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Vorfreude ist ein Motivator in schwierigen Zeiten

Die Lebkuchen kündigen schon seit Ende August die für viele Menschen zauberhafteste Zeit des Jahres an: Weihnachten ist vielleicht so stark wie kein anderes Fest mit dem langen Schatten der Vorfreude verbunden. Aber auch auf andere Ereignisse fiebern wir schon im Voraus hin. Wir zeigen, warum Vorfreude nicht nur ein schönes Gefühl ist, sondern auch ein wichtiger Motivator, um uns unseren Zielen näherzubringen und die Mühen der Ebene gut zu überstehen. 

Es wird eine Zeit kommen, in der wir glücklich sein werden. Eine Insel, auf die wir zuschwimmen, eine Aussicht, die uns Kraft gibt, die Anstrengung des Alltags zu überstehen, uns zu disziplinieren. Die Vorfreude ist ein starkes Gefühl, dem tatsächlich eine gewisse Zauberkraft innezuwohnen scheint. Da überrascht es nicht, dass Studien belegen, Hoffnung auf das Bevorstehen schöner Zeiten könne sogar Stress lindern und Depressionen  abmildern. Experten sind sich darüber einig, dass Vorfreude sogar in der Lage ist, Menschen von Krankheiten zu heilen.

„Experten sind sich darüber einig, dass Vorfreude sogar in der Lage ist, Menschen von Krankheiten zu heilen. ”

Verantwortlich ist die Chemie

Im Grunde handelt es sich bei Vorfreude um einen Trick, der unserem Gehirn vorgaukelt, wir befänden uns schon mittendrin im glücklich machenden Erlebnis, obwohl dasselbe noch Wochen oder sogar Monate in der Zukunft liegt. Das Glücksgefühl wird quasi in die Gegenwart gezogen, der Körper schüttet Endorphine aus, wenn wir beispielsweise an den schon gebuchten Kurzurlaub denken. 

Und so segeln wir schon auf körpereigenem Opium und sind glücklich, wenn wir an die wärmende Sonne am Meer denken. Obwohl wir gerade noch im Regen und Nebel in einer herbstlichen deutschen Kleinstadt sitzen und der Sonnenausflug erst im Frühling stattfinden wird. Dabei ist der Glückscocktail, den der Körper ausstößt, besonders groß, wenn wir uns auf Ereignisse und nicht auf materielle Dinge freuen. Das hat der US-Psychologe Amit Kumar in einer Studie herausgefunden.

„Psychologisch ist es also günstiger, ein schönes Weihnachtsfest zu organisieren, als sich ein Auto oder ein Schmuckstück zu kaufen. ”

Psychologisch ist es also günstiger, ein schönes Weihnachtsfest mit der Familie und Freunden zu organisieren, als sich ein Auto oder ein Schmuckstück zu kaufen. Eine Befragung der Universität Passau hat zudem ergeben, dass sich Menschen am meisten auf die Zeit mit Freunden und der Familie freuen. Die Arbeit taucht erst mit steigendem Haushaltseinkommen als Glücksfaktor des kommenden Tages auf.

Die Vorfreude als Entwurf des guten Lebens

Versucht man die Vorfreude psychologisch-philosophisch zu ergründen, so gelangt Experte und Tiefenpsychologe Jens Lönneker vom Rheingold-Salon schnell zu dem Philosophen Jean-Paul Sartre und dessen Existenzialismus. „Es ist ein wichtiges Kennzeichen des Menschen, dass er sich auf etwas entwerfen kann. Die Vorfreude können wir nur deshalb empfinden, weil wir darauf vertrauen, dass wir uns selbst gestalten können“, sagt Lönneker. 

Die Freiheit und das Fehlen eines vorgegebenen Sinns gibt dem Menschen Sartre zu Folge die Fähigkeit, sich selbst in die Zukunft hineinzuwerfen. Der Mensch muss nicht ausschließlich determinierten Trieben folgen, sondern hat Gestaltungsmöglichkeiten. Dadurch wird er erst in die Lage versetzt, eine künftige Situation konstruieren und planen zu können, von der auszugehen ist, dass sie ihm Freude bereiten könnte.

