- Startseite
- Magazin
- Reisen
- Arktis und Nordeuropa – als Videograf an Bord eines Expeditionsschiffs
Arktis und Nordeuropa – als Videograf an Bord eines Expeditionsschiffs
Schon als Kind war es mein größter Traum, wilde Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten. Stundenlang blätterte ich durch Tierlexika, sah Dokumentationen und stellte mir vor, wie es wohl wäre, eines Tages selbst in den entlegensten Winkeln der Erde zu stehen. Heute, viele Jahre später, ist dieser Traum Wirklichkeit geworden. Seit einigen Monaten lebe und arbeite ich als Videograf an Bord eines kleinen Expeditionsschiffes.
Inhaltsverzeichnis
- Mein Arbeitsalltag an einem Seetag
- Das Expeditionsschiff: Forschen, Staunen und Entdecken
- Mein Zuhause auf See
- Norwegen: Zwischen Fjorden und Mitternachtssonne
- Spitzbergen: Auf Eisbärensuche im Packeis
- Island & Grönland: Die Tiere der Arktis zwischen Feuer und Eis
- Rückblick & Ausblick: Dankbarkeit und das nächste Abenteuer
Mein Arbeitsalltag an einem Seetag
Ich filme und schneide die Erlebnisse, die wir an Land hatten, und präsentiere sie anschließend den Gästen. Wenn ich durch den Sucher meiner Kamera blicke, wird mir bewusst, wie besonders diese Aufgabe ist. Mein Tag beginnt meist früh am Morgen: Zum Sonnenaufgang gehe ich auf das Außendeck und fange die ersten Bilder in der goldenen Stunde ein. Oft treffe ich dort andere Frühaufsteher und komme mit ihnen ins Gespräch.
Wenn sich das Schiff auf See befindet, versucht der Kapitän häufig eine Route zu wählen, die es ermöglicht, einen guten Blick aufs Festland zu werfen. Oft lassen sich auch Delfine oder Wale beobachten. Insgesamt ist mein Arbeitstag ohne einen Landgang entspannter, da mir etwas weniger spannende Motive vor die Linse kommen.
Die Seetage sind durch die drei Hauptmahlzeiten in dem kleinen Buffet-Restaurant für die Crew gut strukturiert. Hier kann ich mich mit anderen Crew-Mitgliedern über das Erlebte oder die bevorstehenden Highlights der kommenden Tage austauschen. In meinem Büro mit großer Glasscheibe habe ich immer das vorbeiziehende Meer im Blick und schneide am Bildschirm die Tagessequenz für den Reisefilm.
„Mein Arbeitstag ohne einen Landgang ist entspannter, da mir etwas weniger spannende Motive vor die Linse kommen. ”
Das Expeditionsschiff: Forschen, Staunen und Entdecken
Das kleine Expeditionsschiff ist Hotel und Transportmittel für ungefähr 200 Gäste und 160 Crew-Mitglieder. Dabei bietet es vorne am Bug und oben auf dem Sonnendeck großzügige Außenflächen, von denen sich die großartige Natur der exotischen Fahrtgebiete besonders eindrucksvoll beobachten lässt.
Ist keine Anlandung geplant, können die Gäste in der „Ocean Academy“ Exponate wie Steine, Fossilien oder Kleinstlebewesen unter dem Mikroskop betrachten und sich mit den Experten austauschen. Diese sind meist studierte Biologen, Historiker, Geologen oder Glaziologen, also Gletscherforscher. Eine weitere beliebte Möglichkeit zum Zeitvertreib ist die gemütliche Bibliothek, wo Fachliteratur und Bildbände zum Stöbern einladen.
