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JoMo-Travel: Die Lust, etwas zu verpassen – bewusster Verzicht als neue Reisefreiheit

Sie wachen auf – nicht vom „Ping!“ einer neuen Nachricht, sondern von Sonnenstrahlen, die durch das Fenster einer kleinen Berghütte fallen. Kein WLAN, keine To-do-Liste, keine Eile. Stattdessen: Stille, frische Luft und der Duft von Kaffee. Willkommen bei JoMo-Travel – dem neuen Reisetrend, der nicht auf das nächste große Erlebnis, sondern auf das bewusste Verpassen setzt.

Von FoMo zu JoMo: Eine neue Reisekultur, die bleibt

JoMo, „Joy of Missing Out“, ist mehr als ein Modetrend: Es ist die Kunst, sich Zeit zu nehmen, Stress hinter sich zu lassen und die kleinen Momente zum Luxus zu erklären. JoMo ist die bewusste Gegenbewegung zur ersten „Social-Media Krankheit“ FoMo, Fear of Missing Out. Beide Phänomene haben ihre Wurzeln in der Allgegenwärtigkeit digitaler Medien und den ständigen Vergleichsmöglichkeiten, die Social-Media-Plattformen bieten. 

FoMo ist ein permanentes Gefühl der Unzulänglichkeit. Ein seltsamer Drang entsteht, überall dabei sein zu müssen. Möglichst viele Sehenswürdigkeiten abhaken, ständig Neues erleben und alles auf Social Media teilen. Diese Haltung führt oftmals zu Stress, Überforderung und letztlich zu Erschöpfung.

Bei JoMo hingegen geht es um die Freude, Dinge auszulassen, um mehr Zeit für sich selbst, für Ruhe und echte Erholung zu gewinnen. Prof. Dr. Harald Zeiss, Direktor des Instituts für Tourismusforschung der Hochschule Harz, sieht JoMo-Travel als Ausdruck eines fundamentaleren Wertewandels. „Aus meiner Sicht ist JoMo-Travel mehr als nur eine kurzlebige Gegenbewegung."

„Bei JoMo geht es um die Freude, Dinge auszulassen, um mehr Zeit für sich selbst, für Ruhe und echte Erholung zu gewinnen.”

Typisch für JoMo-Travel sind:

Rückzugsorte: Ob Berghütte, Strandhaus oder abgelegene Ferienwohnung – Hauptsache, der Ort lädt zur Entschleunigung ein.

Digital Detox: Das Smartphone bleibt bewusst öfter ausgeschaltet, Social Media wird zur Nebensache.

Slow Travel: Weniger Orte, dafür mehr Tiefe. Lieber ein Dorf intensiv erleben, als zehn Städte oberflächlich abhaken.

Achtsamkeit: Im Hier und Jetzt sein, den Moment genießen, ohne an das nächste To-do zu denken.

Die Wissenschaft hinter JoMo: Warum Verzicht gesund macht

Psychologisch betrachtet wirkt JoMo-Travel also wie ein Gegenmittel zum digitalen Dauerstress. Reisen wird zunehmend auch als Mittel zur psychischen Regeneration betrachtet, ein Ansatz, zu dem, so Harald Zeiss, „die Entschleunigung des JoMo-Prinzips perfekt passt.“

Dass sich JoMo-Travel etabliert, belegen aktuelle Zahlen eindrucksvoll: Der neue Reisetrendreport „Unpack ’25“ der Anbieter FeWo direkt und Expedia zeigt, wie stark die Sehnsucht nach bewusster Entschleunigung inzwischen verbreitet ist. Laut der Umfrage wünschen sich 88 Prozent der deutschen Reisenden einen Urlaub nach dem JoMo-Prinzip. Besonders bemerkenswert: Bei den jüngeren Befragten bis 34 Jahre liegt der Anteil sogar bei 90 Prozent.

Generation Z als Vorreiter: die Sehnsucht nach echter Entspannung

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Gerade jüngere Reisende, die mit Social Media aufgewachsen sind, sehnen sich nach bewusster Entschleunigung. Viele der Gen Z sind es auf einmal leid, alles dokumentieren und teilen zu müssen. Die neuen Reisenden wollen sich erholen, nicht performen. „JoMo stellt somit eine bewusste Gegenreaktion zur FoMo-Kultur dar, die sie intensiv erlebt haben", erklärt Zeiss. Diese Generation der „Digital Natives“ sei mit Social Media, ständiger Erreichbarkeit und hoher digitaler Reizüberflutung aufgewachsen.

