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Reisetrend „Coolcation“: Angeblich treibt der Klimawandel immer mehr Urlauber in den kühlen Norden – stimmt das wirklich?

Ein rotes Holzhaus am See. Klares Wasser, umrahmt von glatt geschliffenen Felsen. In der Hand ein dampfender Kaffee. Den kann man in Schweden auch im Sommer noch heiß genießen, denn hier schwitzt man nicht bei 40 Grad Außentemperatur. Wer seinen Urlaub in kühleren Gebieten verbringt, der macht „Coolcation“. Dieser Trend nimmt zu, prognostiziert eine aktuelle Studie der Europäischen Union. Ist das so? Welche Auswirkungen hätte es, wenn immer mehr Menschen nordwärts reisen – und immer weniger südwärts?

Was bedeutet „Coolcation“?

Der Begriff setzt sich aus den englischen Wörtern „cool“ für kalt und „vacation“ für Ferien zusammen. Er kursiert seit wenigen Jahren in den Medien und sozialen Netzwerken. Die schwedische Tourismusagentur „Visit Sweden“ beansprucht den Begriff für sich und bewirbt damit ihre Reiseangebote. Woher die Wortneuschöpfung genau kommt, weiß man allerdings nicht. 

„Es ist in jedem Fall ein cleverer Schachzug, einen solch prägnanten Begriff für Marketingzwecke zu nutzen“, sagt Astrid Koch, die den Trend für uns einordnet. Sie arbeitet bei der „Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V.“ (kurz FUR), der größten nicht kommerziellen Organisation von Tourismusforschung in Deutschland.

Wer macht „Coolcation“?

Der Begriff beschreibt Menschen, die in ihrem Urlaub absichtlich in kühlere Regionen dieser Erde reisen, also nach Skandinavien und Großbritannien oder nach Kanada. Diese Menschen leiden oft unter zu heißen Temperaturen, bekommen Kopfschmerzen und Kreislaufprobleme und furchtbar schlechte Laune. Also das Gegenteil von Urlaubsentspannung. Oder es zieht sie aus anderen Gründen nordwärts. 

Die aktuelle Reiseanalyse der FUR aus dem Jahr 2025 zeigt, welche Motive Menschen haben, die ihren Haupturlaub in einem nordeuropäischen Land verbringen, im Vergleich zu denen, die ans Mittelmeer fahren. Überdurchschnittlich wichtig sind den Nord-Reisenden die Punkte „Natur erleben“, „gesundes Klima“ und „frei sein“, aber auch „Kultur und Bildung“ und „neue Eindrücke gewinnen“.

„Für Nord-Reisende stehen besonders das Erleben von Natur, ein gesundes Klima und das Gefühl von Freiheit im Fokus – ebenso wie Kultur und neue Eindrücke. ”

„Diese Menschen gab es schon immer. Es zieht sie hinaus in die Natur, sie wollen wandern, Kanu fahren und etwas entdecken“, sagt Astrid Koch. „Aber auch diese Menschen wollen – genau wie diejenigen, die Richtung Süden reisen – baden und sich entspannen.“

Hohe Temperaturen im Urlaub

Was hat der Klimawandel damit zu tun?

Der Unterschied ist nur, dass man in den letzten Jahren vermehrt von Menschen hört, die ihren Sommerurlaub eigentlich immer in Südeuropa verbracht haben, dort nun aber aufgrund der hohen Temperaturen keine Erholung mehr finden. Und Hitze gab es – gerade in den klassischen Urlaubsländern – in den vergangenen Sommern viel: Griechenland, Spanien oder Italien ächzten wochenlang bei 40 Grad und mehr, einhergehend mit Wasserknappheit und Waldbränden. 

Befeuert wird all das vom Klimawandel: Der hohe Ausstoß von Treibhausgasen durch unsere Lebensweise sorgt dafür, dass die Durchschnittstemperatur auf der Erde kontinuierlich steigt und fein aufeinander abgestimmte, klimatische Prozesse durcheinandergebracht werden. Das führt zu einer steigenden Anzahl an Unwettern. 

„Höhere Temperaturen und häufigere Unwetter lenken Reisende zunehmend in kühlere Regionen. ”

Was hat die Europäische Union zu „Coolcation“ herausgefunden?

