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Abnehmen ohne die Spritze

Abnehmspritzen haben einen regelrechten Hype ausgelöst, versprachen sie doch das oft mühsame Geschäft vom Abnehmen und Gewichthalten zu revolutionieren. Wegovy und Ozempic sollen den Appetit zügeln und das Sättigungsgefühl steigern. Beides lässt sich aber auch ohne Pieks und Chemie erreichen. Welche Lebensmittel eine ähnlich gewichtsregulierende Wirkung auf den Körper haben.

Die sogenannten Abnehmspritzen versprechen nicht weniger als ein Wunder: Dauerhaftes Schlanksein und das ohne Hungergefühl. Möglich macht das ein Wirkstoff, der das Darmhormon GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) imitiert und damit der Bauchspeicheldrüse signalisiert, nun die Insulinproduktion hochzufahren. Gleichzeitig sendet das Hormon dem Gehirn die Nachricht: Du bist satt. Und weil satte Menschen weniger essen als hungrige, hilft die Abnehmspritze dabei, unerwünschte Kilos loszuwerden.

„Gleichzeitig sendet das Hormon dem Gehirn die Nachricht: Du bist satt.”

Aber wie alle Medikamente haben auch die Abnehmspritzen Nebenwirkungen. Professor Karsten Müssig, Diabetologe am Franziskus-Hospital Harderberg der Niels-Stensen-Kliniken bei Osnabrück, spricht von den sehr häufigen Nebenwirkungen Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Verstopfung bis hin zu den selteneren, aber dafür schwereren Nebenwirkungen Bauchspeicheldrüsenentzündung und Darmverschluss.

Empfehlenswert sei die Abnehmspritze deshalb nur für Patientinnen und Patienten mit ausgeprägter Adipositas. Wer nur mal eben die im Sommerurlaub angefutterten fünf Kilogramm loswerden will, der solle die Finger von der Spritze lassen.

Ballaststoffe wirken ähnlich wie die Abnehmspritze

Mit den zusätzlichen Speckringen abfinden müsse sich aber niemand. Schließlich biete die Natur eine Reihe gesunder Lebensmittel, die eine ähnliche Wirkung im Darm entfachten wie das künstliche Semaglutid in der Wegovy-Spritze. Möglich machen das die L-Zellen im Dünndarm. Sie beobachten ständig, welche Nahrungsmittel da an ihnen vorüberschwimmen. Nehmen sie zum Beispiel wahr, dass ballaststoffreiche Kost unterwegs ist, senden sie die Botschaft an die Zellen weiter, das Hormon GLP-1 freizusetzen.

„Der Botenstoff GLP-1 verzögert die Entleerung des Mageninhaltes in den Darm.”

Das Peptid ist ein wichtiger Mitarbeiter, wenn es darum geht, den Blutzuckerspiegel zu regulieren und nach dem Essen ein Sättigungsgefühl im Gehirn auszulösen. Der Botenstoff verzögert die Entleerung des Mageninhaltes in den Darm. Zudem setzt sich GLP-1 auf die Rezeptoren des Brechzentrums im Gehirn. Beides löst ein Sättigungsgefühl aus. Das Gehirn befiehlt also, die Nahrungsaufnahme erstmal wieder einzustellen. Das Hormon unterstützt den gesunden Körper so dabei, ein optimales Gewicht zu halten.

Ballaststoffe haben also grundsätzlich eine ähnliche Wirkung auf unseren Stoffwechsel wie die Abnehmspritze: Sie setzen allmählich Insulin frei, wodurch der Blutzucker keinen starken Schwankungen unterliegt und so auch eine Stunde später kein Heißhungergefühl entsteht.

Wie Sie den Heißhunger überlisten, erfahren Sie in unserem Artikel „Den Heißhunger überlisten: So gelingt es“.

Worum handelt es sich bei Ballaststoffen?

Als Ballaststoffe bezeichnet man Nahrungsfasern aus pflanzlichen Lebensmitteln, die schwer oder gar nicht verdaut werden können. Sie rutschen aus dem Dünndarm deshalb weitgehend unverändert weiter in den Dickdarm. Dort saugen sie Wasser auf und quellen. Das Volumen der Nahrung erhöht sich also, weshalb eine niedrige Kalorienzufuhr zu einem schnelleren Sättigungsgefühl führt.

