität, Konzentrations- und Sprachentwicklungsstörungen nachgewiesen werden. Fast 70 Prozent können sich nur noch weniger als zwei Stunden selbstständig beschäftigen. Bei den Acht- bis Dreizehnjährigen führte eine Nutzungsdauer von mehr als 60 Minuten zu einem gesteigerten Genuss von Süßgetränken und somit zu einem erhöhten Body-Mass-Index. Die Kinder waren unruhig und ließen sich schnell ablenken.
„Kleinkinder brauchen kein Smartphone“
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, die die Studie in Auftrag gegeben hat, zeigte sich vor allem in Bezug auf die Kita-Kinder alarmiert. „Kleinkinder brauchen kein Smartphone. Sie müssen erst einmal lernen, mit beiden Beinen sicher im realen Leben zu stehen“, sagte Marlene Mortler. Ihr Appell richtet sich vor allem an die Erwachsenen: „Es ist dringend notwendig, Eltern beim Thema Mediennutzung Orientierung zu geben.“ Sie fordert mehr „digitale Fürsorge“, klare Reglementierung und regt die Eltern an, insbesondere das eigene Nutzungsverhalten zu hinterfragen. Denn nur wenn die Erwachsenen nicht selbst andauernd mit dem Handy beschäftigt seien, könnten sie Kindern glaubhaft Regeln aufgeben.
Generation „always on“
Doch die Eltern zeigen sich von solchen Warnungen, die seit Jahren immer wieder ausgegeben werden, bislang mehr oder weniger unbeeindruckt. Während vor drei Jahren erst 20 Prozent der 6- bis 7-Jährigen ein Smartphone oder auch Handy nutzten, sind es jetzt 38 Prozent. Die Tablet-Nutzung stieg sogar von 28 auf 64 Prozent. Das ist das Ergebnis der Bitkom-Studie „Kinder & Jugend in der digitalen Welt“ aus dem Jahr 2017. Über ein eigenes Smartphone verfügen 67 Prozent der 10- bis 11-Jährigen (2014: 50 Prozent), ab zwölf Jahren gehört das Gerät dann für nahezu alle Jugendlichen zur Standardausstattung. Insgesamt betrachtet haben 87 Prozent der Kinder ab 10 Jahren ein eigenes Smartphone (2014: 79 Prozent), beim Tablet sind es 33 Prozent (2014: 17 Prozent). „Der Medien- und Internetkonsum von Kindern und Jugendlichen wird immer mobiler. Ins Internet zu gehen ist den Kindern von heute völlig fremd, sie sind ‚always on‘, sagt Bitkom-Vizepräsident Achim Berg. „Die Generation Y ist in die entstehende digitale Welt reingewachsen. Die Generation Z ist nun die erste Altersgruppe, die vom Kindesalter an mit digitalen Technologien aufwächst.“
Experte warnt vor dramatischen Auswirkungen auf die Entwicklung des Gehirns
Genau in diesem Umstand sieht Professor Christian Montag ein großes Problem, denn er fürchtet, dass den Kindern der Generation Y ein gesundes, medienarmes Aufwachsen kaum noch möglich ist. Der Leiter der Abteilung Molekulare Psychologie an der Universität Ulm beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit den Auswirkungen der digitalen Mediennutzung auf unsere Psyche, auch im Kontext von Kindern und Jugendlichen. Er warnt davor, Heranwachsende mit Smartphone oder Tablet zu lange sich selbst zu überlassen. „Wenn exzessive Nutzung bei Erwachsenen negative Auswirkungen hat, sind diese bei Kindern noch gravierender, denn ihre Gehirne sind ja noch in der Reifung und dadurch sehr empfindlich“, sagt Montag, der kürzlich das Buch „Homo Digitalis“ veröffentlicht hat. Kinder, die am Handy daddeln, statt draußen zu toben, zu raufen und in realer Umgebung soziale Kompetenzen und Grobmotorik zu schulen, haben möglicherweise ein erhöhtes Risiko an ADHS zu erkranken. „Aus Sicht eines Hirnforschers und Psychologen sind die psychischen Grundbedürfnisse der Kinder sehr klar: Sicherheit, Zuwendung durch die Eltern und körperlich betontes Spielen.“ Wenn diese Grundbedürfnisse vernachlässigt werden, komme es zu einer Schieflage, die Psyche und Gehirnentwicklung negativ beeinträchtigt.
