1. Startseite
  2. Magazin
  3. Gesundheit
  4. Arztbesuch auf dem Sofa: Wie Videosprechstunden das Gesundheitswesen verbessern

Arztbesuch auf dem Sofa: Wie Videosprechstunden das Gesundheitswesen verbessern

Wer krank wird, muss zum Arzt – das könnte mit der Verbreitung von Videosprechstunden bald nicht mehr zwingend gelten. Schließlich kann der Arzt per Bildschirm auch zum Patienten kommen. Die Videosprechstunde könnte so zu weniger Ansteckung und mehr Patientenkomfort führen und nebenbei das Gesundheitswesen rentabler und zukunftsfähig gestalten. Was es zu beachten gilt.

Die Videosprechstunde für mehr Patientenkomfort

Das Fieberthermometer zeigt fast 40 Grad an, die Augen glänzen wie ein feuchtes Glas. Wer akut erkrankt ist, will häufig vor allem eines nicht: sich auf den Weg machen, am Ende noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, um sich in ein Wartezimmer und schließlich in ein Behandlungszimmer eines Arztes zu setzen. Die Videosprechstunde bietet eine Alternative zum oft zeitaufwendigen und kräfteraubenden Arztbesuch.

Ein paar Klicks auf dem Laptop oder Tablet reichen und die Verbindung mit dem Mediziner steht. Die Anamnese, das erste Patientengespräch, kann stattfinden, die Erkrankung beurteilt und im besten Fall auch durch das Ausstellen eines E-Rezeptes behandelt werden. Da erstaunt es wenig, dass einer Umfrage im Auftrag der Verbraucherzentrale zufolge drei Viertel aller Patienten, die schon Erfahrung mit einer Videosprechstunde gemacht haben, diese wiederholen würden.

„Wir rasen auf eine rote Wand zu. Der demografische Wandel führt zu immer mehr älter werdenden und bedürftigen Patienten und andererseits zu einer Ausdünnung der Ressource Arzt.”
Dr. Thorsten Hagemann

Rettung in Zeiten des demografischen Wandels

Seit der Corona-Pandemie bieten viele Ärztinnen und Ärzte die Videosprechstunde an. Seit Kurzem wurde auch die Obergrenze aufgehoben, der zufolge ein Arzt lediglich 30 Prozent seiner Termine als Videokonsultation anbieten konnte. Eine Videosprechstunde verursacht für den Patienten keine zusätzlichen Kosten.

Auch für das Gesundheitssystem hat die digitale Patientenberatung durchaus viele Vorteile: „Wir rasen auf eine rote Wand zu. Der demografische Wandel führt zu immer mehr älter werdenden und bedürftigen Patienten und andererseits zu einer Ausdünnung der Ressource Arzt. Jeder Ansatz, der entlastet, ist deshalb zielführend“, sagt Dr. Thorsten Hagemann, Leiter der Stabsstelle E-Health bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO).

Finden Sie jetzt schnell & einfach Ihre passende ambulante Zusatzversicherung

  • Kombitarife als Rundum-Sorglos-Pakete: die wichtigsten Leistungen bei ärztlichen Behandlungen in einem Tarif
  • Zusatzleistungen, die im Alltag wichtig werden können: Brille, Zahnersatz, Heilpraktiker Leistungen
  • Abgestufte Pakete für alle Anforderungen: Konzentration aufs Wesentliche oder das Premiumpaket inkl. Vorsorgeleistungen

Und genau zu einer solchen Entlastung kann die Videosprechstunde gerade in ländlichen Gebieten oder am Wochenende beitragen. Das zeigt auch das Beispiel des Pilotprojekts der Kindernotärztlichen Videosprechstunde, das die KVNO während der Feiertage rund um Weihnachten und Ostern angeboten hat. Etwa die Hälfte aller Gesuche konnten mittels eines Videotelefonats abschließend behandelt werden. „Hier konnten wir digital eine Anamnese durchführen, eine eindeutige Diagnose stellen und bei Bedarf ein E-Rezept ausstellen. Damit war der Behandlungsfall erledigt, abgeschlossen und das Kind musste keine Arztpraxis mehr besuchen“, sagt Hagemann.

