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Faulenzen kann gesund und erfolgreich machen

Nichtstun hat in unserer auf Effizienz getrimmten Welt keinen allzu guten Ruf. Dabei haben Forscher längst herausgefunden, dass Faulenzen die Leistungsfähigkeit von Körper und Geist nicht vermindert, sondern im Gegenteil erst ermöglicht. Wer auf die Dauer aufs Faulenzen verzichtet, kann sogar ernsthaft krank werden.

Winston Churchill pflegte, sich nach dem Mittagessen die Kleider auszuziehen und sich ins Bett zu legen. Ein Mittagsschlaf, so das Credo des ehemaligen Premiers von Großbritannien, sei unabdingbar für den Erfolg. „Denken Sie bloß nicht, dass Sie weniger Arbeit schaffen, wenn Sie am Tage schlafen. Das ist eine dumme Idee von Leuten ohne Vorstellungsvermögen. Sie werden sogar mehr bewerkstelligen.“

Churchill hatte Recht: Mehrere Studien haben mittlerweile ergeben, dass ein täglicher Mittagsschlaf den Blutdruck senken und dafür die Frustrationstoleranz heben kann. Auch die Konzentration und Stimmung können durch ein schnelles Nickerchen verbessert werden. Müßiggang in Maßen ist zudem grundsätzlich notwendig, um überhaupt leistungsfähig zu bleiben.

Während des Nichtstuns erledigt unser Gehirn wichtige Aufgaben. Es sortiert Erlebtes, kodiert um, speichert und verbindet neu. Erlebnisse aus dem Zwischenspeicher werden in den Langzeitspeicher verlegt, Daten reanalysiert und neu bewertet. Wer chillt, bereitet sich auf diese Weise eigentlich nur darauf vor, künftigen Aufgaben wieder leistungsfähig begegnen zu können.

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Wenn wir auf dem Sofa liegen und an die Decke starren, läuft vor allem das Großhirn auf Hochtouren.

Wenn wir auf dem Sofa liegen und an die Decke starren, läuft vor allem das Großhirn auf Hochtouren. Aber sogar der Teil des Gehirns, der für Bewegungen zuständig ist, ist beim Ausruhen aktiv. Wer zum Beispiel nur über das „Greifen“ nachdenkt, übt im Gehirn die Handbewegung, ohne sich wirklich zu bewegen. So ein Training ist wichtig, damit es im Zweifelsfalle dann auch schnell und reibungslos funktioniert. Stellvertretendes Lernen nennt das Dr. Michael Svitak, leitender Psychologe der Psychosomatischen Klinik in der Schön Klinik Bad Staffelstein.

Unlängst haben Forscher einen Zusammenhang zwischen Kreativität und Faulheit (oder die Fähigkeit zum Müßiggang) bewiesen. Möglicherweise, so zeigt eine Studie der Florida Gulf Coast University, ist Faulheit sogar ein Zeichen von besonders hoher Intelligenz.

Zu wenig Zeit für natürliche Regeneration

Aber nicht nur das Gehirn, auch der Körper benötige das Nichtstun als Phasen, in welchen er sich vollkommen auf die Reparatur der Zellen konzentrieren kann. „Für Regenerationsprozesse ist es nötig, dass der Körper Ruhe hat. Das ist ein bisschen wie bei einem Auto, das kann man auch nicht reparieren, während man mit 180 Kilometern pro Stunde über die Autobahn rast“, sagt Svitak.

Der Mensch funktioniere als Teil der Natur nach der Sinuskurve zwischen Aktivität und Ruhe oder An- und Entspannung. „Auch Blumen schließen nachts ihre Kelche und öffnen sie tagsüber wieder. Nur der Mensch macht sich mit zunehmender Zivilisation immer mehr zur Maschine“, sagt der Experte.

„Der Mensch funktioniere als Teil der Natur nach der Sinuskurve zwischen Aktivität und Ruhe oder An- und Entspannung.”
Psychologe Dr. Michael Svitak

Viele Hormonausschüttungen seien an diesen Rhythmus angepasst und vom Licht abhängig. Durch die Abschottung vom Tageslicht im Büro und andererseits den Einsatz künstlicher Lichtquellen in der Nacht bringe der Mensch diese Mechanismen durcheinander. Dem Körper bliebe zu wenig Zeit zur natürlichen Regeneration.

