- Startseite
- Magazin
- Gesundheit
- Tränen lügen nicht – warum wir weinen
Tränen lügen nicht – warum wir weinen
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das aus emotionalen Gründen weint. Warum das so ist, haben Wissenschaftler noch nicht gänzlich geklärt. Eine Studie aus Deutschland legt nahe, dass unsere psychologischen Grundbedürfnisse eine entscheidende Rolle spielen, und unterteilt das Tränenvergießen in fünf Kategorien.
Weihnachten ist definitiv auch ein Fest zum Weinen. Die Programm-Verantwortlichen wissen sehr genau, was sie tun, wenn sie „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ in einer gefühlten Endlos-Schleife senden. Sie wollen uns zu Tränen rühren. Die Taschentücher liegen bereit, denn wir wissen, dass viel Sekret fließen wird. Nur warum und wozu, das weiß eigentlich keiner so genau. Im Laufe unseres Lebens weinen wir immerhin rund 80 Liter.
Mädchen und Jungen tun es in ihrer Kindheit gleich häufig – erst im Erwachsenenalter nehmen sich die Männer zurück, weil man es ihnen so beigebracht hat: Nach Angaben der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft weinen Frauen 30- bis 64-mal im Jahr und Männer zwischen sechs und 17-mal. Das ist – bislang unstrittig – eine Frage der Sozialisation. Und während Kinder vor allem bei Schmerzen und Frustrationen heulen, kommen später noch andere Auslöser hinzu.
Drei Tränenarten
Immerhin weiß man: Tränen sind nicht gleich Tränen. Es gibt basale Tränen, die ganz automatisch ins Auge schießen, damit es feucht, sauber und geschützt bleibt. Reflektorische Tränen hingegen kullern beim Zwiebelschneiden, wenn es windet, kalt ist oder Fliegen ins Auge geraten. Dann produzieren die Tränendrüsen eine Flüssigkeit, die Fremdkörper von der Hornhaut weg aus dem Auge hinausschwemmen soll.
Die dritte Tränenart schließlich ist eine menschliche Besonderheit: Wir weinen, greinen und schluchzen, wenn wir traurig, wütend, berührt oder frustriert sind. Es fließen sogenannte emotionale Tränen. Warum wir bei starken Gefühlsregungen Flüssigkeit ausscheiden, wird aber immer noch erforscht.
1. Basale Tränen | Sorgen für den automatischen Schutz des Auges, halten die Augen feucht und sauber |
2. Reflektorische Tränen | Werden produziert, um Fremdkörper zu aus dem Auge zu schwemmen |
3. Emotionale Tränen | Treten bei starken Gefühlsregungen auf, Gründe werden noch erforscht |
Emotionale Tränen regulieren das Miteinander
Eine evolutionspsychologische These geht davon aus, dass Tränen als Kommunikationsmittel dienen und somit das Miteinander regeln. Tränen zeigen ganz offensichtlich eine Notsituation an und können bei anderen Menschen Mitleid und Hilfsbereitschaft auslösen. Dieser Mechanismus funktioniert allerdings nur eingeschränkt. So mancher ist mit einem weinenden Menschen durchaus überfordert und wendet sich lieber ab, vor allem, wenn es sich nicht um eine nahestehende Person handelt.
Außerdem ist das keine Erklärung dafür, warum viele Menschen weinen, wenn sie allein sind, schlicht von schöner Musik überwältigt werden oder gemeinsam mit dem Hauptcharakter eines romantischen Films unter Liebeskummer leiden. Auf diesen Mangel an Erkenntnissen stieß der Sozialpsychologe und Psychotherapeut Michael Barthelmäs und wunderte sich.
„In der Psychotherapie wird häufig geweint“, sagt er. Die Gründe könnten nicht unterschiedlicher sein. „Ich habe mich gefragt, was der gemeinsame Nenner ist.“ Im Rahmen seiner Promotion an der Universität Ulm fand er heraus, dass viele Auslöser in Verbindung mit psychologischen Grundbedürfnissen gebracht werden können.
Psychologische Grundbedürfnisse
Was braucht der Mensch für sein seelisches Wohlbefinden? In der Psychologie werden vor allem die Bedürfnisse nach Autonomie, Bindung und Kompetenz beschrieben. Danach streben wir. Werden diese Sehnsüchte nicht gestillt, können schon mal Tränen fließen. „Wir haben fünf Kategorien an Auslösern ausfindig machen können, die mit diesen Bedürfnissen zusammenhängen“, sagt Bartholomäs.