Was beim Umgang mit dem Smartphone zu beachten ist
- Vor dem elften oder zwölften Lebensjahr sind eigene Handys für Kinder nicht zu empfehlen
- Funktionen erklären: Internet, Messengerdienste, Chatprogramme, GPS, Spiele-Apps
- Kinder über Gefahren aufklären: Werbung, Mobbing in sozialen Netzwerken, Missbrauch von Bildern, Risiko hoher Kosten durch In-App-Käufe
- Sicherheitseinstellungen anpassen, um kindgerechtes Surfen zu garantieren
- Klare Medienzeiten vereinbaren
- Grundverständnis für Datenschutz herstellen
Psychologe aus Oxford: Nicht schädlicher, als einmal das Frühstück zu verpassen
Werden die digitalen Medien also eine ganze Generation psychisch zugrunde richten? Es gibt Wissenschaftler, die die aktuelle Debatte für überreizt halten. „Viele Menschen fänden es verrückt, sich ernsthaft darüber zu unterhalten, wie lange man vor einem Buch verbringen oder beim Essen brauchen sollte. Aber bei Fernsehen, Handys und PCs setzt diese Logik aus“, beklagte Andrew Przybylski in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeine Woche“. In seiner Studie wollte der Psychologe von der Uni Oxford feststellen, ab wann eine moderate Nutzung in eine ungesunde umschlägt und wie schädlich die ungesunde Nutzung letztlich überhaupt ist. Dafür haben Przybylski und seine Kollegin Netta Weinstein 120.000 britische Jugendliche im Alter von 15 Jahren befragt. Die Ergebnisse sind verblüffend. Demnach ist ein negativer Effekt auf die Psyche erst ab einer exzessiven Nutzung von mindestens sechs Stunden täglich festzustellen. Doch selbst dieser sei nicht viel schlimmer, als einmal das Frühstück zu verpassen oder ein paar Nächte nicht genug Schlaf zu bekommen, sagte Przybylski.
Smartphone als kreatives Instrument
Auch Thomas Feibel ist der Meinung, dass man dem Smartphone auch positive Eigenschaften zurechnen kann. Kinder und Jugendliche könnten selbst Filme schneiden, Musik komponieren, eigene Opern gestalten, Fotoromane erstellen, Trickfilme bauen oder ein eigenes E-Book schreiben, schreibt Feibel in seinem Buch „Jetzt pack doch mal das Handy weg“. Eltern empfiehlt der vierfache Vater, erstmal Gelassenheit zu demonstrieren, wenn das Kind mal wieder wie hypnotisiert am Smartphone hängt. „Ich muss ja erstmal verstehen, was die Kinder da machen. Spielen sie ein Spiel, das ich nicht gut finde? Oder heult sich gerade die beste Freundin bei ihnen aus, weil sie Liebeskummer hat?“, sagt Feibel.
Wichtig sind: Regeln
Wichtig sei eine angstfreie Erziehung. Das Internet berge viele Gefahren, sagt Feibel – vom Cybermobbbing über Kettenbriefe bis hin zum Missbrauch von Bildern. Eltern sollten daher ein verlässlicher Ansprechpartner bleiben. Wer dagegen mit Verboten arbeite oder das Gerät verteufle, riskiert, dass das Kind sich schließlich heimlich mit dem Smartphone beschäftigt.
Letztlich aber, und da sind sich beinahe alle Wissenschaftler einig, gehe es darum, im Umgang mit dem Smartphone Regeln aufzustellen. Vor allem Nutzungszeiten seien dabei sehr wichtig. „Feste Regeln einführen. Am besten von Anfang an. Kein Handy beim Essen, keines bei den Hausaufgaben, keines beim Schlafen“, rät Feibel. Es gebe Familien, die haben an der Eingangstüre ein Körbchen, in das alle Familienmitglieder ihr Smartphone reinlegten, wenn sie nach Hause kommen. „Dann ist Zeit für die Gemeinschaft, es werden Pflichten erledigt wie Hausaufgaben oder Hausarbeit. Danach können alle ihr Telefon wieder abholen. Das ist ein Ritual wie Händewaschen vor dem Essen. Mit der Zeit wird es für alle Beteiligten normal“, sagt Feibel, der das „Büro für Kindermedien“ in Berlin leitet. Zwar sei dieser Weg oftmals beschwerlich, aber grundsätzlich gilt: „Erziehung ist immer Kampf. Aber wir tun Kindern keinen Gefallen, wenn wir ihnen keine Grenzen geben.“
Was ist gut am Handy?
- Kann kreativ genutzt werden: Filme produzieren, Musik komponieren, Bilder bearbeiten
- Pflege sozialer Kontakte etwa durch dosierte Nutzung von Messenger-Dienste wie WhatsApp
- Erlernen technischer Kompetenz, die auch für den Umgang mit dem Computer nützlich ist
- Förderung von Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit
- Wissensbildung durch Nutzung von Nachrichtenseiten oder Online-Lexika
Absprachen mit Kindern verhandeln
In die Gestaltung eines Regewerks können Kinder durchaus mit einbezogen werden. Klicksafe, eine EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz, bietet auf der Internetseite einen Mediennutzungsvertrag an, in dem Eltern gemeinsam mit dem Kind Regeln und Absprachen vereinbaren können. Zudem gibt es eine Checkliste, mit der Väter und Mütter überprüfen können, ob das Kind schon reif für das Smartphone ist. Aber auch mit dem Gerät selbst lässt sich Enthaltsamkeit üben. Mit der App „Forest“ etwa kann man Bäume wachsen lassen. Das Prinzip: Je länger man nicht aufs Handy schaut, desto mehr Bäume wachsen. Wer ganz lange nicht drauf guckt, hat schließlich einen Wald gezüchtet. Zumindest digital. Immerhin. Wer dagegen in der festgelegten Auszeit zum Smartphone greift, zerstört seine virtuelle Pflanzung. Zurück bleibt ein trauriges, braunes Pixelgerippe.