Hier liegt auch der Schlüssel der Vorfreude als Vorstufe zur Motivation begründet. Wer sich auf einen künftigen Zustand freut, dem fällt es auch leichter, die Anstrengung auf dem Weg dorthin in Kauf zu nehmen.

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Angst als Antagonist der Vorfreude

Die Freiheit des Selbstentwurfs und der Entwicklung ist Lönneker zu Folge allerdings „janusköpfig“. Schließlich muss ein Plan oder ein Fortschritt nicht zwangsläufig glücklich enden. „Wenn wir beispielsweise an eine Bergbesteigung denken, dann ist da einerseits die Vorfreude, die wir empfinden beim Gedanken daran, auf dem sonnigen Gipfel zu stehen und ins Tal zu sehen. Andererseits haben wir vielleicht auch Ängste: abzustürzen, uns zu verletzen, aufgeben zu müssen“, sagt Lönneker. 

Die Angst sei also die Gegenspielerin der Vorfreude, gleichzeitig aber in gewisser Weise auch ihre Gehilfin. Je größer die Furcht vor dem Kommenden, desto höher schwänge sich das potenzielle Glück. 

„Gerade die Furcht vor dem Scheitern steigert die Spannung und dann auch das Glück vorab.”
Jens Lönneker

„Wenn man sich am Abend mit einem Freund trifft, den man lange kennt, dann kann das schon für ein bisschen Glücksgefühl vorab sorgen. Aber ein richtiges Endorphinfeuerwerk wird eher dann entfacht, wenn wir uns mit einem amourösen Date treffen, das wir noch nicht oder kaum kennen. Gerade die Furcht vor dem Scheitern, das Risiko, dass man selbst vielleicht nicht so gut wie erhofft ankommt, steigert die Spannung und dann auch das Glück vorab“, sagt Lönneker. 

Auch bei der Vorfreude auf Weihnachten komme diese Absurdität zum Tragen. Schließlich mische sich in das Glücksgefühl vorab auch immer die bange Frage, ob das Fest gelingt. Die Möglichkeiten des Scheiterns sind auch hier zahlreich: Wird sich die Tante mit der Schwiegermutter verstehen? Trifft der Liebste das richtige Geschenk? Gelingt das Festessen auf dem eigenen Herd? 

„Gerade bei den Geschenken ist das Risiko groß. Man wünscht sich immer, in seinen Wünschen vom anderen erkannt zu werden. Das birgt natürlich auch die Gefahr der Enttäuschung. Der Gedanke, dass genau das richtige Präsent überreicht wird, ist dann allerdings umso glücksbringender.“

Vorfreude als schönste Freude

Das Risiko zukünftiger Ereignisse spielt dann auch eine Rolle für das Sprichwort „Vorfreude ist die schönste Freude“. Und in der Tat gibt es laut Lönneker Untersuchungen, die belegen, dass Menschen gerade auf dem Weg zum Ziel glücklicher sind als beim Erreichen desselben. Schließlich begleite die Vorfreude immer das Prickeln und die freudige Spannung des Ungewissen. „Etwas geschafft zu haben, kann sich dann fast wie eine Enttäuschung anfühlen.“ 

„Untersuchungen belegen, dass Menschen gerade auf dem Weg zum Ziel glücklicher sind als beim Erreichen desselben. ”

Vorfreude ist kein Privileg der Kindheit

Natürlich ist die Vorfreude der Kinder auf Weihnachten legendär. Wird das Christkind das ersehnte Fahrrad bringen? Wird es mit dem Schlitten kommen? Und existiert es am Ende überhaupt? Jens Lönneker weiß aber, dass sich auch Erwachsene den Zauber der Vorweihnachtsfreude erhalten könnten. „Gerade die Erinnerung an die eigene Kindheit oder eben das Erleben der Freude anderer Kinder aus der Familie kann uns selbst wieder in die magische Vorweihnachtsstimmung versetzen“, sagt Lönneker. 