Daraus entstehe oft ein besonders ausgeprägter Wunsch nach „Digital Detox“, nach echten, unvermittelten Erlebnissen und einer Pause vom Online-Selbstdarstellungsdruck, meint Harald Zeiss. „Hinzu kommt ein erhöhtes Bewusstsein für mentale Gesundheit in diesen Altersgruppen: Themen wie Achtsamkeit, Work-Life-Balance und die Vermeidung von Burnout sind präsenter.“

JoMo als nachhaltige Reiseform

JoMo-Travel ist nicht nur gut für die Seele, sondern auch für die Umwelt. Wer sich für weniger und bewusstere Reisen entscheidet, reduziert den eigenen CO₂-Fußabdruck und entlastet überlaufene Reiseziele. „Wenn Reisende durch JoMo dazu angeregt werden, weniger bekannte Regionen zu entdecken, Reisezeiten antizyklisch zu wählen und sich intensiver mit der lokalen Kultur und Natur auseinanderzusetzen, kann dies zur Entlastung überlaufener Destinationen und zur Stärkung strukturschwächerer Gebiete beitragen“, so Zeiss.

„JoMo-Travel hat definitiv das Potenzial, ein wichtiger Baustein für einen nachhaltigeren Tourismus und eine Teillösung für die Problematik des Overtourism zu sein.“ Der Ansatz fördert ja gerade das Gegenteil von Overtourism: Statt Hotspots zu überlaufen, sucht man bewusst ruhigere Orte auf.

„JoMo-Travel hat definitiv das Potenzial, ein wichtiger Baustein für die Problematik des Overtourism zu sein.”
Prof. Dr. Harald Zeiss

Allerdings betont Zeiss: „Auch Reisen in abgelegene Gebiete müssen umwelt- und sozialverträglich gestaltet werden“. Der Reisende muss den Ressourcenverbrauch vor Ort sowie den Umgang mit der lokalen Gemeinschaft berücksichtigen. JoMo ist also eher eine Haltung und ein Reisestil, der, wenn er bewusst und verantwortungsvoll umgesetzt wird, einen signifikanten Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten kann.

Die besten Reiseziele für JoMo-Travel

„Entscheidend ist weniger das Land als vielmehr die Wahl der spezifischen Region, der Reisezeit und vor allem der eigenen Haltung und Erwartungshaltung“, erklärt Zeiss. Prinzipiell könne JoMo-Travel überall praktiziert werden, da es mehr eine Frage der Reisephilosophie als des konkreten Ortes sei. Besonders geeignet sind Reiseziele, die von Natur aus Ruhe, Weite und geringere Menschendichten bieten. Dazu zählen beispielsweise:

  • Niederlande: „Niksen“ ist ein Lifestyle-Trend, der aus den Niederlanden stammt und so viel wie Nichtstun bedeutet. Viele Unterkünfte entlang des Nordseestrands sind ideal zum „Niksen“!
  • Skandinavische Länder: Mit ihren riesigen Naturlandschaften, Wäldern, Seen und der Möglichkeit zur Abgeschiedenheit sind die skandinavischen Länder prädestiniert für JoMo-Reisen. Die dänische Kultur hat ebenfalls einen Lifestyle-Trend etabliert: „Hygge“ bedeutet übersetzt so viel wie Gemütlichkeit und beschreibt ein Gefühl der Geborgenheit und der Entspannung. Hygge-Land ist perfekt für einen JoMo-Urlaub – mit Stränden und in idyllischen, gemütlichen Kleinstädten. Auch in Finnland lässt es sich hervorragend vom Alltag Abstand nehmen. Fast jeder finnische Haushalt besitzt eine Sauna, auch die oft an Seen gelegenen Ferienhäuser in Finnland – dort kann man zum Abkühlen direkt vom Steg ins Wasser springen. Was entspannt besser als Natur und ein paar Saunagänge?
  • Italien: „Il dolce far niente“ ist sprichwörtlich für Italien. „Das süße Nichtstun“ bedeutet Ausspannen und Ausruhen im Dolce Vita. „Man kann auch in einem touristisch hoch entwickelten Land wie Italien oder Frankreich JoMo praktizieren, indem man bewusst abseits der Hauptrouten reist, in der Nebensaison unterwegs ist oder sich auf eine bestimmte Region konzentriert und dort länger verweilt,“ empfiehlt Harald Zeiss.
  • Österreich: Ein Urlaub in den Bergen, wandern, von der Bergluft müde sein, sind wunderbare Möglichkeiten, um einen Gang herunterzuschalten.
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„Besonders geeignet für JoMo-Travel sind Reiseziele, die von Natur aus Ruhe, Weite und geringere Menschendichten bieten.”

