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Zahnspange bei Erwachsenen – warum sie immer häufiger getragen werden
Immer mehr Erwachsene möchten ihr Lächeln korrigieren. Dafür gehen sie zum Kieferorthopäden, der die Zähne mit festen Zahnspangen und modernen Alignern in Position bringt. Durch digitale Methoden fällt die Therapie heute deutlich angenehmer aus. Über die Gründe für die Korrektur und den Nutzen der Behandlungsmethoden, die durchaus ihren Preis haben.
Bei Kindern und Jugendlichen gehört die kieferorthopädische Behandlung zum Standard. Der Bedarf einer entsprechenden Behandlung bei Acht- und Neunjährigen wird in Deutschland auf etwa 40 Prozent beziffert, tatsächlich werden sogar anteilsmäßig wesentlich mehr Kinder und Jugendliche beim Kieferorthopäden behandelt – satte 55 Prozent. Das hat 2024 zu einer öffentlichen Debatte geführt, ausgelöst auch durch die Auswertungen des Zahnreports der Barmer.
Mit dem Erreichen der Volljährigkeit ändert sich wiederum einiges: Nur in den seltensten Fällen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) noch die Kosten für die Zahnkorrektur etwa mittels Spangen. Dennoch steigt der Anteil der erwachsenen Patienten in kieferorthopädischen Praxen seit Jahrzehnten an. Genaue aktuelle Statistiken sind schwer zu finden, Indikatoren gibt es aber viele.
Ein Extrembeispiel dürfte die Praxis von Dr. Udo Windsheimer in München sein: Bei ihm sind etwa 95 Prozent der Patienten erwachsen, der geringe Anteil an Minderjährigen gehe auf Kinder der Bestandspatienten zurück. „Es hat in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte bei der Aufklärung der Patienten gegeben, das Bewusstsein ist gestiegen und die digitalen Behandlungsmethoden sind sehr erfolgreich“, fasst Windsheimer den Trend zusammen. Er ist Zahnarzt, Kieferorthopäde und Studiengangsleiter eines neuen Masterkurses „Kieferorthopädie und Alignertherapie“ an der Hochschule Fresenius.
Warum gehen Erwachsene zum Kieferorthopäden?
Es gibt mehrere Gründe, warum kieferorthopädische Therapien auch bei Erwachsenen anfallen. Besonders oft genannt werden kosmetisch-ästhetische Korrekturen. Kurz: Menschen wünschen sich ein ästhetisch perfektes Lächeln. „Der ästhetische Anspruch hat sich deutlich erhöht, die Zähne in der Mitte des Gesichts spielen eine wichtige psychosoziale Rolle“, beobachtet Windsheimer. Hier geht es also vor allem um die Frontzähne.
„Der ästhetische Anspruch hat sich deutlich erhöht, die Zähne in der Mitte des Gesichts spielen eine wichtige psychosoziale Rolle.”
Oft handelt es sich aber bei Erwachsenen auch um funktionelle Behandlungen. Fehlstellungen können etwa Kiefergelenkschmerzen verursachen, Sprachprobleme verschärfen oder auch Kauschwierigkeiten bedingen. Beispiele sind Kiefergelenksprobleme, Fehlokklusionen oder Fehlbisse wie zum Beispiel Kreuzbiss und Tiefbiss. „Auch hier behandeln wir immer mehr Fälle“, berichtet Udo Windsheimer aus seiner Praxis. Es spreche sich herum, dass es für die Korrekturen auch bei älteren Menschen nicht zu spät sei.
„Allerdings verbreitet sich dieses Wissen auch nur nach und nach in den Köpfen der Zahnärzte.“ Zudem gibt es konkrete gesundheitliche Anlässe: Etwa bevor der Zahnarzt einen Zahnersatz einsetzt oder bei laufenden Behandlungen der Zahnfleischentzündung und Parodontitis helfen Kieferorthopäden, die gewünschte Position der Zähne zu erreichen.
Welche Behandlungsmethoden gibt es?
