reise-mit-dem-zug
  1. Startseite
  2. Magazin
  3. Reisen
  4. Neue Abenteuer liegen nur einen Bahnhof entfernt: Tipps für besondere Reisen mit dem Zug

Neue Abenteuer liegen nur einen Bahnhof entfernt: Tipps für besondere Reisen mit dem Zug

Barcelona im Frühling ist schön. Leckeres Essen, viel Kultur, schönes Wetter. Am Strand spazieren gehen und vielleicht schon mal einen Zeh ins Mittelmeer tauchen. Zweieinhalb Stunden braucht der Direktflieger von Berlin nach Barcelona. Also: Ticket buchen – und los geht’s. Oder nicht? Denn wie wäre es, wenn man die Strecke mit dem Zug zurücklegen würde?

Abends um 19.00 Uhr in Berlin in den Nachtzug steigen, vormittags in Paris ankommen, ein bisschen flanieren, am Mittag den Schnellzug nach Barcelona nehmen und am Abend am Mittelmeer sein. „Ich finde es viel entspannter, nach Barcelona mit dem Zug zu fahren als zu fliegen“, sagt Elias Bohun, 24 Jahre alt, Österreicher und Gründer von „Traivelling“, einem Reisebüro speziell für Zugreisen. „Wenn man fliegt, hat man das Gefühl, den ganzen Tag verloren zu haben.“

Ja, das klingt nun erstmal nach einem Widerspruch. Denn man muss kein Mathe-Genie sein, um zu verstehen: Zweieinhalb Stunden Flugzeit sind natürlich viel kürzer als 24 Stunden Zugzeit (inklusive kurzem Aufenthalt in Paris). Doch was wir dabei ja oft verdrängen: Allein die Anreise zum Flughafen dauert. Von Berlin Hauptbahnhof zum Flughafen BER beispielsweise sind es schon 45 Minuten mit der S-Bahn. Danach folgt Warten: in der Security-Schlange, aufs Boarding, bis der Flieger abhebt. Und am Ziel angekommen die Rolle rückwärts. Mit Gepäckaufgabe dauert alles noch länger.

„Man erlebt eine Vielfalt von Städten, Menschen, Kulturen und Sprachen. Und bekommt ein Gefühl für das, was zwischen zuhause und dem Ziel liegt.”
Elias Bohun, Reiseunternehmer

Wer dagegen den Zug nimmt, fährt am Abend mit dem französischen TGV direkt im katalanischen Hauptbahnhof ein und befindet sich mitten im Geschehen. Doch beim Reisen mit dem Zug geht es um viel mehr als den Zeitfaktor, sagt Elias Bohun. „Man erlebt eine Vielfalt von Städten, Menschen, Kulturen und Sprachen. Und bekommt ein Gefühl für das, was zwischen zuhause und dem Ziel liegt. Wenn man fliegt, ist man in einer Bubble.“

Wie schädlich ist Fliegen eigentlich fürs Klima?

Der Anlass für das Interesse am Zug ist aber zuerst ein ganz anderer: Es ist das ökologische Bewusstsein. Das Wissen um die Klimakrise und die schädlichen Auswirkungen des Fliegens. 2017 kam in Schweden das Wort „flygskam“, zu Deutsch Flugscham, auf. Schwedin Greta Thunberg und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter von „Fridays for Future“ taten ihr Übriges, um der Klimakrise und ihren Auswirkungen in Gesellschaft und Politik endlich etwas Aufsehen zu verschaffen. 

Flüge sind weltweit für rund drei Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich und in jedem Fall deutlich umweltschädlicher als entsprechende Zugverbindungen. Der Reiseführer Lonely Planet schreibt in „Entdecke Europa mit dem Zug“: „Eine genaue Vergleichsrechnung ist schwierig – es hängt von der Entfernung ab und davon, welche Art von Flugzeug oder Zug man nutzt.“

„2017 kam in Schweden das Wort „flygskam“, zu Deutsch Flugscham, auf. ”

Im Weiteren bezieht sich „Lonely Planet“ auf Auskünfte von Eurostar, dem Betreiber der Hochgeschwindigkeitszüge, die durch den Tunnel unter dem Ärmelkanal nach Großbritannien pendeln: Eurostar schätze, dass eine Zugreise London – Paris im Vergleich zum Flug den persönlichen CO2-Fußabdruck um bis zu 90 Prozent reduziere. 