Wer sich ballaststoffreich ernähren will, greift künftig im Küchen- oder Kühlschrank zu folgenden Produkten:

  • Vollkornprodukte wie Vollkornreis, Vollkornbrot, Vollkornnudeln, aber auch Chia-Samen
  • Gemüse und Salat
  • Obst
  • Hülsenfrüchte
  • Kartoffeln

Besonders günstig auf das Sättigungsgefühl wirken sich wasserlösliche Ballaststoffe wie Inulin oder Beta-Glucane aus. Sie kommen in Gemüse und Obst, aber auch in Hülsenfrüchten oder Hafer vor. Die Ballaststoffe erhöhen die Verweildauer des Speisebreis im Verdauungstrakt und führen damit dazu, dass wir längere Zeit keinen Hunger mehr verspüren.

Günstig für den Stoffwechsel: Haferkleie

Besonders gute Erfahrungen haben Experten wie Müssig auch mit Haferprodukten gemacht. „Das liegt daran, dass sich die Ballaststoffe im Hafer sehr günstig auf den Glukosestoffwechsel auswirken“, so Müssig. Bei sogenannten Haferkuren mit Haferschleim und Brühe gelingt es häufig auch bei Menschen mit Diabetes, die Insulinresistenz zu durchbrechen und den Blutzucker gut einzustellen. „Die Therapieeffekte sind nach so einer Kur oft noch Wochen später nachweisbar.“

„Beta-Glucane können im Darm nur sehr langsam aufgeschlüsselt werden.”
Prof. Karsten Müssig

Verantwortlich dafür seien Beta-Glucane, komplexe Kohlenhydrate aus D-Glukose-Molekülen. Sie kommen in verschiedenen Getreidesorten wie Hafer, hier besonders in der Kleie, und Gerste, aber auch in Pilzen, Zwiebeln, Knoblauch, Bananen und Hülsenfrüchten vor. „Sie können im Darm nur sehr langsam aufgeschlüsselt werden, weshalb der Glukosespiegel im Blut nach dem Verzehr verzögert ansteigt.“

Nahrung für die Darmbakterien

Neben den günstigen Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel und die Sättigung dienen die Beta-Glucane aber auch gesundheitsfördernden Darmbakterien als Nahrung und tragen zu deren Vermehrung bei. „Diese Bakterien stehen dann wieder zur Verstoffwechslung zur Verfügung“, sagt Müssig. Beim Abbau der Ballaststoffe durch Bakterien entstünden aber auch kurzkettige Fettsäuren. Und diese senden wiederum den L-Zellen den Auftrag, vermehrt GLP-1 auszuschütten.

Und schon wirkt die Haferkur so ähnlich wie die Abnehmspritze. Sie kann helfen, Stoffwechselkrankheiten wie zum Beispiel Diabetes Mellitus Typ 2 und Adipositas zu behandeln oder gar ihren Ausbruch zu vermeiden.

Auch fermentierbare Ballaststoffe, wie sie in Rosenkohl, schwarzen Bohnen, Linsen, Spalterbsen, Hafer und Himbeeren vorkommen, regen den Darm Studien zu Folge zur Ausschüttung von GLP-1-Peptiden an.

Auch Huhn, Fisch und Ei helfen beim Abnehmen

Wer nun fürchtet, er könne nur mit veganer Kost das Pfundepurzeln ankurbeln, für den hat Karsten Müssig auch noch eine andere gute Nachricht. Grundsätzlich wirke sich eine pflanzenbasierte Kost auf das Schlank- und Gesundbleiben positiv aus. Auch deshalb, weil Pflanzen häufig eine günstige Energiedichte aufwiesen. Das bedeute: Wenig Kalorien bei großem Volumen. „Aber auch Fisch und Ei helfen beim Abnehmen.“

Hilfreich seien beispielsweise darin enthaltene Aminosäuren sowie einfach ungesättigte Fettsäuren. Auch diese führen laut Müssig dazu, dass der Körper das hilfreiche GLP-1 freisetze. „Besonders empfehlenswert sind Hochseefisch, Eiweiß zum Frühstück sowie günstige Fette aus Oliven-, Raps- oder Hanföl, Avocado oder einer Handvoll Nüssen.“ Beispielsweise hätten Untersuchungen ergeben, dass ein eibasiertes Frühstück den Körper länger satt mache als eines aus einfachen Kohlenhydraten wie zum Beispiel einem weißen Brötchen mit Marmelade.