Grundsätzlich lassen sich drei Varianten unterscheiden. Klassisch ist der permanente Einsatz von Metall- oder Keramikbrackets, um die Zähne in Position zu bringen. Bei der sogenannten Lingualtechnik bringen die Behandelnden Zahnspangen auf der Innenseite des Gebisses an. Sie sind von außen nicht zu sehen – ein psychologischer Vorteil. Ein wichtiger Faktor für das Wachstum der Behandlungen ist allerdings vor allem die Therapie mit Alignersystemen. Das sind transparente Schienen, die ins Gebiss platziert werden und dadurch hohe Akzeptanz genießen.
„Ein wichtiger Faktor für das Wachstum der Behandlungen ist allerdings vor allem die Therapie mit Alignersystemen. ”
Was bedeutet digitale Kieferorthopädie?
Mit der technischen Entwicklung besteht inzwischen die Möglichkeit, Zahnschienen ohne physischen Abdruck zu fertigen und 3D-Modelle des Mundraums zu erstellen. Digitale Kieferorthopädie setzt diese computerbasierten Methoden für die Diagnostik, Planung und Therapie ein. Intraoralscanner erfassen die Lage der Zähne und simulieren die Zahnbewegung, im 3D-Druck entstehen die passenden Schienen.
Therapiemittel sind dann Aligner aus transparentem Kunststoff, es können aber auch maschinell hergestellte Drähte verlegt werden und als Alternative zur Zahnspange dienen. Fortschritte werden auch per App überwacht. Digitale Kieferorthopädie gilt als präzise, zeitsparend, komfortabel und patientenfreundlich.
Wie erfolgversprechend ist die Behandlung bei Erwachsenen?
„Viele Studien belegen, dass kieferorthopädische Behandlungen bei Erwachsenen nicht nur effektiv sind, sondern auch medizinische und ästhetische Benefits erzeugen“, sagt Udo Windsheimer. Eine Korrektur der Zahnstellung könne beispielsweise die Zahnpflege erleichtern, dadurch Karies- und Parodontitisrisiken senken. So legt es auch eine Untersuchung nahe, die 2017 in „The Angle Orthodontist“ veröffentlicht wurde. Eine Untersuchung des IGES-Instituts im Auftrag der Bundesregierung konnte diesen Effekt 2019 weder belegen noch ausschließen.
„Eine Korrektur der Zahnstellung könne beispielsweise die Zahnpflege erleichtern, dadurch Karies- und Parodontitisrisiken senken. ”
Was die Lebensqualität anbelangt, sieht das anders aus: Sie wird positiv durch abgeschlossene Behandlungen beeinflusst. Auch eine brasilianische Untersuchung aus dem Jahr 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass junge Erwachsene nach Fertigstellung ihrer Korrektur mit Blick auf die zahngesundheitliche Lebensqualität messbare Verbesserungen feststellten. Allerdings ist die Angelegenheit wegen einer sehr unklaren Studien- und Vergleichslage noch immer nicht einfach zu beantworten.
Der Einsatz fester Zahnspangen ist als Methode gut dokumentiert, er ist effektiv im Bekämpfen komplexer Fehlstellungen. Ein Risiko besteht während der Behandlung jedoch mit Blick auf Karies: Hier ist hohe Aufmerksamkeit nötig, damit sich an den Einsätzen keine Speisereste sammeln und die Kariesbildung befeuern.
Wie lang dauert eine Behandlung mit Zahnspange oder Aligner?
Kieferorthopädische Eingriffe erfordern Geduld. Wie lange sie genau dauern, hängt von der „Komplexität der Anomalie und der Mitarbeit des Patienten ab“, sagt Udo Windsheimer. Typischerweise muss mit einer Dauer von zwölf bis 24 Monaten gerechnet werden. Eine Methode, um die Maßnahme zu beschleunigen, ist die sogenannte Photobiomodulation, bei der Infrarotlicht auf das Gebiss gestrahlt wird, um die Anpassung zu beschleunigen.
