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Dr. med. Future: Wie Digitalisierung die Zahnmedizin verändert

Bohren, wenn die Schmerzen einen nicht mehr schlafen lassen? Gehört vielleicht bald der Vergangenheit an. Die Digitalisierung der Zahnmedizin macht eine Behandlung schneller, angenehmer und vor allem frühzeitig möglich. Manchmal Jahre, bevor überhaupt Schmerzen oder Funktionsstörungen auftreten. Prof. Falk Schwendicke, Direktor für Digitale Zahlheilkunde an der Berliner Charité, gibt einen Überblick über die – ferne und nahe – Zukunft.

Ein Blick in die Zukunft: Die smarte Zahnbürste

Die Bürste verrät eine gewisse Nachlässigkeit bei der Pflege der Kauleiste oben rechts. Sie hat alles aufgezeichnet und an die Zahnarztpraxis übermittelt. Hier kann dann – mittels App – mehr Sorgfalt von der Prophylaxe-Assistentin angemahnt werden. Vielleicht reicht auch das Wissen um die Aufzeichnung schon aus. Wer will schon schlampig putzen, wenn er weiß: Zahnmedizinisches Fachpersonal guckt einem gerade über die Schulter?

Ein bisschen ist das noch Zukunftsmusik, zugegeben. Aber dass der Zahnarzt mittels digitaler Devices zu uns in den Alltag kommt, das liegt für Prof. Falk Schwendicke auf der Hand. Der Zahnmediziner ist Direktor der Abteilung für Digitale Zahnheilkunde an der Berliner Charité.

Telemedizin – zahnärztliche Check-ins von zu Hause aus

Der Zahnarzt im heimischen Badezimmer sei sogar einer der Schlüssel zu künftig verbesserter Zahngesundheit, ist Schwendicke überzeugt. „Damit lässt sich vor allem die sozioökonomische Schere in der Zahngesundheit schließen. Denn es gibt immer noch einen gewissen Teil der Bevölkerung, der kommt einfach nicht zum Zahnarzt“, sagt Schwendicke.

In Zukunft muss dieses Verhalten nicht zwangsläufig zu Karies und Zahnverlust führen. Prophylaxe und Krankheitsfrüherkennung finden dann auch über den Bildschirm und schon von zu Hause aus statt. Via Bildschirm werden dann Pflege- und Ernährungstipps übermittelt. Aber auch Teile der Nachsorge können in Form von Check-ins erfolgen, ohne dass der Patient sich in den Zahnarztstuhl setzen muss.

Schwendicke kann sich gut vorstellen, dass gerade in Seniorenheimen eine telemedizinische Sprechstunde zu einer Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten führen könnte. „Natürlich ist das im Falle der Zahnmedizin nicht ganz leicht, da wir in einen Mund gucken müssen. Dort kann es mit einer Kamera auch ziemlich dunkel werden. Aber dennoch kann man teilweise erkennen, wo es hakt – ob die Prothese gebrochen ist oder eine Infektion akut wird.“

Was sich – in der Zahnarztpraxis – dank Digitalisierung verändern wird

Die Digitalisierung wird die Zahnmedizin aber auch auf dem Praxisstuhl entscheidend verändern. Patienten könnten dann nicht nur physisch, sondern auch virtuell und unterstützt durch künstliche Intelligenz befundet und behandelt werden.

Röntgendiagnostik

Künstliche Intelligenz automatisiert die Analyse von zahnmedizinischen Röntgenbildern. Karies, Infektionen, aber auch Implantate und Wurzelfüllungen erkennt die Software zuverlässiger als erfahrene Zahnmediziner.

Werkstoffauswahl

Entscheidend ist die Frage: Subtraktion oder Addition? Im 3-D-Drucker sind Restaurationen und Schienen aus Kunstharz herstellbar. Etwas hochwertigere Ergebnisse verspricht die substraktive Variante, also das computergesteuerte Abschleifen eines vorliegenden Blockes aus Zirkonoxid oder Silikatkeramik.

Therapieentscheidung

Ein intelligenter Informationsdienst unterstützt den Arzt in Echtzeit bei der Therapieentscheidung. Dabei werden nur die für eine bestimmte Medikation oder für einen bestimmten Eingriff relevanten Informationen weitergegeben.

Klinische Befundung

Im klinischen Arbeitsalltag kann der Arzt seine Befunde mittels Sprachdiktat einspeisen. Die Software strukturiert die Eingaben und hilft, sie vergleichbar zu machen und damit Muster zu erkennen.

Patientenerfassung

Die gesamte Praxisorganisation und auch die Dokumentation wird durch Softwarelösungen einfacher und schneller.

Künstliche Intelligenz – präzise Vorhersagen zu drohendem Zahnverlust

Der Schlüssel, um optimale Voraussagen über mögliche Erkrankungen treffen zu können, liegt vor allem in der Verknüpfung riesiger Datenmengen: Daten zur Ernährung, zum Putzverhalten, Röntgenbilder, Schmerztagebücher, Hinweise auf andere Krankheiten, Biomarker zur Zusammensetzung des Speichels – all das kann ein Mensch schwer zu einer Vorhersage verknüpfen.

„Das Versprechen der KI: Viel genauer als der Zahnarzt sein zu können.”
Prof. Falk Schwendicke

Künstliche Intelligenz ist aber in der Lage, auf Basis riesiger Datenmengen anderer Patienten relativ präzise zu berechnen, ob und wann zum Beispiel wie viele Zähne ausfallen werden. „Das Versprechen der KI: Viel genauer als der Zahnarzt sein zu können“, sagt Schwendicke. Karies beispielsweise müsste der Arzt dann nicht mehr anhand eines einzigen Röntgenbildes entdecken, der Rechner würde auf Basis großer „Trainingsdaten“ bereits Kariesrisiken erkennen, bevor das bloße Auge des Arztes Hinweise auf Zahnfäule ausmachen kann.