Fünf Auslöser fürs Weinen
- Einsamkeit
- Machtlosigkeit
- Überforderung
- Harmonie
- Medienkonsum
Die Forscher hatten in zwei Online-Umfragen Menschen zu Gründen für emotionale Tränen befragt und außerdem ein Tagebuch führen lassen. „Die Gründe konnten wir plausibel zuordnen“, sagt Barthelmäs. Bei einem Streit zum Beispiel bleibt der Wunsch nach Bindung auf der Strecke, nach einer Trennung fühlt man sich möglicherweise einsam und der Verlust eines geliebten Menschen durch den Tod lässt einen komplett machtlos zurück.
In dem Versuch zeigte sich außerdem, dass jüngere Menschen häufiger als ältere aufgrund von Überforderung beispielsweise im Job weinten. Repräsentativ sei letztere Beobachtung aber noch nicht. Dafür seien weitere Forschungen notwendig.
Tränen bei starker Befriedigung von Bedürfnissen
Auch die Tränen, die auf Hochzeiten vor Freude fließen, lassen sich nach diesem Schema identifizieren: „Wir haben gesehen, dass auch geweint wird, wenn ein Bedürfnis besonders stark befriedigt wird.“ Wie eben bei einer Liebesheirat, die als Erfüllung vieler Sehnsüchte für die Eheleute als auch die Gäste überwältigend sein kann. Auch der sportliche Erfolg, der einem eine ganz besondere Kompetenz bescheinigt, kann zu einem tränenreichen Glücksmoment werden.
Lustvoll weinen
Überraschend aber war für Michael Barthelmäs jedoch eine andere Kategorie. „Sehr viele Menschen begeben sich bewusst und geradezu lustvoll in eine Situation, die sie zum Weinen bringt.“ Dazu gehört das Ansehen von bewegenden Filmen oder das Anhören von stimmungsvoller Musik. Das heißt, unter dem Grund „Medienkonsum“ versammelt der Forscher das Weinen, das durch Empathie, Bewegtsein und Rührung hervorgerufen wird.
Das Ergebnis passt zu der repräsentativen Umfrage der Zeitschrift „Tina“ von 2018: Da gehörte der Medienkonsum tatsächlich zu den häufigsten Gründen fürs Weinen (Film 62 Prozent, Musik hören 36 Prozent). Die Freude am puren Gefühl, das mitunter bestimmte Botenstoffe wie das inzwischen berühmte Bindungshormon Oxytocin ausschüttet, ist nachvollziehbar.
Unter dieses Vergnügen fällt auch das rituelle Weinen über das Liebesglück von Aschenbrödel – jedes Jahr ein unverzichtbares Gemeinschaftserlebnis. Aber welchen Zweck haben die Tränen?
Weinen tut gut
Weint der Mensch der Erleichterung wegen? Dem Weinen wird seit jeher eine reinigende Wirkung nachgesagt. Die Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit gibt dazu bislang aber keinen klaren Hinweis. In der Tat sollen emotionale Tränen mit mehr Hormonen wie Prolaktin und Endorphinen sowie Eiweißen, Kalium und Mangan angereichert sein. Das ist aber nach Einschätzung von Barthelmäs und anderen Forschern nicht so signifikant, dass es tatsächlich eine heilende Wirkung haben könnte.
Auch Giftstoffe, die angeblich mit den Tränen aus dem Körper gespült werden, seien nach Angaben des Forschers bislang nicht eindeutig nachgewiesen worden. Die Erleichterung nach dem Weinen, von denen viele Menschen, aber längst nicht alle berichten, ist wohl eher subjektiv.
Höchstwahrscheinlich ist es schlicht einfacher, die Tränen laufen zu lassen als sie und die auslösenden Gefühle zu unterdrücken. Und das tut gut. Wie gesagt, so genau weiß das keiner. Die Studie ist nach Angaben von Michael Barthelmäs deshalb auch eine Grundlage für weitere Forschungen.
Ina Henrichs
Autorin
Ina Henrichs arbeitete nach einem Volontariat bei der Mitteldeutschen Zeitung zunächst als Redakteurin und später als freie Journalistin unter anderem für den Kölner Stadt-Anzeiger. 2015 wurde sie mit dem Deutsch-Französischen Journalistenpreis, 2017 mit dem „Publizistik-Preis Senioren“ ausgezeichnet. Studiert hat sie Französisch und Englisch.