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Gentests – lohnt sich der Blick in das eigene Erbgut?
Gentests werden immer billiger. Gleichzeitig gibt es immer mehr Nachweise, dass Krankheiten auf Grundlage der Erbgut-Sequenzierung behandelt oder gar geheilt werden können. Auch deshalb stuft die Unternehmensberatung McKinsey die Gensequenzierung als einen von elf Megatrends der Zukunft ein. Experten allerdings warnen vor den gängigen Tests von heute, sie gaukelten scheinbare Zusammenhänge vor, seien aber viel zu ungenau. Was kann eine Sequenzierung der DNA heute schon leisten und wo geht die Reise hin? Darüber informiert dieser Artikel.
Als Sergej Brin erfährt, dass mit LRRK2 irgendetwas nicht stimmt, fährt er ins Schwimmbad, klettert auf das Sprungbrett und stürzt sich in die Tiefe. Er macht das nun seit vielen Jahren mehrmals die Woche, nach der Arbeit im kalifornischen Mountain View. Mittlerweile sitzen seine Schrauben und wenn er ins Wasser taucht, soll es kaum spritzen. Sergej Brin ist einer der beiden Väter von Google.
Als seine Frau Anne Wojcicki 2006 das Unternehmen 23andMe gründet, eine Firma für persönliche Genforschung, lässt auch Brin sein Genom analysieren und erfährt: In jeder Zelle seines Körpers, in einem Gen namens LRRK2, verbirgt sich eine genetische Veränderung, die vermutlich ein höheres Parkinson-Risiko bewirkt.
Es kann sein, dass Brin trotzdem nicht an Parkinson erkrankt. Aber die Wahrscheinlichkeit ist um das 30- bis 75-Fache erhöht. Wenn man weiß, dass der Durchschnittsamerikaner nur mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Prozent damit rechnen muss, irgendwann an der Schüttellähmung zu leiden, ist das eine einfache Rechnung. Brins Chancen, gesund zu bleiben, sind in etwa fifty-fifty.
Vielleicht mittlerweile aber auch ein bisschen besser. Und das wiederum liegt an der Gegenrechnung mit den Schrauben vom Sprungturm. Eine Studie zeigt nämlich, dass Männer, die Sport treiben, ein bis zu 60 Prozent geringeres Risiko tragen, an Parkinson zu erkranken. So die Rechnung. Und Brins Hoffnung.
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Gentests können verunsichern
Nicht alle Menschen, denen ein Gentest offenbart, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie an welcher Krankheit sterben werden, gehen mit diesem Wissen so zupackend um wie Brin. Eine Umfrage der Universität Boston (USA) hat beispielsweise ergeben, dass viele Menschen durch Genanalysen verunsichert sind.
Erhält ein Patient die Information, dass in ihm eine erhöhte Wahrscheinlichkeit schlummert, an einem schweren Leiden zu erkranken, kann ihn das psychisch stark belasten. Studien belegen außerdem, dass das Wissen um ein erbliches Risiko nur selten zu einer Änderung des Lebenswandels führt.
Übrigens
Florian Erger, Facharzt für Humangenetik an der Uniklinik Köln, hält inhaltlich nicht allzu viel von solchen Tests. Und das liegt schlicht an ihrer Oberflächlichkeit.
Medizinische kommerzielle Tests in Deutschland verboten
Um zu verhindern, dass Menschen mit schwer zu durchschauenden Ergebnissen alleine gelassen werden, gibt es in Deutschland das Gendiagnostikgesetz. Es besagt, dass genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken nur in ärztlicher Verantwortung durchgeführt werden dürfen. Jeder Gentest muss außerdem begleitet werden durch umfangreiche Aufklärung und ein Beratungsangebot durch speziell qualifizierte Ärztinnen und Ärzte. Die Wahrnehmung des Angebotes ist bei besonders sensiblen Fragestellungen auch verpflichtend.