Mit dem Zug bis nach Asien

Auch für Elias Bohun war das Klima der Auslöser für seine erste große Zugreise, erzählt er im Interview. Nach dem Schulabschluss wollte er mit Freunden nach Asien reisen, hatte den Flug nach Sri Lanka bereits gebucht. Doch dann das Umdenken: „Ich bin schon lange aktiv in Umweltschutzgruppen und fand es lächerlich, nach Asien zu fliegen. Ich wollte den Zug nehmen.“ 

Bohun recherchierte, wie weit er auf Schienen von seiner Heimatstadt Wien aus nach Osten kommen würde: Bis nach Vietnam schaffte er es schließlich. Die reine Reisezeit wären acht Tage, allerdings machte Bohun auf dem Weg viele Zwischenhalte, sodass sich die Dauer auf mehrere Wochen verlängerte. Er fuhr über Nacht, tagsüber schaute er sich Städte an, in manchen blieb er mehrere Tage. „Nach meiner Rückkehr sagten die Leute: Was für eine coole Erfahrung! Aber wie bucht man überhaupt so eine Zugreise? Ich bekomme das nicht mal innerhalb von Europa hin. Da wurde mir klar, dass es da eine ziemliche Lücke gibt.“

„Aufgrund des Krieges zwischen Russland und der Ukraine seien Asien-Reisen aber zurzeit nicht möglich. ”

Gemeinsam mit seinem Vater gründete Elias Bohun 2019 „Traivelling“ – ein Reisebüro, in dem er und drei weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter internationale Zugreisen buchten. Auch die Reise nach Vietnam, die er selbst unternommen hatte, sowie eine Route nach Thailand waren im Programm. Das Geschäft lief gut, auch den Corona-Dämpfer überlebte „Traivelling“. Aufgrund des Krieges zwischen Russland und der Ukraine seien Asien-Reisen aber zurzeit nicht möglich, sagt Bohun. „Weil Aserbaidschan seine Grenzen geschlossen hält, kommt man nur noch bis Georgien.“

schoene-zugreisen-in-europa

Viele aktuelle Reiseführer inspirieren

Doch es müssen ja nicht gleich Thailand oder Vietnam sein. Etwa 80 Prozent der Anfragen in den vergangenen sechs Jahren seien ohnehin für Großbritannien, Spanien und Süditalien gewesen, erzählt Bohun. Denn vor allem innerhalb von Europa sind Reisen auf der Schiene möglich. Inspiration bietet das ständig wachsende Angebot an Reiseführern – vom bereits erwähnten Lonely Planet über „50 Zugreisen durch Europa“, „Mit dem Nachtzug durch Europa“ (beides DK-Verlag), „Zug um Zug durch Europa“ (Malik Verlag), „Reise ohne Flug“ (DuMont) und viele mehr. 

Bohun selbst hat seine Ideen bei Deutschlands größtem Reiseführer „Marco Polo“ im Band „Einfach mal raus! Unvergessliche Zugreisen in Europa“ zusammengefasst. Da empfiehlt er zum Beispiel eine Reise nach Schottland – über Brüssel oder Paris mit dem Eurostar nach London und weiter mit dem Schnellzug nach Edinburgh und Glasgow. Oder eine Fahrt in den hohen Norden mit dem Arctic Circle Train über Hamburg, Stockholm bis weit über den Polarkreis hinaus nach Kiruna, Abisko und Narvik und mit dem Bus sogar noch weiter auf die sagenumwobenen Lofoten.

„Bohun empfiehlt zum Beispiel eine Reise nach Schottland – über Brüssel oder Paris mit dem Eurostar nach London und weiter mit dem Schnellzug nach Edinburgh. ”

Bohun stellt eine französische „Genussfahrt“ von Mulhouse über Colmar, Straßburg, Nancy bis nach Lille vor. Eine Rundreise durch Rumänien, eine Tour nach Kroatien, eine Küstenfahrt von Genua über Nizza bis Marseille, die bereits erwähnte Fahrt von Paris bis nach Barcelona und noch weiter, ganz in den Süden von Spanien oder gleich mit dem Zug rund um die iberische Halbinsel.

Viele wissen nicht über internationale Zugreisen Bescheid

Die Möglichkeiten, das wird schnell klar, wenn man so einen Reiseführer bloß durchblättert, sind unbegrenzt. Es eröffnet sich eine ganz neue Welt an Abenteuern – direkt vor der Tür, nur einen Bahnhof entfernt, immer den Schienen nach. „Man kann von meiner Heimatstadt Wien aus in unter 24 Stunden mehr als 20 Länder erreichen: Spanien, Schottland, Schweden, Estland, Polen, Rumänien, Süditalien. Aber das ist einfach kein Allgemeinwissen, weil es nie so beworben wird“, ärgert sich Bohun.

„Man kann von meiner Heimatstadt Wien aus in unter 24 Stunden mehr als 20 Länder erreichen. Aber das ist einfach kein Allgemeinwissen, weil es nie so beworben wird.”
Elias Bohun

„Fluggesellschaften werben mit Distanzen Wien – Barcelona, Berlin – London, aber Bahnen bewerben nur ihre eigenen Züge. Da denkt man sofort: Es gibt nur das Flugzeug.“ So sei es ihm selbst auch ergangen, erzählt Bohun. Während der Schulzeit habe er ein Jahr lang ein Internat in England besucht. „Nach Hause bin ich immer geflogen. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, den Zug zu nehmen.“ 

verspaetungen-bei-der-bahn

Ist Fliegen nicht immer günstiger?

