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Leistungsschub aus der Kaffee-Tasse

Millionen Menschen vertrauen der belebenden Qualität des Kaffees. Gerade bei Leistungssportlern ist das Heißgetränk beliebt. Vor allem aber das enthaltene Koffein – denn es bietet erstaunliche Möglichkeiten, körperliche Leistung und Gesundheit zu steigern.

Für Christian Knees ist der Kaffeegenuss „eine Frage des Lebensstils“. Der 39-Jährige bewegt sich seit vielen Jahren in einem beruflichen Umfeld, in dem man gern gemeinsam mit den Kollegen ins Café einkehrt. Seit mehr als 15 Jahren gehört der Familienvater aus Rheinbach zudem einem elitären Kreis von Top-Radsportlern an.

„Gerade die Kaffeekultur im Mittelmeerraum hat mich schon früh begeistert“, sagt der Top-Athlet, der für seine Ausdauer in der Branche große Anerkennung genießt. „Heute zelebriere ich die Zubereitung“, sagt Knees, der daheim nicht nur Filterkaffee trinkt, sondern auch mit einer Design-Siebträgermaschine aus Mailand experimentiert.

Hingabe für das heiße Getränk bei Ausdauersportlern

Nicht nur für den achtmaligen Tour-de-France-Teilnehmer Knees gehören koffeinhaltige Heißgetränke zum Lebensstil. Wer einmal mit Radsportlern, Läufern oder Triathleten im Trainingslager war, kennt die Hingabe für das braune Getränk. Neben dem reinen Genuss-Aspekt, der Knees an das Nahrungsmittel bindet, gibt es aber auch handfeste Gründe dafür: Kaffee ist ein Mittel zur Leistungssteigerung und dabei ganz legal.

Genauer: Das Koffein, der Wirkstoff aus der Kaffeebohne, beflügelt die körperliche Leistung, und zwar erheblich: Auf 3,2 bis 4,3 Prozent beziffert Pia Jensen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule in Köln, den positiven Effekt auf Ausdauerleistungen.

Etliche Studien haben das gezeigt. „Eine Koffeineinnahme zur Leistungssteigerung kann auf wissenschaftlicher Grundlage empfohlen werden“, sagt Jensen. Es gehört, stellt eine Untersuchung in der Zeitschrift „Nutrients“ fest, zu den wenigen Nährstoffen, die bei Konditionssport weiterhelfen.

Koffein sticht den Müdemacher Adenosin aus

Natürlich ist Kaffee in der Bevölkerung so beliebt, weil er als Wach- und Muntermacher gilt. Dieses Erleben fußt auf einem interessanten biochemischen Vorgang im Körper, der gerade auch für Sportler bedeutsam ist. Trinkt man einen Espresso, so nimmt der Körper über die Verdauung Koffein auf.

Der Stoff erreicht die Adenosinrezeptoren, also Signaleinrichtungen im Körper. An diesen Stellen dockt sich üblicherweise der Botenstoff Adenosin an, was im Laufe des Tages zu Ermüdung führt. Es geht darum, das Gehirn vor Überanstrengung zu schützen. Erreicht Koffein diese Rezeptoren, so ermüden die Menschen weniger schnell.

Das ist gerade im Sport spannend, wo Ermüdung eine natürliche Folge von Ausdauerleistung ist: „Die Auswirkungen des Koffeins auf Ausdauerleistungsfähigkeit ist vielfach untersucht und dokumentiert worden“, berichtet Pia Jensen.

 

Gute Beweislage für die Wirkung

Die messbaren Effekte des Koffeinkonsums sind beachtlich. Wissenschaftler konnten ein verringertes Schmerzempfinden ebenso nachweisen wie eine länger aufrechterhaltene Konzentrationsfähigkeit. Bei der physischen Leistungsfähigkeit zeigte der Stoff positive Wirkung in verschiedenen Einsatzfeldern: Sowohl bei Ausdauerleistungen als auch bei Kurzzeitintervallen und intermittierenden Intervallen, wo es vor allem um die schnellen Anteile der Muskulatur geht.

„Die Bandbreite der belegten Auswirkungen ist sehr groß“, sagt Pia Jensen. Gezeigt wurde das etwa in einer internationalen Meta-Untersuchung mit dem schönen Titel „Wache auf und rieche den Kaffee“, die 2018 im British Journal of Sports Medicine erschien ist.