Auch kultivierte Lebensmittel wie beispielsweise Joghurt warteten mit nützlichen Bakterien auf, welche die GLP-1-Freisetzung verbessern können. Zusammenfassend lässt sich laut Müssig sagen, dass derjenige Esser richtig liegt, der sich überwiegend mit mediterraner Kost ernähre.

Weitere Helfer im Kampf gegen die Pfunde

Auch Nahrungsergänzungsmittel und Gewürze können dazu beitragen, die Ausschüttung des Hormons GLP-1 anzukurbeln, und damit zu einer gesunden Gewichtskontrolle beitragen. Günstige Einflüsse werden folgenden Stoffen zugeschrieben:

  • Berberin: Der Pflanzenstoff wird aus dem Berberitzenstrauch gewonnen und einige Studien vergleichen seine Wirkung mit der des Diabetes-Medikaments Metformin. Nachgewiesen ist, dass Berberin die Wirkung von GLP-1 nachahmen und verstärken kann.
  • Omega-3-Fettsäuren: Vorläufige Untersuchungen zeigen, dass Nahrungsergänzungsmittel mit Fisch- oder Algenöl die GLP-1-Ausschüttung im Darm erhöhen können.
  • Kurkuma: Die Wurzelpflanze regt einer Studie aus dem Jahr 2023 zu Folge die L-Zellen des Darms dazu an, GLP-1 auszuschütten.
  • Mate: Ernährungsstudien legen nahe, dass das Kraut, das meist in Form von Tee verzehrt wird, ebenfalls GLP-1-fördernd und damit appetithemmend wirkt.

Hilft das Trinken von Apfelessig?

Auch einem morgendlichen Drink, gemixt aus Wasser und einem Esslöffel Apfelessig, wird appetitzügelnde Wirkung zugesprochen. Karsten Müssig kann mit wissenschaftlichen Studien zur sauren Abnehmhilfe allerdings nicht aufwarten. „So ein Drink ist allerdings auch nicht ungesund. Und natürlich sorgt ein Glas Wasser vor den Mahlzeiten dafür, dass der Magen schon etwas vorgefüllt wird und das Sättigungsgefühl dadurch schneller eintritt“, sagt Müssig. Wer auf Apfelessig schwört, sollte allerdings nicht gleich nach dem Trinken die Zähne putzen. Durch die Säure könne so der Zahnschmelz angegriffen werden.

„Beim Abnehmen hilft im Allgemeinen, wenn ich vor dem Hauptgang beispielsweise eine Portion grünen Salat mit etwas Olivenöl esse.”
Karsten Müssig

Grundsätzlich kann man das Sättigungsgefühl auch mit anderen Tricks schneller und länger herbeiführen – und sich so selbst davon überzeugen, gar nicht mehr so viel Nahrung in sich hineinschaufeln zu müssen. Müssig beispielsweise empfiehlt, zu Beginn einer Mahlzeit diejenigen Lebensmittel zu essen, die eine niedrige Energiedichte aufweisen, also viel Volumen bei wenig Kalorien bieten. Eine Vorspeise kann da laut Müssig eine gute Idee sein. „Beim Abnehmen hilft im Allgemeinen, wenn ich vor dem Hauptgang beispielsweise eine Portion grünen Salat mit etwas Olivenöl esse.“ 

Damit Ihre Kinder später gar nicht erst an Abnehmspritzen denken müssen, finden Sie in unserem Artikel „Kinder gesund ernähren – so einfach geht’s mit der Ernährungspyramide“ hilfreiche Tipps.

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Professor Karsten Müssig

Experte

Diabetologe am Franziskus-Hospital Harderberg der Niels-Stensen-Kliniken bei Osnabrück.

Claudia Lehnen

Autorin

Claudia Lehnen wollte als Jugendliche Ärztin werden, entschied sich dann aber dafür, lieber über Medizin und Menschen und ihre Krankheits- und Genesungsgeschichten zu berichten. Die in Köln niedergelassene Journalistin, die im Tageszeitungs-Journalismus zu Hause ist, ist unter anderem auf das Themengebiet Gesundheit spezialisiert.