Dies gilt gerade bei erwachsenen Patienten als vielversprechend, erhöht jedoch auch den Preis der Behandlung. Grundlage für eine zügige, erfolgreiche Behandlung ist die Mitarbeit der Patienten. Udo Windsheimer sagt, dass die Schienen 22 Stunden am Tag getragen werden sollten, damit die Maßnahme wirksam ist. Teil der Behandlung ist auch eine sogenannte Retentionsphase – hier wird mittels fester oder herausnehmbarer Elemente dafür gesorgt, dass die Zähne in der korrigierten Position bleiben und sich nicht zurückbewegen.
„Udo Windsheimer sagt, dass die Schienen 22 Stunden am Tag getragen werden sollten, damit die Maßnahme wirksam ist. ”
Welche Kosten übernimmt die Krankenkasse?
Wer in der GKV versichert ist, wird als Erwachsener üblicherweise keine Kosten durch diese Kassen erstattet bekommen. „Ab dem 18. Lebensjahr werden dort keine Kosten übernommen, es sei denn, eine schwere Kieferanomalie liegt vor“, erklärt Udo Windsheimer. Anders sieht es bei den Versicherten in privaten Krankenversicherungen aus. Hier kann es, je nach Tarif, durchaus Kostenübernahmen geben.
Dies ist je nach Therapie in Rücksprache mit der jeweiligen Versicherung zu klären. Die Behandlung hat ihren Preis. Eine Aligner-Therapie kann, je nach Dauer und Komplexität, durchaus zwischen 1.500 Euro bei einfachen und 10.000 Euro bei komplexen Behandlungen kosten.
Hintergrund zum ersten Master-Studiengang Aligner-Therapie
Der Studiengang „Master of Science Kieferorthopädie und Aligner-Therapie“ an der Hochschule Fresenius ist geöffnet für approbierte Zahnärzte und Kieferorthopäden. Ziel ist die Spezialisierung auf digitale Behandlungsmethoden. Damit ist dieser Studiengang ein Novum. Berufsbegleitend studieren die Teilnehmer digitale Workflows, KI-gestützte Diagnosen und Aligner-Systeme. Der Studiengang kombiniert theoretische Grundlagen wie Strukturbiologie und die Geschichte der Kieferorthopädie mit praktischen Übungen. Ein interdisziplinärer Ansatz, der Parodontologie, Prothetik und Funktion verbindet, steht im Fokus. Ziel ist es, wissenschaftlich fundierte Behandlungen anzubieten, die Effizienz und Qualität garantieren.
Quellen
- https://www.kzbv.de/pressemitteilung-vom-23-9-2022.1640.de.html
- https://www.tagesschau.de/wissen/zahnspange-106.html
- https://openscience.ub.uni-mainz.de/rest/bitstreams/06ca24f4-6ce1-4d95-9809-b056973e83f2/retrieve
- Treatment outcome with orthodontic aligners and fixed appliances: a systematic review with meta-analyses – PubMed
- Impact of Aligners and Fixed Appliances on Oral Health during Orthodontic Treatment: A Systematic Review and Meta-Analysis – PubMed
- Perception of occlusion, psycho08_Quellenlogical impact of dental esthetics, history of orthodontic treatment and their relation to oral health in naval recruits. – consensus
- https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2019/studie-das-bringen-zahnspangen.html
- Photobiomodulation to Reduce Orthodontic Treatment Time in Adults: A Historical Prospective Study – MDPI

Dr. Udo Windsheimer
Experte
Zahnarzt, Kieferorthopäde und Studiengangsleiter eines neuen Masterkurses „Kieferorthopädie und Alignertherapie“ an der Hochschule Fresenius

Tim Farin
Autor
Tim Farin ließ sich an der Deutschen Journalistenschule München ausbilden. Zu seinen Schwerpunkten zählen Sport, Fitness und Gesundheit. Als leidenschaftlicher Rennradfahrer und Marathonläufer kennt er sich mit dem Herz-Kreislauf-System bestens aus und hat mit Prof. Klaus Bös und Prof. Getrud Winkler das Buch „Fit in 12 Wochen“ veröffentlicht.