Dort heißt es, die leistungssteigernden Wirkungen des Koffeins auf „Muskelausdauer, Muskelstärke, anaerobe Kraft und anaerobe Ausdauer“ seien durch die Beweislage vieler Studien dargelegt.

90 bis 30 Minuten vor Belastung einnehmen

So lässt sich allgemein festhalten: Wer vor dem Sport eine Tasse Espresso trinkt oder einen Filterkaffee zu sich nimmt, macht garantiert nichts falsch. Etwa 90 bis 30 Minuten vor Beginn der Belastung, rät Jensen, sei der richtige Zeitpunkt. Denn so hat das Koffein noch Zeit, die Rezeptoren zu erreichen und damit im zentralen Nervensystem bei der beflügelten Einheit zu helfen.

30 bis 60 Minuten nach dem Konsum sei die höchste Konzentration des Koffeins im Blutplasma nachweisbar. Interessanterweise wird Koffein dann beinahe vollständig vom Körper aufgenommen. Seine „Bioverfügbarkeit“ ist hoch. Mehr als 90 Prozent des Stoffes erreichen auch die Zellen, das gibt es nicht häufig.

Kohlenhydrate gelten mit beinahe 100 Prozent als besser verstoffwechselbar. Eine Tasse Kaffee mit Zucker ist daher ein recht effizientes Ernährungsprogramm, wenn es um die Leistungssteigerung geht: Wasser, Koffein und Kohlenhydrate landen gut verdaubar im Magen.

Sehr unterschiedliche Dosierung

Nun aber das Problem: Wer nur einen kleinen Kick will, kommt vielleicht mit dem Erzeugnis aus dem Vollautomaten hin. Aber wer die Wirkung planbar haben möchte, hat mit Kaffee ein Problem. Jede Tasse Kaffee, erklärt Pia Jensen, hat sehr stark unterschiedliche Konzentrationen von Koffein.

Selbst mit derselben Kaffeemischung und demselben Mahlwerk bei unveränderter Einstellung an einem Gerät kann der Koffeinwert pro Tasse enorm schwanken. Eine Tasse Filterkaffee enthält so auf 160 Milliliter mal 45 Milligramm, mal 180 Milligramm Koffein – und meistens irgendwas dazwischen.

Als Faustregel gilt: Espresso hat weniger Koffein, auch wenn er stärker schmeckt.

Tabletten oder Gels sind genauer

Doch wenn die Konzentration so stark schwankt, fällt der zielgenaue Einsatz von Kaffee für die Leistungssteigerung eher aus. Denn es gibt einen wissenschaftlich nachgewiesenen Wirk-Korridor: „Die Dosis ist entscheidend“, sagt Pia Jensen.

Zwischen 3 Milligramm und 9 Milligramm Koffein pro Kilogramm Körpergewicht variieren die Werte, bei denen Wissenschaftler die gewünschten Effekte nachwiesen. Eine 60 Kilogramm schwere Person kann sich also, je nach ihren genetischen und individuellen Voraussetzungen, ab 180 Milligramm Koffein den erwünschten Schub versprechen.

Um aber diese exakte Dosierung zu erreichen, ist eine Alternative zum „Käffchen“ besser geeignet. „Der Kaffee unterwegs ist sicher angenehm und mag ein bisschen wirken“, sagt Jensen, „aber im Leistungssport setzt man schon lange auf Gels oder Tabletten, um das Koffein genau dosiert zuzuführen.“

Die maximale Dosis

Die entsprechenden Packungen – ob nun Power-Gel oder nur Koffeintabletten – zeigen den exakten Wert an und sind somit klar dosierbar. Das ist auch deshalb relevant, weil die Wirkung von Koffein von Mensch zu Mensch stark variiert. „Bei Koffein ist viel Ausprobieren vonnöten“, sagt die Kölner Expertin Jensen.

So könne man die individuelle Wirkweise und auch die Grenzen feststellen, auch die Verträglichkeit im Magen-Darm-Trakt ist hier unterschiedlich. Grundsätzlich warnt sie vor einer zu hohen Dosierung, denn der Körper gewöhnt sich an den Wirkstoff und somit wird es schwieriger, die gewünschte Wirkung zu erzielen. Grund ist ein Abschwächen der Rezeptoren.