Wie eine Videosprechstunde funktioniert

Um an einer Videosprechstunde teilzunehmen, benötigt der Patient einen Internetzugang sowie ein internetfähiges Endgerät. Geeignet ist sowohl ein Computer als auch ein Tablet oder ein Smartphone mit Kamera und Mikrofon. Zunächst muss ein Termin vereinbart werden. Das geht beim Hausarzt meist online. Bei einem Krankheitsfall außerhalb der Sprechstundenzeiten meldet man sich am besten telefonisch oder via Internet beim ärztlichen Bereitschaftsdienst 116117 oder über die Internetseite der kassenärztlichen Vereinigung. 

Bei dieser Gelegenheit würden auch Patienten- und Krankenkassendaten für die Dokumentation aufgenommen und geprüft, ob die Patienten für eine Videosprechstunde infrage kommen. „Wir verschicken anschließend einen Link, den der Patient nur noch zur vereinbarten Zeit anklicken muss”, sagt Hagemann. 

„Wir arbeiten für unsere Notdienststrukturen daran, dass wir sowohl Behandlungsfenster vergeben können als auch ganz akute Anfragen in unseren virtuellen Praxen ohne Termin behandeln können. Unseren Piloten, der bislang zu Ostern und Weihnachten stattfand, werden wir alsbald weiter verstetigen.“, sagt Hagemann.

„Ärzte müssen einen Videodienstleister nutzen, der gemäß den Vorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zertifiziert ist.”

Wie steht es mit dem Datenschutz?

Viele Patienten sorgen sich, bei einer Videosprechstunde könnten die eigenen Daten in Hände Unbefugter gelangen. Beruhigend ist: Ärztinnen und Ärzte, die ihre Videokonsultation mit der gesetzlichen Krankenkasse abrechnen wollen, müssen einen Videodienstleister nutzen, der gemäß den Vorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen zertifiziert ist.

Die Anforderungen für den Video-Stream gehen dabei über die Anforderungen in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hinaus. Werbung oder die Weitergabe der Daten an Dritte sind gemäß Anlage 31b des Bundesmantelvertrags der Ärzte beispielsweise untersagt.

Für welche Diagnosen sich eine Videosprechstunde eignet – und für welche nicht

Die Videosprechstunde beim Hausarzt oder in Fachzentren eignet sich nicht nur für den erprobten Kindernotdienst, sondern gerade auch für die allgemeinmedizinische Akutversorgung oder bei chronischen Erkrankungen, so Hagemann. Eine kanadische Studie belegt, dass die Videosprechstunde beim Hausarzt die effektivste ihrer Art ist.

 An die Grenzen gerate der nur digital zugeschaltete Arzt, wenn es darum ginge, tatsächlich eine körperliche Untersuchung durchführen zu müssen. „Sobald Sie das Stethoskop zücken müssten, um beispielsweise die Lunge abzuhören, oder in den Rachen schauen wollten, wird es am Bildschirm schwieriger“, gibt Hagemann zu bedenken.

„Hagemann bringt beispielsweise die assistierte Videosprechstunde ins Spiel. Gut geeignet sei diese beispielsweise für Altenheime.”

Allerdings dürfe man hier auch nicht aufhören weiterzudenken. Hagemann bringt beispielsweise die assistierte Videosprechstunde ins Spiel. Gut geeignet sei diese beispielsweise für Altenheime. Dort könnte speziell geschultes Personal mithilfe eines Telemedizinkoffers die Vorortuntersuchungen übernehmen, „der Arzt als knappste Ressource wird nur zugeschaltet“. Gerade für Senioren bedeute das ebenso wie für Kinder, dass die oft nervenaufreibenden Krankenhausbesuche reduziert werden könnten.