„Das Expeditionsschiff ist Hotel und Transportmittel für ungefähr 200 Gäste und 160 Crew-Mitglieder. Großzügige Außenflächen ermöglichen eindrucksvolle Naturbeobachtungen. ”
Im Gegensatz zu Kreuzfahrtschiffen mit über 1.000 Passagieren steht bei einer Expeditionsreise nicht Entertainment oder Wellness im Vordergrund. Der Fokus liegt darauf, die Erlebnisse in einen wissenschaftlichen Kontext zu setzen und die Natur intensiv mit allen Sinnen zu erfahren. So lausche ich am Abend nicht lauter Musik, sondern spannenden Vorträgen von Meeresbiologen und Geologen, die mit leuchtenden Augen von der Arktis erzählen. Ihre Themen reichen von der Geschichte der Wikinger über die Eigenschaften von Belugas bis zur Entstehung der Polarlichter.
„So lausche ich am Abend nicht lauter Musik, sondern spannenden Vorträgen von Meeresbiologen und Geologen .”
Mein Zuhause auf See
Auf wenigen Quadratmetern habe ich in meiner Kabine alles, was ich für mehrere Monate an Bord brauche: mein eigenes Bett, ein kleines Bad, einen Fernseher, einen Schreibtisch und meinen Kleiderschrank. Ich habe in meiner Position das Glück, dass ich mir meine Kabine nicht mit einem anderen Crew-Mitglied teilen muss. Es gibt separate Öffnungszeiten für den Saunabereich und eine kleine Crew-Bar. Dort wird abends fleißig Karaoke gesungen und Tischkicker gespielt. An manchen Tagen sorgen Crew-Partys dafür, dass man andere Crew-Mitglieder kennenlernt und als Team zusammenwächst.
Es ist ein aufregendes Leben an Bord, bei dem wir jeden Tag unser Bestes geben, um unseren Gästen möglichst viele schöne Orte zu zeigen und Abenteuer zu erleben. Und so ist auch für mich jeder Tag in der Arktis spannend und von unvorhersehbaren Ereignissen geprägt.
Norwegen: Zwischen Fjorden und Mitternachtssonne
Die nächste Reise führt uns von Hamburg entlang der norwegischen Küste bis nach Longyearbyen auf Spitzbergen. Schon der zweite Stopp in Geiranger lässt die spektakuläre Landschaft Norwegens erahnen. Von hier aus steige ich in einen Helikopter und schwebe über den Geirangerfjord. Aus der Luft wirken die steilen Wände wie ein gigantisches Naturspektakel, aus dem sich unzählige Wasserfälle wie weiße Fäden ins Tal stürzen. Zwischen grünen Hängen und blauem Wasser tauchen beeindruckende Gletscherzungen auf.
Der Geirangerfjord ist wie alle Fjorde entstanden, weil sich gewaltige Gletscher über Jahrtausende in den Fels geschoben haben und beim Rückzug tiefe Täler hinterließen, die später vom Meer geflutet wurden.
Weiter nördlich erreichen wir die Lofoten, nachdem wir den Polarkreis überquert haben. Die Inseln wirken wie spitze Zähne aus Fels, die direkt aus dem Atlantik ragen. In Svolvær, einem kleinen Fischerdorf mit den typischen roten Fischerhäusern, riecht es nach Salz und getrocknetem Kabeljau. Von hier aus wage ich mich auf die Wanderung zum Djevelporten. Der schmale Pfad wurde von Sherpas aus Nepal angelegt, die 2019 damit begannen, die Wanderroute mit Steintreppen sicher und nachhaltig zu gestalten.
Oben wartet ein eingeklemmter Felsbrocken, der wie eine natürliche Brücke zwischen zwei Wänden hängt. Von dort oben öffnet sich ein Ausblick über den Nordatlantik und Svolvær, der jede Anstrengung vergessen lässt.
Der letzte Halt vor Spitzbergen ist das Nordkap. Wir stehen unter der Mitternachtssonne, und es fühlt sich an, als würde die Zeit stillstehen, weil der Tag einfach nicht endet. Dieses Naturphänomen entsteht durch die Neigung der Erdachse von 23,5 Grad zur Sonne. Dadurch sinkt die Sonne in den Sommermonaten oberhalb des Polarkreises selbst um Mitternacht nicht unter den Horizont.