Da die Strecke Köln – Berlin im Flieger nur etwa ein Viertel des Bahntickets kostete, wäre ihm die Wahl damals ohnehin nicht schwergefallen. Die Preise aber, sagt Elias Bohun, hätten sich in den vergangenen Jahren zugunsten der Züge geändert. Vor allem in Spanien und Italien seien sie deutlich runtergegangen. „Zwischen Mailand und Rom sind vor zehn Jahren noch 60 Prozent der Menschen geflogen, mittlerweile machen das nur noch etwas mehr als zehn Prozent, die anderen nehmen den Zug.“ 

Und beim Thema Pünktlichkeit seien die anderen europäischen Länder Deutschland weit voraus, diagnostiziert Bohun. „Natürlich gibt es überall mal Verspätungen, aber in Deutschland ist es eine Katastrophe. Die Situation kann man nicht mit anderen europäischen Ländern vergleichen.“ Generell rät er dazu, möglichst direkte Verbindungen zu wählen und bei Umstiegen genügend Pufferzeit einzuplanen.

„Und beim Thema Pünktlichkeit seien die anderen europäischen Länder Deutschland weit voraus. ”

Bleibt noch die Frage, wie man die Reise denn nun am besten bucht – wenn man es nicht mit Hilfe eines Reisebüros wie „Traivelling“ machen will. Denn internationales Zugfahren bedeutet nach wie vor, stundenlang die besten Verbindungen, Fahrpläne, Preise und Reservierungen zu recherchieren. Und wenn der Plan endlich steht, muss man die Tickets auf vielen unterschiedlichen nationalen Internetseiten der jeweiligen Bahn buchen. Selbst bei „Traivelling“ war ein Mitarbeiter einen halben Tag lang beschäftigt, um so eine Reise zu buchen, erzählt Bohun. 

Neuer Shop soll bei Buchungen helfen

Doch auch hier will er Abhilfe schaffen: Gerade baut er mit mehreren Programmierern einen Online-Shop auf, der es ermöglicht, internationale Zugreisen zu recherchieren und mit nur einer Bezahlung zu buchen. Also eine Automatisierung dessen, was Bohun bisher händisch gemacht hat. „Mir ist es wichtig, dass Zugreisen einfacher verfügbar werden. Es wird immer darüber geredet, dass wir uns ökologischer fortbewegen müssen, aber weil es immer noch kein internationales Buchungssystem wie bei Flügen gibt, ist das sehr kompliziert. Die Bahn hinkt dem Flugverkehr um 40 bis 50 Jahre hinterher.“

„Weil es bei Zügen immer noch kein internationales Buchungssystem wie bei Flügen gibt, ist das Buchen sehr kompliziert. ”

Doch trotz verschlafener Mobilitätswende entdecken immer mehr Menschen das Zugreisen für sich. Das zeigt nicht nur die Vielzahl an Literatur zu dem Thema. Schlafwagenzüge – die vor zehn Jahren noch vor dem Aus standen, sind wieder im Kommen und es werden immer neue Strecken etabliert. Auch Interrail bricht Rekorde: Im Jahr 2022 wurden europaweit mehr als 600.000 Tickets verkauft – fast doppelt so viele wie noch drei Jahre zuvor. 

Der passionierte Bahnreisende Bohun sagt übrigens, dass er den Zug dem Flugzeug immer vorziehen würde – auch, wenn es ökologisch egal wäre. „Der Zug deckt alle Bedürfnisse des Reisens ab: Viele Länder und Städte sehen, schöne Landschaften, viel Entspannung und Zeit für sich selbst haben. Coole Erfahrungen sammeln. Der Weg ist das Ziel.“

Anschluss verpasst?

Wir Deutschen kennen es nur zu gut: Der Zug ist zu spät und prompt verpassen wir den Anschluss. Richtig blöd, wenn das bei einer Reise quer durch Europa passiert. Denn wie kommt man weiter, wenn man die Tickets bei verschiedenen Anbietern kaufen musste? Dafür gibt es seit einigen Jahren das „Agreement on Journey Continuation“ (kurz AJC). 18 große europäische Bahnbetreiber, unter anderem Deutschland, Belgien, Dänemark, Spanien, Ungarn und Slowenien, haben diese Vereinbarung ausgehandelt. Bei Bahnen, die Teil dieses Abkommens sind, hat man trotz verpasstem Anschluss das Recht, seine Reise bis zum Endbahnhof fortzusetzen. Fahrgastrechte, wie zum Beispiel Entschädigungen, gibt es bei internationalen Bahnreisen aber noch nicht.

Quellen

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Elias Bohun

Experte

Österreicher und Gründer von „Traivelling“, einem Reisebüro speziell für Zugreisen