Für fast jedermann erschwingliche, kommerzielle Gentests zur Erkennung von Krankheiten wie sie beispielsweise das Unternehmen 23andme in den USA anbietet, sind in Deutschland also nicht vorgesehen. Florian Erger, Facharzt für Humangenetik an der Uniklinik Köln, hält auch inhaltlich nicht allzu viel von solchen Tests. Und das liegt schlicht an ihrer Oberflächlichkeit.
„Für solche Tests werden punktuell einzelne Positionen im Genom angeguckt, die etwas mit Krankheiten zu tun haben könnten – etwa jeder fünftausendste DNA-Buchstabe. Für die Berechnung einer bestimmten Risikoziffer werden vielleicht ein paar Dutzend Positionen berücksichtigt. Am Ende ist das Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit an Herzinfarkt zu sterben ist im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung nur halb so hoch. Hätte der Test aber noch tausend weitere Punkte untersucht, wäre vielleicht herausgekommen, dass das Risiko fünffach erhöht ist“, sagt Erger.
Auch der Abstrich über die Mundschleimhaut, wie er im Fall von kommerziellen Anbietern häufig als Grundlage genutzt wird, biete kein besonders hochwertiges Ausgangsmaterial – sagt der Humangenetiker Huu Phuc Nguyen, Lehrstuhlleiter an der Ruhr-Uni Bochum. „Wir sequenzieren auf der Basis einer Blutentnahme. Über die Mundschleimhaut erhalten wir häufig nicht DNA in ausreichender Qualität für eine sichere Diagnostik.“
Wie hoch sind die Kosten und wer zahlt?
Eine vernünftige Sequenzierung von ein paar tausend Genen schlägt mit ein paar tausend Euro zu Buche – was verglichen mit den Kosten, die dafür noch vor einigen Jahren fällig geworden wären, dennoch ein Schnäppchen ist. Der Preisverfall nützt der Forschung und vor allem der Patientenversorgung. „Im Hinblick auf die reinen Sequenzierungskosten ist es fast egal, ob ich 500 oder 2500 Gene untersuche. Das ermöglicht natürlich eine viel breitere Analyse, die mehr Zusammenhänge und Veränderungen aufdeckt und man so bei mehr Betroffenen eine Diagnose stellen kann“, sagt Erger von der Uniklinik Köln.
Überhaupt: Gerade in der medizinischen Genetik ist die Quantität an Daten der Schlüssel zu Zusammenhängen und damit zum Erfolg. Gerade seltene erbliche Krankheiten lassen sich oft nur durch die Analyse immens großer Datensätze entdecken. Gänzlich kostenfrei für den Patienten wird der Gentest, wenn eine medizinische Indikation vorliegt. Also beispielsweise Beschwerden, die auf eine genetische Krankheit hinweisen können. Oder eine familiäre Vorbelastung. Dann übernimmt die Rechnung für die Sequenzierung die Krankenkasse.
Wann ist ein Gentest sinnvoll?
Gentests können Leben retten. Vor allem bei Brustkrebs und den tumorunterdrückenden Genen BCRA1 und 2 spielen die Fortschritte der Humangenetik eine große Rolle. Schon seit zwanzig Jahren ist bekannt, dass eine Fehlerhaftigkeit an diesen Genen, die eigentlich dafür da sind, DNA-Schäden zu reparieren und Zellen vor ungebremster Vermehrung zu schützen, zu einer stark erhöhten Brustkrebsneigung führen kann. Zeit genug, um eine Menge Daten zu sammeln und in klinischen Studien und an Zellkulturen zu testen, ob der vermutete Zusammenhang zwischen einem bestimmten Genfehler und der Erkrankung sich tatsächlich wissenschaftlich erhärten lässt.