„Selbst sehr pragmatische Menschen können sich dem Zauber meist nicht ganz entziehen.“ Dabei sei nicht einmal zwingend eine christliche Verortung von Nöten. Ursprünglich sei das Fest auf dem jahreszeitlichen Höhepunkt der Dunkelheit ja ohnehin eine heidnische Angelegenheit gewesen. „Das Versprechen von Weihnachten ist deshalb: Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels.“ Insofern sei die Vorfreude auf Weihnachten psychologisch auch wichtig, um die Phase der Dunkelheit schadlos zu überstehen.

Erfahren Sie mehr über die Kraft der Erinnerung in unserem Artikel: „Momente, die bleiben – warum positive Erinnerungen so wichtig sind“.

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Wenn der Vorfreude-Motor nicht so recht in Gang kommen will

Gesamtgesellschaftlich befinden wir uns in einer Zeit, in der es um Vorfreude und Zuversicht nicht ganz günstig bestellt zu sein scheint. „Ein großer Teil der Menschen ist derzeit wenig zuversichtlich, dass es uns in Zukunft besser gehen wird“, sagt Lönneker. Klimakrise, Migrationsdebatten, Inflation, Krieg und Extremismus dämpften bei vielen Menschen derzeit die Hoffnung, dass das ganz große Glück morgen auf uns warten könnte. Gerade in dieser Phase sei es aber wichtig, trotzdem aufzubrechen, „die Mütze über die Mauer zu werfen“, wie Lönneker sagt. 

„Die Vorfreude, so weiß Lönneker, lauere in jedem von uns. Man müsse ihr mit aktiven Planungen aber Gelegenheiten geben, sich zu entfalten. ”

Gerade in unsicheren Zeiten seien Ziele ein wichtiger Motor, Stillstand eher kontraproduktiv. Wer Vorfreude entwickeln will, der muss sich bewegen und etwas in Gang setzen. „Schaffen Sie erstmal Räume, in denen etwas entstehen kann. Das kennen wir auch aus der Paartherapie. Wenn die körperliche Anziehungsfähigkeit nachlässt, haben viele Menschen beispielsweise gute Erfahrungen damit gemacht, sich zum Sex zu verabreden. Allein die extra eingeräumte Zeit kann lustvolle Gedanken entstehen lassen.“ 

Die Vorfreude, so weiß Lönneker, lauere in jedem von uns. Man müsse ihr mit aktiven Planungen aber Gelegenheiten geben, sich zu zeigen und zu entfalten. Unterstützen könne man das positive Gefühl der Vorfreude durch Autosuggestion. „Stellen Sie sich das Glück immer wieder vor, das Sie erleben können, wenn sie über Weihnachten mit vielen Ihrer Lieben wieder zusammenkommen können. Befassen Sie sich intensiv mit der Freude, die Sie durchströmt, wenn Sie auf ihrem geplanten Stockholm-Trip zu einer Schereninsel schippern werden“, rät Lönneker.

Die mentale Vorbereitung verstärke einerseits die Ausschüttung glücksbringender Botenstoffe. Andererseits biete sie auch eine perfekte Vorbereitung auf das Glück. „Wenn Sie beispielsweise dann am Weihnachtsabend an den Start gehen, sind Sie positiv eingestellt und vorbereitet. Damit steigen dann auch die Chancen, dass es über Ihre positive Ausstrahlung zu einem gelungenen Weihnachtsfest wird.“

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Jens Lönneker

Experte

Tiefenpsychologe Rheingold-Salon 

Claudia Lehnen

Autorin

Claudia Lehnen wollte als Jugendliche Ärztin werden, entschied sich dann aber dafür, lieber über Medizin und Menschen und ihre Krankheits- und Genesungsgeschichten zu berichten. Die in Köln niedergelassene Journalistin, die im Tageszeitungs-Journalismus zu Hause ist, ist unter anderem auf das Themengebiet Gesundheit spezialisiert.