Tipps vom Experten

Harald Zeiss‘ weitere Tipps für JoMo-Travel sind Länder mit großen Nationalparks und wenig besiedelten Gebieten. Das sind beispielsweise Kanada, Neuseeland, Teile Schottlands oder Irlands, auch ländliche, weniger bekannte Regionen in Südeuropa: Abseits der Küsten-Hotspots existierten etwa in Spanien, Italien, Portugal oder Griechenland viele Gebiete für entschleunigtes Reisen.

Auch bestimmte Ziele in Asien, Lateinamerika oder Afrika, wo man bewusst auf authentische Kulturerlebnisse und Natur abseits der ausgetretenen Pfade setzen könne – beispielsweise bestimmte Bergregionen, ländliche Gebiete, Inseln. In Deutschland und seinen Nachbarländern eignen sich für eine JoMo-Auszeit beispielsweise Teile des Mittelgebirges, die ländlichen Räume Brandenburgs oder Mecklenburg-Vorpommerns und das Alpenvorland abseits der Zentren.

Reiseanbieter folgen dem Trend

Während der Trend zu JoMo-Travel immer mehr an Fahrt aufnimmt, zeigen sich auch Reiseveranstalter zunehmend innovationsfreudig. „Insbesondere kleinere, spezialisierte Reiseveranstalter haben den Trend früh erkannt und bieten gezielt Reisen an, die auf Entschleunigung, Naturerlebnisse, lokale Begegnungen und ‚Offline-Zeiten‘ setzen. Das können Yoga-Retreats, Wanderreisen in abgelegenen Gebieten, Klosteraufenthalte oder ‚Digital Detox‘-Camps sein“, erklärt Prof. Dr. Harald Zeiss.

Wie gelingt der Einstieg in JoMo-Travel?

Der Weg zu mehr JoMo im Urlaub beginnt mit kleinen Schritten:

Vorbereitung: Überlegen Sie, was Ihnen wirklich wichtig ist. Weniger ist mehr!

Digitale Auszeiten: Legen Sie Zeiten fest, in denen das Handy aus bleibt.

Bewusste Aktivitäten: Statt Sightseeing-Marathon lieber ein gutes Buch lesen, einen Spaziergang machen oder einfach die Stille genießen.

Achtsamkeit üben: Im Moment ankommen, ohne an das nächste To-do zu denken.

Die Big Player der Branche bleiben nicht untätig. „Auch größere Veranstalter beginnen, Elemente des JoMo-Gedankens in ihre Programme zu integrieren. Das äußert sich zum Beispiel in der stärkeren Bewerbung von Reisen in der Nebensaison, der Aufnahme von kleineren, authentischeren Unterkünften ins Portfolio oder der Entwicklung von Themenreisen, die auf Achtsamkeit oder lokale Kultur fokussieren“, so Zeiss weiter.

Auffällig sei: Oft werde das Label „JoMo“ gar nicht explizit verwendet, doch die Philosophie – weniger ist mehr, Qualität vor Quantität – präge immer häufiger die Angebotsgestaltung. „Der Wandel ist graduell, aber die Branche erkennt die Nachfrage und beginnt, darauf zu reagieren“, betont Zeiss.

So entstehen neue Möglichkeiten für Reisende: von meditativen Wanderungen in unberührter Natur über kreative Workshops in kleinen Dörfern bis hin zu Aufenthalten in Unterkünften, in denen WLAN bewusst fehlt und der Blick in die Landschaft wichtiger ist als der Blick aufs Display.

Prof. Dr. Harald Zeiss resümiert: „Nach Jahren der perfekt inszenierten Instagram-Welten ist eine wachsende Sehnsucht nach Authentizität und Sinn zu beobachten – gefragt sind echte Erfahrungen, tiefgehende Begegnungen und Reisen, die eine persönliche Bedeutung entfalten.“

Quellen

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Prof. Dr. Harald Zeiss

Experte

Direktor des Instituts für Tourismusforschung der Hochschule Harz

Robert Danch

Autor

Robert Danch studierte Kommunikationswirtschaft und Germanistik. Nach einem Verlagsvolontariat bei der „Süddeutschen Zeitung“ baute er dort den Online-Auftritt der „SZ“ mit auf und war danach in Köln bei DuMont unter anderem für die Online-Redaktionen verantwortlich. Als Fachautor schreibt er über neue Medien und Trends im Gesundheitswesen.