„Ein Test ist zum Beispiel dann sinnvoll, wenn zwei Verwandte an Brustkrebs erkrankt sind, eine davon vor dem 51. Lebensjahr“, sagt der Humangenetiker Nguyen. Auch Erkrankten selbst rät er zu einer Sequenzierung. Sind tatsächlich einige Informationen im Gen fehlerhaft, dann weiß der Arzt nämlich auch: Es gibt zielgerichtete Medikamente, die für Mutationsträger*innen in gewissen Situationen gegeben werden können. Eine engmaschige Vorsorge mit MRT und Ultraschall kann gut therapierbare Frühstadien entdecken. Im Falle des Brustkrebsgens kann der Humangenetiker also nicht nur beunruhigen. Er kann helfen.
Die moderne Humangenetik kann aber noch mehr als früherkennen. Sie kann auch eingreifen und therapieren. Ein hoffnungsvolles Beispiel sind erste Erfolge im Kampf gegen die Krankheit Spinale Muskelatrophie. Von dieser Art des Muskelschwunds betroffene Kinder haben eine sehr begrenzte Lebenserwartung und sterben oft im Kindesalter.
„Mittlerweile ist unter anderem ein Medikament zugelassen, das die RNA dieser Kinder modifiziert und dadurch dafür sorgt, dass das bei Betroffenen fehlende Eiweiß wieder hergestellt wird, welches die Muskeltätigkeit aufrechterhält“, sagt Erger. Die an Nachkommen vererbte DNA wird durch diese Therapien aber nicht verändert. Erste Studien haben ergeben, dass sich so nicht nur die Sterblichkeit um 63 Prozent reduzieren ließ. Viele der behandelten Kinder entwickeln sich laut Erger nahezu normal, lernen sitzen und laufen. Dafür ist aber ein früher Behandlungsbeginn, also eine frühe genetische Diagnose, entscheidend.
Aber es gibt noch weitere Erfolgsmeldungen: Auch bei erblicher Blindheit belegen klinische Studien, dass die lokale Gabe eines DNA-verändernden Medikaments an die Netzhaut die Sehkraft verbessern kann. Und wenn der Genetiker herausfindet, dass einer Epilepsie eine bestimmte Mutation zu Grunde liegt, dann zeigt sich laut Erger die Therapie mit Vitamin B6 erfolgreich.
Die Grenzen der Gentests
Weltbekannt wurde das sogenannte Brustkrebsgen 2013, als die Schauspielerin Angelina Jolie sich präventiv beide Brustdrüsen entfernen ließ, nachdem bei ihr eine Mutation im BRCA1-Gen festgestellt wurde. Ihre Mutter war mit 56 Jahren an Brustkrebs verstorben. Gerade das wohl bekannteste Beispiel für sinnvolle medizinische Gentests zeigt aber auch die begrenzte Aussagekraft unserer Gendaten für unsere Gesundheit.
Veränderungen an BCRA1 und 2 erhöhen zwar das Risiko einer Brustkrebserkrankung deutlich, ein unauffälliger Gentest ist aber noch lange kein Garant dafür, dass die Krankheit uns verschont. Nur fünf bis maximal zehn Prozent aller Brustkrebspatientinnen haben eine angeborene Mutation, die sie für ihr Leiden verantwortlich machen können. Die große Mehrheit muss als Auslöser zufällige erworbene Mutationen in einzelnen Zellen der Brustdrüse oder letztlich im Einzelfall unbeweisbare Umweltfaktoren vermuten.
Florian Erger von der Uniklinik Köln glaubt, dass die Forschung dieses Verhältnis in der Zukunft verändern wird. Aktuell ist die Ursache für etwa 5000 monogene Krankheiten (also solche, die durch Mutationen in einem einzelnen Gen ausgelöst werden) bekannt. Unser Verständnis der genauen genetischen Einflüsse auf komplexe Erkrankungen, bei denen viele genetische, aber auch nicht genetische Faktoren zusammenwirken, ist hingegen noch deutlich unvollständiger. Es wird aber wachsen, und zwar schnell.