Fehlende Pausen lösen Anstieg an Zivilisationskrankheiten aus

Vorteile von Pausen

Für das Gehirn:Für den Körper:
  • Nichtstun ermöglicht dem Gehirn wichtige Verarbeitungsprozesse
  • Sortieren und Umcodieren von Erfahrungen
  • Umstrukturierung und Speicherung von Informationen
  • Übertragung der Informationen von Kurzzeit- in Langzeitspeicher
  • Daten werden reanalysiert und neu bewertet
  • Vorbereitung auf zukünftige Aufgaben und erhöhte Leistungsfähigkeit
  • Pausen sind notwendig, um Zivilisationskrankheiten zu verhindern.
  • Ruhephasen für die Zellreparatur.
  • Der menschliche Rhythmus zwischen Aktivität und Ruhe ist wichtig für Hormonausschüttungen und den Schlafrythmus.
  • Regelmäßige Pausen sind notwendig, um das Gleichgewicht im Leben aufrechtzuerhalten.
  • ermöglichen das Loslassen von Alltagsanforderungen und fördern gesunde Regulationsprozesse im Körper.

 

Manchmal aber, wenn wir zu lange im Anspannungsmodus verharrt sind, ist es schwer, in den Regenerationsmodus zurückzufinden. „Wir verlieren die Fähigkeit, zwischen dem Aktivitäts- und Regenerationsmodus flexibel hin und her zu wechseln“, sagt Svitak.

Mit zunehmendem Stress und abnehmender Regenerationsfähigkeit stiege die Wahrscheinlichkeit, dass sich psychosomatische Erkrankungen zeigen. Das mache sich in Erschöpfungszuständen, Schlafstörungen, chronischen Schmerzen oder Appetit- und Verdauungsschwierigkeiten bemerkbar. Der Ausweg über das Nichtstun erscheint leicht, ist für viele Menschen aber schwierig.

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Stresshormone wirken wie ein Narkosemittel, das körperliche und seelische Empfindungen verdecken kann.

„Sind wir über einen längeren Zeitraum unter Daueranspannung, ist das zwar langfristig ungesund, aber durch die dabei ausgeschütteten Stresshormone merken wir das oftmals lange Zeit nicht. Stresshormone wirken wie ein Narkosemittel, das körperliche und seelische Empfindungen verdecken kann.

Entspannen wir, lässt diese Narkose zunächst nach und im ersten Moment spüren wir mit einer umso größeren Wucht die Folge der ausgelassenen Pausen. Wir fühlen uns schlechter und so wird dringend notwendige Entspannung im ersten Moment bestraft. Oftmals treiben wir uns dann weiter an, um diesen unangenehmen Zustand zu vermeiden. Das kann so weit gehen, dass wir in einem Burnout landen oder Organsysteme Schaden nehmen.”

Die besten Ideen, um zur Ruhe zu kommen

„Denken Sie erstmal darüber nach, bei welchen Aktivitäten Sie früher entspannt haben, denn oft verzichten wir in Stressphasen auf angenehme Aktivitäten, die uns helfen runterzukommen“, sagt Svitak. Nehmen die Aufgaben zu, denken wir, dass wir auf diese scheinbar nutzlosen Aktivitäten verzichten können, und nach einiger Zeit verlernen wir die Fähigkeit zu entspannen. Die Methoden können ganz unterschiedlich sein und sind so individuell wie die Menschen selbst.

„Oft verzichten wir in Stressphasen auf angenehme Aktivitäten, die uns helfen runterzukommen.”
Dr. Michael Svitak

Manch einer entspannt, wenn er mit anderen Menschen zusammen ist, manche benötigen eine ablenkende Aktivität (Handarbeiten, Gartenarbeit), andere benötigen Ruhe und Abgeschiedenheit und wiederum andere entspannen bei einem wohltuenden Bad oder in der Sauna. Manchen hilft zum Runterkommen die Natur, frische Luft und der Blick ins Grüne. Hier bietet sich Spazierengehen, aber auch Waldbaden an. Wieder andere entspannen beim Musikhören oder beim Lesen eines Buches. Und dann gibt es auch Menschen, die sich sportlich auspowern müssen, um im Kopf zur Ruhe zu kommen.

Psychotherapeutische Hilfe aufsuchen

„Ist der Stresszustand zu weit fortgeschritten, brauchen Betroffene manchmal auch professionelle Hilfe, wenn sich seelische oder körperliche Leiden trotz eigener Maßnahmen nicht zurückbilden. Dann ist eine Therapie oder ein Klinikaufenthalt mit Abstand zum Alltag die richtige Wahl“, sagt Svitak.