In einer großen Studie aus dem Jahr 2023 hat die Europäische Union untersucht, welche Auswirkungen der Klimawandel auf den Tourismus in Europa haben wird. Denn Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige der EU und in vielen Regionen ein bedeutender Arbeitgeber. 

Laut der Studie ist Europa die am meisten besuchte Region der Welt, 51 Prozent aller Reisen führen auf unseren Kontinent. Die Autorinnen und Autoren der Studie haben deswegen Daten aus 269 europäischen Regionen untersucht. Im Fokus waren die Auswirkungen, die der Klimawandel im 21. Jahrhundert auf den Tourismus haben wird – angepasst an verschiedene Szenarien der Erwärmung. 

Mit klarem Ergebnis: „Wir finden ein deutliches Nord-Süd-Muster bei den Veränderungen der Tourismusnachfrage. Die nördlichen Regionen werden vom Klimawandel profitieren, während die südlichen signifikante Reduzierungen im Tourismus erleben werden. Und je höher die Temperaturen steigen, desto deutlicher wird dieses Muster.“

„Südliche Regionen müssen zukünftig mit weniger Tourismus rechnen, während nördlichen Regionen vom Klimawandel profitieren können. ”

Bei einer Erhöhung der Durchschnittstemperatur um vier Grad erwarten die Autorinnen und Autoren für die griechischen Inseln gar einen Rückgang der Reisen von neun Prozent, dafür aber einen Anstieg von fast 16 Prozent im britischen Wales. Außerdem prognostizieren sie, dass sich das Reiseverhalten je nach Jahreszeit verändern wird – im Sommer und Frühherbst werde es im Norden mehr Tourismus geben und im Süden weniger. Gleichzeitig erwarten sie einen Anstieg der Reisen in ganz Europa vor allem für den Monat April.

Reisen schon viele Deutsche Richtung Norden?

Noch könne man diese Trendwende bei den Deutschen nicht sehen, sagt Astrid Koch von der „Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen“. „Im Zehnjahresvergleich zwischen 2015 und 2025 sehen wir im Gegenteil eine große Stabilität bei den Reisezielen“, so die Expertin. Deutschland stehe seit vielen Jahren auf Platz eins der Ziele, ein Viertel aller Deutschen verreise im eigenen Land. Danach kommen Spanien, Italien, Türkei und Griechenland. 

„Trendwende bei den Deutschen? Im Zehnjahresvergleich sehen wir im Gegenteil eine große Stabilität bei den Reisezielen.”
Astrid Koch

„Im Jahr 2024 gingen insgesamt 44 Prozent aller Urlaubsreisen mit einer Dauer von mindestens fünf Tagen ans Mittelmeer“, sagt Koch. Das erste nordische Land auf der Liste, nämlich Dänemark, folgt erst auf Rang zwölf mit zwei Prozent der Reisen. Nur je ein Prozent der Deutschen reisten nach Norwegen und Schweden, nach Island noch deutlich weniger. Kurzreisen sind dabei jedoch nicht berücksichtigt. Die klassischen Urlaubsländer sind also nach wie vor gefragt. 

„Wir erstellen unsere Prognosen anhand der Daten aus den vergangenen Jahren. Vorhersagen für die weit entfernte Zukunft würden dem Blick in die Glaskugel gleichen“, sagt Astrid Koch. „Wir können nur feststellen: Bisher sehen wir keine Verschiebung in Richtung Norden.“

Welche Auswirkungen hat es, wenn mehr Menschen nach Norden reisen?

Das subjektive Empfinden kann dem natürlich widersprechen. Wer in der schwedischen Hauptstadt Stockholm unterwegs ist, läuft pausenlos an Menschen vorbei, die sich auf Deutsch miteinander unterhalten. 

Eine Menschenmenge am Gletscher

Und wer im Sommer schon mal den Gletscher Briksdalsbreen in Norwegen besucht und sich gemeinsam mit Hunderten anderer Touristen den Berg hochgeschoben hat, während – vorwiegend – asiatische Reisende in kleinen Golfmobilen an einem vorbeikutschiert wurden, der empfindet das sicherlich auch anders. Vor allem, wenn man die Schilder sieht, die beschreiben, wie weit sich der Gletscher noch vor wenigen Jahrzehnten ins Tal hinunterzog. 