„Zwischen den klassisch erblichen Krebsarten und denen, die rein zufällig durch Umwelteinflüsse entstehen, gibt es eine breite Grauzone von Tumoren, die wahrscheinlich durch das Zusammenspiel einer ganzen Reihe minimaler Genveränderungen entstanden sind. Je weiter wir forschen, umso mehr solcher Zusammenhänge können wir entdecken und diagnostizieren.“
Die Gefahren des Tests
Das Gendiagnostikgesetz soll auch verhindern, dass Gentests gemacht werden, deren Ergebnisse dem Patienten sehr schaden, aber kaum nützen können. Krankheiten, gegen die man präventiv nichts ausrichten kann. Als ein Beispiel nennt Professor Nguyen von der Universität Bochum das Beispiel Parkinson und Alzheimer, aber auch die Nervenkrankheit Chorea Huntington.
„Bei diesen Erkrankungen kann der Patient vorbeugend wenig tun. Natürlich ist es immer gut, wenn man sich gesünder ernährt oder Sport treibt, aber ob damit das Risiko wieder gesenkt werden kann, ist unklar. Am Ende ist der Patient durch die Diagnose sehr verunsichert. Vorbeugend unternehmen kann er wenig“, sagt Nguyen. „Wenn es keine große Sicherheit gibt, dass der Test bei Gesunden etwas verbessern kann, dann bieten wir ihn nur nach ausführlicher Beratung inklusive psychologischer Betreuung an.“
Was bringen Lifestyle-Tests?
Aber die Gentest-Branche bietet schon lange nicht mehr nur einen Markt für medizinisch Interessierte. Gentests sind zum Lifestyle-Produkt geworden. Für rund hundert Euro versprechen verschiedene Anbieter anhand einer Genomentschlüsselung dem Kunden die perfekte Sportart, den perfekten Partner oder Erkenntnisse über die Herkunft.
Über die Verlässlichkeit solcher Tests will der Humangenetiker Huu Phuc Nguyen von der Ruhr-Uni Bochum nicht viel sagen. Er hält sie für eine Spielerei, aber auch für harmlos. „Das kann man natürlich untersuchen lassen, dabei kann man wenig falsch machen.“ Florian Erger von der Uniklinik Köln schätzt die Aussagekraft solcher kommerzieller Angebote als sehr niedrig ein: „Das steht – vielleicht abgesehen von Analysen, die die geographische Herkunft unserer unmittelbaren Vorfahren eingrenzen – wissenschaftlich auf sehr wackligen Beinen.“
Das ideale Genom
Für die Zukunft will Erger nicht ausschließen, dass es irgendwann Methoden geben kann, die im Genom die Antwort auch auf die Frage nach der perfekten Sportart finden können – wie sinnvoll ein einzelner diese Information auch einschätzen mag. Werden wir irgendwann sogar an unserem Genom herumdoktern, um es scheinbar ideal zu formen? „Das ist natürlich eine gesellschaftliche Frage. Aus medizinischer Sicht gibt es keinen Grund, das Genom eines gesunden Menschen zu verändern“, sagt Erger.
Und überhaupt: „Wir forschen ja hauptsächlich an Mutationen, die im Verdacht stehen, Krankheiten auszulösen. Hierzu sammeln wir Daten, die uns helfen, Diagnosen zu stellen und Krankheiten zu therapieren. Das optimale Genom, wenn es das überhaupt gibt, das kennen wir gar nicht.“
Quellen
- https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1702752
- https://www.uni-kiel.de/de/universitaet/detailansicht/news/innovative-gentests-fuer-kinder-mit-entwicklungsstoerungen-und-epilepsie
- https://www.drze.de/im-blickpunkt/praediktive-genetische-testverfahren
- https://www.apotheken-umschau.de/weitere-themen/was-nuetzen-kommerzielle-gentests-721155.html
- https://www.ethikrat.org/themen/medizin-und-gesundheit/gendiagnostik/
- https://www.gesetze-im-internet.de/gendg/BJNR252900009.html
- https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/g/gendiagnostikgesetz.html
- https://naturwissenschaften.ch/personalized-health-explained/welche_methoden_werden_eingesetzt_/genetische_tests/klassische_genetische_tests