In der Schön Klinik in Bad Staffelstein beispielsweise versucht man Patienten mit Erkrankungen infolge von Stress zu helfen: u. a. mit psychologischen Strategien, naturheilkundlichen Methoden (z. B. Düfte, Wickel) und körperorientierten Therapien, wie Achtsamkeitstraining, Atemtherapie oder Wald- und Naturbaden.

„Viele Menschen daddeln oder scrollen sich nach Feierabend stundenlang durchs Netz. Das hat mit Entspannung wenig zu tun, eher mit sich weg Beamen.”
Dr. Michael Svitak

Nicht hinreißen lassen sollte man sich übrigens, zu versuchen, die Ruhe mit Hilfe von elektronischen Medien wiederzuerlangen. „Viele Menschen daddeln oder scrollen sich nach Feierabend stundenlang durchs Netz. Das hat aber mit Entspannung wenig zu tun, eher mit Dissoziation, also mit ‚sich weg Beamen‘.“ Auf diese Weise überdecke man ähnlich wie mit Alkohol oder Drogen einen unangenehmen Zustand nur kurz, es findet keine gesunde Verarbeitung des Stresses statt.

„Irgendwann ist es aber nicht mehr möglich, den so angestauten Stress auf diese Weise von sich wegzudrücken, und die Abwehr bricht zusammen, was die Betroffenen als körperlichen oder seelischen Zusammenbruch erleben. Das ist der Zeitpunkt, an dem Betroffene oftmals psychotherapeutische Hilfe aufsuchen.“

Mit dem Kopf im hier und jetzt bleiben

Nun soll das alles keine Rechtfertigung fürs lebenslange Faulenzen sein. Längst haben Studien bewiesen, dass zu viel Nichtstun ebenso unglücklich und krank machen kann wie ständige Überforderung. Es geht um die ausgewogene Balance, also den Wechsel zwischen sinnstiftender Aktivität und Regenerationspausen. Dabei müssen die Pausen, die wir regelmäßig einlegen sollen, gar nicht lang sein.

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Nichtstun kann ebenso unglücklich und krank machen wie ständige Überforderung, das haben Studien bewiesen.

„Interessant finde ich hier das Ritual von buddhistischen Mönchen, bei dem beispielsweise zum Einleiten einer neuen Aktivität eine Klangschale angeschlagen wird. So lange der Ton klingt, sammle ich mich und bereite mich innerlich auf die neue Aufgabe vor. Das nimmt nur einen Augenblick Zeit in Anspruch“, so Svitak. Oft habe eine Pause schon dann ihre Funktion erfüllt, wenn es uns dadurch gelingt, gedanklich von einer Aufgabe Abstand zu nehmen und uns bereit für die nächste zu machen.

„Dadurch fällt es uns leichter, in der Gegenwart zu bleiben“, sagt Svitak. Wenn wir ganz im „Hier und Jetzt“ sind, dann sind wir ganz bei uns und bei der einen Sache, die wir gerade tun. Dabei fühlen wir uns oft im „flow“ und nicht gestresst.

Gestresst fühlen wir uns dann, wenn unsere Gedanken bereits in der Zukunft sind und man sich ausmalt, was noch alles zu tun ist, oder wenn wir mit unseren Gedanken in der Vergangenheit hängen. Kontrollieren können wir nur den Augenblick, in dem wir uns gerade befinden und in dem Stress entsteht, wenn wir uns mit Dingen beschäftigen, die nicht in unserer Kontrolle liegen.

Zur Einübung habe sich das Ritualisieren von Pausen bewährt, denn unter Stress neigen wir dazu, die Dinge zu vergessen, die uns guttun. „Ein fester Plan kann in der Umsetzung sehr helfen, denn nur ritualisierte Verhaltensweisen sind fest verankert und entfalten zum Teil bereits eine Wirkung, weil wir die Entspannung vorhersehen“, sagt Svitak. Dabei könnten die Faulenz-Rituale ganz unterschiedlich gewählt werden.

Erfahren Sie mehr über die Kraft von Ritualen in unserem Artikel: Die Magie des Immergleichen: Darum sind Rituale so wichtig!

Claudia Lehnen

Autorin

Claudia Lehnen wollte als Jugendliche Ärztin werden, entschied sich dann aber dafür, lieber über Medizin und Menschen und ihre Krankheits- und Genesungsgeschichten zu berichten. Die in Köln niedergelassene Journalistin, die im Tageszeitungs-Journalismus zu Hause ist, ist unter anderem auf das Themengebiet Gesundheit spezialisiert.