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Lawinen: „Nach 15 Minuten sinken die Überlebenschancen rapide“
Für einen Skifahrer ist es das Größte, abseits der Piste durch unberührten Pulverschnee zu wedeln. Doch der Spaß birgt auch ein großes Risiko. Immer wieder sterben Wintersportler bei Lawinenabgängen. Ein Bergretter erzählt von seinen Erfahrungen – und worauf Skifahrer „Off Piste“ achten sollten.
Es war am 12. Januar letzten Jahres, als vier deutschen Skifahrern eine Lawine im österreichischen Lech zum Verhängnis wurde. Die Gruppe war am späten Nachmittag abseits der Piste von der Rüfikopfbahn in Richtung „Tannegg“ unterwegs. Das Gelände dort ist steil, bis zu 40 Grad Gefälle. Plötzlich löste sich ein Schneebrett, das sie vermutlich selbst auslösten, und begrub die vier Männer unter sich.
Die Bergrettung rückte aus, doch jede Hilfe kam zu spät. Drei Skifahrer wurden noch am selben Abend tot geborgen. Aufgrund heftigen Schneefalls und erhöhter Lawinengefahr mussten die Retter die Suche nach dem vierten Opfer aussetzen. Erst vier Tage später konnten sie den letzten Verschütteten unter den Schneemassen orten. Auch er hatte das Unglück nicht überlebt. Es war der schwerste Lawinenunfall des vergangenen Winters in Österreich.
Immer mehr Skifahrer unterwegs
Manfred Meusburger (siehe Foto unten) gehörte damals zum Rettungsteam. Seit über 20 Jahren ist der Skilehrer und -führer ehrenamtlicher Bergretter. Über Einsatzdetails redet der 58-Jährige grundsätzlich nicht. Dass die vier deutschen Skitouristen sich leichtsinnig in Gefahr begeben haben, will er nicht bestätigen. Am Tag des Unglücks herrschte die mittlere Lawinen-Gefahrenstufe 2, also mäßig.
„Wer im freien Skiraum abseits der Piste unterwegs ist, geht immer ein gewisses Risiko ein“, sagt Meusburger. „Das heißt aber noch lange nicht, dass man generell fahrlässig handelt.“ Dass immer mehr Skifahrer auf der Jagd nach einem Adrenalinkick und daher auch risikobereiter seien, kann Meusburger so nicht beobachten. „Wenn es einen Anstieg der Unfallzahlen gibt, liegt das nicht am zunehmenden Leichtsinn, sondern vor allem daran, dass immer mehr Skifahrer unterwegs sind.“
„Die meisten Unglücke gehen glimpflich aus“
Etwa 50 Einsätze absolviert das Team der Bergrettung in Lech jedes Jahr. Im Sommer befreien sie Wanderer aus Notlagen oder holen Bergsteiger aus der Wand, die sich verstiegen haben. Die meisten Einsätze jedoch fallen auf die Wintersaison. Immer wenn Wintersportler abseits der Piste in Not geraten oder die Dunkelheit einsetzt, sind die Bergretter gefragt.
In manchen Fällen etwa geht es um Verletzungen nach Stürzen, in anderen aber immer wieder auch um Menschen, die von Lawinen verschüttet werden. „Die meisten dieser Unglücke gehen glimpflich aus“, sagt Meusburger.
Schon mehrere Todesopfer in diesem Winter
In dieser Saison gab es in den Alpen bereits mehrere Todesopfer durch Lawinenabgänge. Von Leichtsinn war in keinem der Fälle die Rede. Das bislang schlimmste Unglück des Winters ereignete sich am 28. Dezember im Schnalstal in Südtirol. Zwei siebenjährige Mädchen und eine 25 Jahre alte Frau aus Deutschland kamen ums Leben – auf einer gesicherten Piste.
Laut Sprecher der Carabinieri habe am Unglückstag keine besondere Lawinengefahr bestanden, allerdings herrschte starker Wind und die Temperaturen seien gestiegen. Nun wird geprüft, ob ein Skifahrer abseits der Piste das Schneebrett ausgelöst haben könnte. Gegen den Pistenbetreiber wurden Vorwürfe laut, er habe möglicherweise die Lawinengefahr unterschätzt.
„Unmöglich, sich zu bewegen“
Großes Glück dagegen hatte ein Tourengänger bei Pruggern in Österreich. Am ersten Weihnachtsfeiertag wurde der 26-Jährige auf dem Pleschnitzzinken unter einer Lawine geborgen – nach fünfstündiger Suche. Er war stark unterkühlt, verletzt – aber außer Lebensgefahr. Der Landesleiter der Bergrettung sprach gar von einem „Weihnachtswunder“. Offenbar hatte sich in den Schneemassen vor seinem Gesicht ein Luftraum zum Atmen gebildet. Vermutlich hat ihm der Lawinentracker, den er mit sich trug, das Leben gerettet.