„Wer dauerhaft Koffein zu sich nimmt, braucht auch dauerhaft höhere Dosen für dieselbe Wirkung.“ Doch das endet spätestens bei einer Dosis von 9 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Darüber hinaus drohen Nebenwirkungen: Reizbarkeit, Unruhe, Schlafstörungen und sogar unregelmäßiger Herzschlag.

Unter Sportlern gibt es deswegen seit Langem eine Praxis, um die Wirkung etwa vor einem Wettkampf wieder neu zu entfalten. Man verzichtet für einige Zeit konsequent auf Koffein. Doch der Sinn dieses Rituals hat sich wissenschaftlich nicht bislang zeigen lassen, wie zwei britische Forscher in der Zeitschrift „Sports Medicine“ argumentierten, die „Evidenzbasis“ für solche Praktiken sei „überraschend klein.“ Dagegen stehen bei chronischen Kaffeefans im Falle der Abstinenz wiederum unschöne Symptome: Kopfschmerzen, Ermüdung und Muskelschmerzen sind nicht gerade Gefühle, die sich Sportler vor Wettbewerben wünschen.

Genuss beim Kaffeestopp

Profisportler Knees hat sich mit den wissenschaftlichen Fakten bislang noch nicht auseinandergesetzt. Klar, er freut sich, wenn Kaffeetrinken auch seine Leistung steigert. Aber er betont noch etwas anderes: Nämlich den Genuss-Aspekt. Bei jeder längeren Ausfahrt gehören für ihn ein bis zwei Kaffeepausen dazu.

Einer wie er ist das ganze Jahr unterwegs und sitzt oft sechs Stunden am Tag im Sattel. „Wir rasen um die Welt, durch unser Leben als Profis, da genieße ich diese ruhigen Momente schon sehr.“ Auch in der heimischen Eifel gehört ein Tässchen immer dazu, wenn Knees Kilometer sammelt, übrigens ohne Zucker. Das schmeckt ihm besser.

Weitere positive Wirkungen von Kaffee

Kaffee liefert nicht nur Koffein und hält uns wach, sondern ist eine komplexe Mischung von etwa 800 Bestandteilen. Das Verständnis der positiven Wirkungen ist erst in jüngerer Vergangenheit gewachsen. Eine Tasse Kaffee hat gleich eine Vielzahl von Wirkungen, die im menschlichen Körper positive Folgen haben können. Kaffee enthält eine Vielzahl an Antioxidantien – bei der Vorbeugung von Leberkrebs, Alzheimer, Parkinson und Typ-2-Diabetes wird er als hilfreich angesehen. Durch gefäßerweiternde Wirkung in den Bronchien wird Koffein auch ein positiver Einfluss auf die Atmung zugeschrieben. Bewiesen ist auch, dass Kaffeegenuss den Kalorienverbrauch messbar erhöht. Solange der Kaffeekonsum moderat bleibt, gibt es auch kaum wissenschaftliche Hinweise auf schädliche Wirkungen des Genussmittels.

Auch negative Nebenwirkungen von Koffein

Koffein- und Kaffeekonsum kann aber auch übertrieben werden – und dann gibt es einige Nebenwirkungen. So gehören Harndrang und Inkontinenz ebenso zu den möglichen Folgen einer hohen Dosierung wie Kopfschmerzen. Individuell kommen auch Unruhe und Schlafstörungen infolge des Kaffeetrinkens vor, weswegen manchen Menschen nicht zum Konsum ab Nachmittag geraten wird. Für Patienten mit Magenproblemen kann selbst koffeinfreier Kaffee – durch seine Wirkung auf die Muskulatur – Probleme bereiten, indem das Ventil der Speiseröhre sich öffnet und Magensäure aufsteigt.

Tim Farin

Autor

Tim Farin ließ sich an der Deutschen Journalistenschule München ausbilden. Zu seinen Schwerpunkten zählen Sport, Fitness und Gesundheit. Als leidenschaftlicher Rennradfahrer und Marathonläufer kennt er sich mit dem Herz-Kreislauf-System bestens aus und hat mit Prof. Klaus Bös und Prof. Getrud Winkler das Buch „Fit in 12 Wochen“ veröffentlicht.