„Heute ruft das Heim den Rettungsdienst, weil es einem Bewohner schlecht geht. Dann kommen diese Menschen mit viel Brimborium und Aufregung in die Klinik, dabei hätte nur ein Katheter gespült werden müssen oder ähnliches. Mit einer assistierten Videosprechstunde könnte man dem Patienten einen riesigen Stress und den Kassen viele Kosten sparen.“

Auch für Menschen, die nicht im Heim wohnen, würde sich das Gesundheitssystem über kurz oder lang in diese Richtung entwickeln. „Vorstellbar sind beispielsweise auch Self-Service-Einheiten an speziellen Orten. Die Sensorik zur Erhebung der Vitalwerte steckt dann in einer Art Messterminal, das der Patient weitgehend allein benutzen kann. Dort kann der Patient seinen Arm in eine Schlinge legen und dann wird da der Blutdruck gemessen, um in die Behandlung in der Videosprechstunde mit einzufließen“, so Hagemann. Der Weg der Telemedizin sei noch lange nicht zu Ende. „Wir stehen hier ganz am Anfang der digitalen Transformation.“

Digitale Wegweiser könnten Ressourcen sparen

Entscheidender Vorteil der Videosprechstunde sei am Ende, dass sie den Weg des Patienten zum richtigen Facharzt vereinfache. Schließlich bedeute Videosprechstunde nicht einfach nur einen Kameraplausch mit dem Hausarzt. Entscheidend sei, dass die Patienten durch eine digitale Anamnese schon vorsortiert werden könnten, noch ehe sie einen Arzt zu Gesicht bekommen.

„Demnächst kann das IT-System sagen, ob der Patient sich für eine Videosprechstunde eigne, auf die regulären Öffnungszeiten warten könne oder der Rettungswagen zu rufen ist.”

Wer beispielsweise demnächst auf der Internetseite der 116117 einen Fragebogen ausfülle, der bekomme eine Dringlichkeitseinschätzung an die Hand. Demnächst kann das IT-System sagen, ob der Patient sich nun für eine Videosprechstunde eigne, auf die regulären Arztöffnungszeiten warten könne oder der Rettungswagen zu rufen ist. „Eine Medizinprodukt-Software unterstützt, dass der Patient in den geeigneten Behandlungsstrang gerät, was nicht nur den Patienten und Ärzten Zeit und Nerven, sondern auch dem System viel Geld spart.“

Auch wenn ein Arztbesuch in Präsenz von Nöten ist, kann die digitale Unterstützung Zeit und Ressourcen sparen. „Es wäre zum Beispiel sehr hilfreich, wenn der Patient schon im Wartezimmer oder zu Hause einen Fragenkatalog in einer App ausfüllt und wir so eine Software-Anamnese durchführen können, noch ehe der Mensch in unserem Behandlungszimmer sitzt“, so Hagemann.

Wearables könnten Ärzte entscheidende Daten liefern – ganz ohne Termin

Die ortsunabhängige digitale Vernetzung mit dem Arzt mittels Videosprechstunde ist das eine. Gerade bei der Betreuung von chronisch Kranken ist man nach Aussage von Hagemann heute aber schon etwas weiter. Mit sogenannten Wearables, also beispielsweise einer Smartwatch oder internetfähigen Blutzuckermessgeräten, könnten Vitalwerte ständig aufgezeichnet und von einer Software ausgewertet werden.

„Bei der Überschreitung von individuellen Grenzwerten kann so ein Alarm ausgelöst und je nach Dringlichkeit automatisch ein Arzt verständigt werden.”

Anders als früher, als Diabetiker ihre Messwerte per Hand in ein Schulheft eintragen mussten, das sie dann bei jedem Arztbesuch mitbringen mussten und der Arzt händisch auswertete. Digital automatisiert geht das einfacher und schneller: Bei der Überschreitung von individuellen Grenzwerten kann so ein Alarm ausgelöst und je nach Dringlichkeit automatisch ein Arzt verständigt werden. Oder der Patient bekomme eine Anleitung zur Selbsthilfe. Schon heute gebe es dazu Pilotprojekte und erste Umsetzungen.

Hagemann sagt: „Die elektronische Patientenakte kann solche Daten dann künftig gebündelt speichern, sodass sie von jedem Arzt in den Behandlungskontext unmittelbar mit einbezogen werden können.“

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Dr. Thorsten Hagemann

Leiter der Stabsstelle E-Health bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO)

Claudia Lehnen

Autorin

Claudia Lehnen wollte als Jugendliche Ärztin werden, entschied sich dann aber dafür, lieber über Medizin und Menschen und ihre Krankheits- und Genesungsgeschichten zu berichten. Die in Köln niedergelassene Journalistin, die im Tageszeitungs-Journalismus zu Hause ist, ist unter anderem auf das Themengebiet Gesundheit spezialisiert.