Auch Meusburger spricht von einem absoluten Glücksfall. „Eine Lawine stürzt mit enorm hoher Geschwindigkeit ins Tal. Wer mitgerissen wird, hat kaum eine Chance, aktiv etwas zu tun. Wenn sich eine solche Atemhöhle bildet, ist das Zufall.“ Wenn der Schnee zum Stillstand komme, werde er aufgrund der Masse und der Geschwindigkeit sehr stark komprimiert – etwa so, als würde ein Auto darüber fahren. „Wenn der Schnee den ganzen Körper bedeckt, ist es unmöglich, sich noch zu bewegen.
Ratgeber weisen häufiger daraufhin, aktive „Schwimmbewegungen“ während des Verschüttens würden helfen, an der Oberfläche der Schneemassen zu bleiben. „In der Theorie mag das so sein. In der Praxis aber geht alles viel zu schnell“, sagt Meusburger. Überlebende hätten ihm berichtet, sie hätten nicht einmal mehr gewusst, wo oben und unten sei. Die meisten kämen nicht einmal dazu, ihren Lawinenairbag auszulösen
„Sicherheitsbewusstsein ist größer geworden“
Insgesamt ist die Zahl tödlicher Lawinenunglücke nach Angaben des Deutschen Skiverbands (DSV) seit Jahren konstant niedrig. Auf den Pisten selbst hat es sowohl aufgrund der Lawinenwarnsysteme als auch durch die Arbeit der Bergwacht und der DSV-Skiwacht schon lange keine Unfälle dieser Art mehr gegeben. Im freien Skiraum sterben in den deutschen Skigebieten im Schnitt jede Wintersaison drei Menschen durch herabstürzende Schneemassen.
Auch Andreas König, Sicherheitsexperte beim Deutschen Skiverband, will nicht von zunehmendem Leichtsinn sprechen. „Generell ist das Sicherheitsbewusstsein der Menschen deutlich größer geworden“, sagt er. Etwa 85 Prozent der Skifahrer in Deutschland würden inzwischen Helme tragen. „Das ist ein hervorragender Wert.“
Auch Medienberichte über schwere Skiunfälle hätten einen positiven Effekt gehabt. „Seit Althaus hat sich da nochmal einiges getan.“ Im Januar 2009 war der damalige thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus im österreichischen Skigebiet Riesneralm auf der Piste mit einer Skifahrerin zusammengestoßen, die an den Folgen ihrer Verletzungen starb. Althaus selbst hatte ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten.
Niemals als Gruppe den Hang hinabfahren
Dass Skifahrer abseits gesicherter Pisten und abseits der immer größer werdenden Touristenströme Spaß haben wollen, ist für Bergretter Manfred Meusburger nachvollziehbar. „Es gibt nichts Schöneres, als in der freien Natur durch unberührten Pulverschnee zu fahren“, sagt er. „Aber es verlangt mehr Können und vor allem auch Wissen.“
Um die Risiken möglichst gering zu halten, empfiehlt der Bergretter wichtige Regeln zu beachten. Bevor es ins Gelände geht, sollten Wetter- und Lawinenlagebericht genau studiert werden. Letzterer weist die Gefahr in fünf Stufen aus – eins für „gering“, fünf für „sehr groß“.
Jeder Skifahrer, der sich im freien Gelände bewegt, sollte ein Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS), eine Lawinensonde und eine Schaufel mit sich tragen. Mit dem LVS kann man Lawinenopfer orten, die ebenfalls ein solches Gerät mit sich tragen.
Die Sonde wiederum dient der Feinortung des Opfers. Damit lassen sich sowohl die Lage als auch die exakte Verschüttungstiefe feststellen. Auch Rucksäcke mit Lawinenairbags werden empfohlen. Der Ballon soll den Skifahrer im Falle eines Lawinenabgangs an der Schneeoberfläche halten.
Wer in einer Region unterwegs ist, die er nicht kennt, sollte immer einen ortskundigen Skiführer dabei haben. Niemals sollte eine Gruppe gemeinsam einen Hang herabfahren. Nur wenn man einzeln fährt, können die anderen im Falle eines Lawinenabgangs dem Verschütteten helfen.
Die ersten 15 Minuten nach der Lawine sind entscheidend. Danach sinkt die Überlebenschance rapide.
„Das Schönste ist es, Leben zu retten“
Das Team um Manfred Meusburger musste schon viele Dinge sehen, die auch ein erfahrener Bergretter nicht einfach so wegsteckt. „Das Wichtigste nach belastenden Einsätzen sind die Nachgespräche“, weiß Meusburger. „Man trifft sich, redet und ruft in den Tagen danach auch immer wieder an und fragt: Wie geht`s Dir? Wir kümmern uns umeinander.“
Das schweiße auch zusammen, sagt er. Soziale Grenzen würden verschwimmen. In seinem Team arbeiteten der Mitarbeiter vom Skilift, der Chef vom Sportladen und der Manager der örtlichen Bank Hand in Hand. Das Schönste an dem Job aber sei es, wenn man einem Menschen das Leben gerettet habe, sagt Meusburger. „Diese Euphorie ist unvergleichlich.“