Spitzbergen: Auf Eisbärensuche im Packeis
Es folgen zwei Umrundungen von Spitzbergen, dem arktischen Archipel unter norwegischer Verwaltung. Eines Morgens weckt mich ein seltsames Kratzen an der Bordwand: Eisschollen reiben in der Nähe der Packeisgrenze an der Stahlhülle entlang. Wir fahren durch Meereis, das sich auf der gefrorenen Oberfläche des Ozeans bildet und mit den Jahreszeiten wächst und schrumpft – im Gegensatz zu Gletschereis, das sich über Jahrtausende an Land auftürmt und beim Abbrechen als Eisberg ins Meer fällt.
Nach Stunden des Suchens werden wir fündig. Auf einer Scholle liegt ein ausgewachsener Eisbär. Erst ruht er, dann richtet er sich auf, hebt den Kopf und blickt direkt zu uns hinüber. Den König der Arktis in seiner natürlichen Umgebung zu beobachten, ist magisch. Jeder an Bord hält den Atem an, während der Bär gemächlich über das Eis trottet, als wolle er uns daran erinnern, dass dies sein Reich ist. Eisbären können bis zu 800 Kilogramm wiegen und ihre Hauptnahrung besteht aus Ringelrobben und Bartrobben, die sie an Atemlöchern im Eis oder beim Ruhen auf Eisschollen jagen.
„Den König der Arktis in seiner natürlichen Umgebung zu beobachten, ist magisch. Jeder an Bord hält den Atem an, während der Bär gemächlich über das Eis trottet, als wolle er uns daran erinnern, dass dies sein Reich ist. ”
Ein paar Tage später erleben wir ein Schauspiel, das kaum weniger beeindruckend ist. Im Süden des Archipels liegt der Fjord Hornsund. Dort kann ich über 100 Belugas aufnehmen, die durch das eiskalte Wasser gleiten. Von einem kleinen Schlauchboot aus sehe ich ihre weißen Körper, die wie geisterhafte Schatten vor uns auftauchen. Belugas werden auch „Kanarienvögel der Meere“ genannt, weil sie über 50 verschiedene Laute von Pfeifen bis Zwitschern hervorbringen können.
Auch Walrosse lassen sich blicken. Träge und schwerfällig liegen sie auf einem Ruheplatz auf der vorgelagerten Insel Prinz-Karl-Vorland. Ihr bevorzugter Liegeplatz auf der Landzunge Poolepynten ist eine flache Sandbank, auf der sich die Tiere in dichten Gruppen aufhalten. Auf Nahrungssuche tauchen sie bis zu 90 Meter tief und ertasten mit ihren sensiblen Barthaaren den Meeresboden, um Muscheln und andere wirbellose Tiere aufzuspüren. Es bereitet mir große Freude, die bis zu 1,5 Tonnen schweren Tiere zu beobachten.
Island & Grönland: Die Tiere der Arktis zwischen Feuer und Eis
Die letzte Reise dieser Saison führt uns über Island bis nach Kangerlussuaq, im Westen der größten Insel der Welt. Einer der faszinierendsten Landgänge auf dieser Reise ist die Anlandung auf der Vogelinsel Drangey im Norden Islands. Zehntausende Papageitaucher suchen im Sommer die grasbewachsenen Klippen auf, um zu brüten.
Fernab der Zivilisation lassen sich die fotogenen Papageitaucher aus nächster Nähe beobachten. Dabei tauchen sie bis zu 60 Meter tief, um nach kleinen Fischen wie Sandaalen zu jagen, die ihre Hauptnahrungsquelle sind. Ihr auffälliger Schnabel ist nicht nur farbenprächtig, sondern auch äußerst funktional: Mit speziellen Widerhaken an der Zunge und im Gaumen können sie gleich mehrere Fische quer übereinander festhalten, ohne dass die bereits gefangenen Beutetiere wieder verloren gehen.