Ein norwegischer Gletscherführer warnte in einem Bericht der ARD vor den Folgen des ungebremsten Tourismus und sagte dem deutschen Journalisten: „Wir haben der Tourismusindustrie in Norwegen gesagt: ‚Macht kein Marketing mehr in Asien!‘ Denn es ist paradox: Sie wollen die Gletscher sehen, bevor sie verschwinden. Doch wenn immer mehr mit dem Flieger kommen, wird der Einfluss auf den Klimawandel größer. Und damit auch die Bedrohung des Gletschers.“ 

„Wenn immer mehr mit dem Flieger kommen, wird der Einfluss auf den Klimawandel größer.”
Norwegischer Gletscherführer

Damit Tourismus im Land akzeptiert werde, brauche es ein gutes Besucher-Lenkungs-Management, sagt Astrid Koch. Denn natürlich ist es problematisch, wenn sich viele Reisende an bestimmten Hotspots ballen. Die gleiche Debatte wird auch im Kontext von Kreuzfahrten immer wieder geführt, wenn ein Schiff tausende Touristen auf einmal an Land spuckt – sei es am Fjord in Norwegen oder in der italienischen Stadt Venedig. 

Wie wird der Norden unter dem Klimawandel leiden?

„Generell profitieren Regionen vom Tourismus“, sagt Astrid Koch. „Aber wir dürfen auch nicht erwarten, dass der Klimawandel den Job für die Tourismusbranche übernimmt.“ Sie gibt zu bedenken, dass auch der Norden unter dem Klimawandel leiden wird – vermutlich durch eine höhere Anzahl an Regentagen, Unwettern und Hochwasser. Etwas, worauf auch „Coolcation“-Reisende nicht so viel Lust haben. 

Laut der aktuellen FUR-Reiseanalyse sagten 15 Prozent der Menschen, die an nördliche Meere gereist waren, dass sich Regentage negativ auf ihr Urlaubserlebnis ausgewirkt hätten. Gleichermaßen fühlten sich 15 Prozent der Mittelmeer-Reisenden von der Hitze gestört. 

Eines ist für Astrid Koch aber klar: „Die Deutschen sind Reiseweltmeister. Egal, ob Corona-Krise oder Ukraine-Krieg, sie reisen trotzdem.“ Und vor allem kehren sie früher oder später an liebgewonnene Orte zurück. So sei es auch nach der Corona-Pandemie gewesen. Den Beteuerungen, dass die Menschen den Urlaub vor der eigenen Haustür zu schätzen gelernt hätten und in Zukunft mehr zu Hause bleiben würden, glaubten sie und ihre Kollegen nicht. 

„Die Deutschen sind Reiseweltmeister. Egal, ob Corona-Krise oder Ukraine-Krieg, sie reisen trotzdem. ”
Astrid Koch

„Was uns allerdings überrascht hat, war, wie schnell das Reisen wieder auf dem Niveau von 2019 war“, sagt Astrid Koch. „Wir hatten damit gerechnet, dass dieser Prozess noch zwei Jahre länger dauern würde.“ 

Wo werden die Menschen in Zukunft hinreisen?

Zum Schluss haken wir nochmal nach: Ob sie denn nun erwarte, dass Skandinavier und Briten in Sachen Tourismus vom Klimawandel profitieren würden? „Jein“, lautet Kochs Antwort. „Die Länder müssen Touristinnen und Touristen ein gutes Angebot machen – unabhängig vom Klimawandel.“ Punkten könnten die nordischen Länder etwa beim Thema Nachhaltigkeit. Das werde auch beim Reisen immer wichtiger – und da seien die Skandinavier Vorreiter. 

Die Tourismus-Expertin kann sich jedoch nicht vorstellen, dass die Deutschen auf ihre geliebten Reisen ans Mittelmeer verzichten würden. Im Zweifel verlegten sie den Trip nach Kreta, Sardinien, Rom oder Mallorca dann eben in die Oster- und Herbstferien. 

Coole Orte für Coolcation:

  • Skandinavien mit Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Island
  • Baltikum mit Estland, Lettland und Litauen
  • Großbritannien mit England, Schottland, Wales und Irland
  • Kanada
Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Astrid Koch

Expertin

Mitarbeiterin bei der „Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V.“