Auf dem Weg nach Westgrönland passieren wir im Süden Grönlands den Prins Christian Sund. Rund hundert Kilometer schlängelt sich dieser enge Wasserweg zwischen steilen Bergen hindurch. Der Wind pfeift uns mit 55 Knoten ins Gesicht, während das Schiff an gewaltigen Eisbergen vorbeigleitet. Trotz dieser Wetterbedingungen sind die Sommermonate von Juni bis August die beste Reisezeit für Grönland. An einer windgeschützten Bucht, an der unser Schiff noch nie war, gehen wir an Land.
Die Gegend erinnert mich an die Welt der Hobbits. Sanfte, sattgrüne Hügel prägen die Landschaft, und auch Schwärme von Mücken scheinen erkannt zu haben, dass wir eine willkommene Blutquelle sind. Über feuchten Moosboden steige ich mit meinen Gummistiefeln einen der Hügel hinauf. Die Szenerie wirkt so unberührt von hier oben, dass ich mich fühle, als sei ich der erste Mensch, der sie je gesehen hat.
„Vor unserem Schlauchboot tauchen plötzlich drei Buckelwale auf. ”
Der letzte große Höhepunkt erwartet uns in der Diskobucht bei Ilulissat, wo der berühmte Gletscher Sermeq Kujalleq in den Ozean kalbt. Er ist einer der produktivsten Gletscher der nördlichen Hemisphäre und es gilt als wahrscheinlich, dass der Eisberg, der einst die Titanic zum Sinken brachte, von hier stammt. Mit den Zodiacs fahren wir dicht an die bis zu 80 Meter hohen Eisberge heran.
Dann durchbricht ein kräftiger Blas die Stille. Vor unserem Schlauchboot tauchen plötzlich drei Buckelwale auf. Sie schlagen mit ihren Flossen auf die Wasseroberfläche und lassen uns beim Abtauchen ihre gewaltigen Fluken sehen. Sie halten sich besonders gern in der Nähe der Eisberge auf, weil das Schmelzwasser dort reich an Nährstoffen ist und ganze Schwärme von Krill anzieht. Eine solch intime Begegnung mit einem der größten Tiere der Arktis ist der perfekte Abschluss einer abenteuerlichen Zeit im hohen Norden.
Rückblick & Ausblick: Dankbarkeit und das nächste Abenteuer
Am letzten Abend vor meinem Abstieg in Kangerlussuaq lehne ich mich an die Reling, sehe ein paar kleinere Eisberge im Meer treiben und fühle eine tiefe Dankbarkeit. Mir ist bewusst, wie kostspielig die erlebten Reisen in die Arktis sind. Umso mehr erfüllt es mich, all das nicht nur zu erleben, sondern jeden Tag aufs Neue mit meiner Kamera festhalten zu dürfen.
Nach insgesamt 90 Tagen an Bord steht nun mein Urlaub an. Ab Dezember bin ich wieder für drei Monate an Bord eines Expeditionsschiffes unterwegs. Dann wird mich das Schiff durch die chilenischen Fjorde, die Falklandinseln und Südgeorgien bis in die eisige Weite der Antarktis bringen. Aber das ist dann wieder eine andere Geschichte!
Niklas war bei 2 Grad Wassertemperatur in der Frambukta schwimmen.
Niklas Bahn
Reiseblogger
Niklas Bahn ist zwar noch jung, hat aber bereits seit vielen Jahren einen Traum: Irgendwann möchte er alle 193 Länder der Welt bereist haben. Mehr als 79 – 40 Prozent – hat er inzwischen schon geschafft. Australien, Malawi, Hawaii, Indien und viele andere Länder mehr zählen dazu. Für Envivas verfasst er Reiseberichte und gibt Gesundheitstipps.