Zu Nutze machen könnte man sich dabei beispielsweise die schier unglaubliche Menge von 55 Millionen Röntgenbildern, die Jahr für Jahr von deutschen Ober- oder Unterkiefern angefertigt werden. Schon in den vergangenen dreißig Jahren konnte Karies bei Jugendlichen um 90 Prozent verringert werden. Künstliche Intelligenz könnte die Krankheit noch weiter zurückdrängen.

Intraoralscanner – Zahnfehlstellungen erkennen und behandeln

Zahnfehlstellungen und geringe Abriebe an der Zahnoberfläche können mittels Intraoralscanner aufgezeichnet und durch Künstliche Intelligenz analysiert werden. Dies geht sogar bereits heute – Kieferorthopädische Therapie und die Versorgung von Zahnersatz durch eine komplett digitale Strecke aus Scanner, Drucker und Fräse sind heute schon Realität.

Digitalscan – keine nervigen Abdrücke mit klebriger Paste mehr

Auf die Patientinnen und Patienten kommt laut Schwendicke aber auch eine Neuerung zu, die wir mit einem Zahnarztbesuch bislang eher nicht verknüpft haben: Die Behandlung könnte angenehmer werden. Sind Kronen, Brücken oder Implantate nötig, entfällt durch die digitale Versorgung nämlich die Sache mit dem Abdruck, bei der der Zahnarzt früher eine klebrige Paste in ein Metallförmchen füllte und das auf das Gebiss drücken musste.

Ein Digitalscanner kürzt die Prozedur nun ab. Er nimmt ein dreidimensionales Bild der Mundhöhle auf. Auf diesem kann dann beispielsweise die Krone oder der Zahnersatz digital entworfen und schlussendlich hergestellt werden. Und: Digitale Technologien ermöglichen auch hier wieder, zielgerichteter zu behandeln.

„ Mit Scan und dreidimensionalem Röntgenbild kann der Zahnarzt die Platzierung eines Implantates planen. Er weiß genau, in welchem Winkel er bohren muss.”

Mit Scan und dreidimensionalem Röntgenbild kann der Zahnarzt die Platzierung eines Implantates planen. Er weiß genau, in welchem Winkel er bohren muss. Und wie tief, damit weder Knochen noch Nerv verletzt werden. Die Information überführt er dann in eine sogenannte Bohrschablone, um die digitale Planung am Patienten umzusetzen.

3-D-Druck – nur 45 Minuten auf die Krone warten

Und auch Drucker und Fräsen helfen den Patienten: Früher musste dann der Zahntechniker für die Anfertigung von Zahnersatz oder Kronen ran und ein neuer Termin zum Einsetzen der Werkstücke konnte erst Wochen später vereinbart werden. Heute, so sagt Schwendicke, ist es im Idealfall sogar möglich, dass der Patient im Wartezimmer auf die Krone wartet: „In 45 Minuten kann das Stück fertig sein und eingesetzt werden.“

„Wer eine Behandlung genau auf den Patienten zuschneiden kann, weil er präzise vorhersagen kann, wo Probleme lauern, wird wirksamer und effizienter sein.”
Prof. Falk Schwendicke

Individualmedizin – personalisierte Prophylaxe

Ein wichtiger Punkt im Gesundheitswesen ist auch die Ökonomie. Hier könne zum Beispiel eine stärker personalisierte Prophylaxe Vorteile bringen, sagt Schwendicke. Mal davon abgesehen, dass die Digitalisierung für mehr Struktur sorgt und zum Beispiel lästiges Suchen nach ähnlichen Befunden oder Dokumenten entfällt.

„Wer eine Behandlung genau auf den Patienten zuschneiden kann, weil er präzise vorhersagen kann, wo Probleme lauern, wird nicht nur wirksamer, sondern auch effizienter sein.“ Schwendicke sagt: „Prävention und Frühbehandlung ist in der Zahnmedizin fast immer weniger invasiv und weniger schmerzhaft als zu warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist.“

Digitale Assistenz – mehr Zeit für die Patienten

Die Schnelligkeit ist auch angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Zahnärzte stetig sinkt, keine bloße Spielerei. Das Durchschnittsalter niedergelassener Zahnärztinnen und Zahnärzte betrug 2020 laut der Bundeszahnärztekammer 53,2 Jahre. Bis 2030 werden somit fast 20.000 Zahnmediziner in Deutschland in den Ruhestand gehen.

Gleichzeitig fürchtet die Ärztekammer, dass immer weniger junge Zahnärzte bereit sind, sich selbständig zu machen. Gerade in ländlichen Gegenden können so Engpässe in der Versorgung entstehen. Kann der Zahnarzt einen Teil seiner Arbeit an die Künstliche Intelligenz auslagern, gewinnt er Zeit, um sich um die Patienten und deren Zähne zu kümmern.

Denn da warten genügend Herausforderungen, sagt Schwendicke: „Wenn die Menschen immer älter werden, müssen auch die Zähne immer länger halten. Das Ziel muss der Erhalt von möglichst vielen eigenen Zähnen sein. Und das wird nicht weniger aufwändig – Zahnmedizin für diese Gruppe ist im Gegenteil komplex und braucht Zeit.“

Prof. Dr. med. dent. Falk Schwendicke

Experte

Direktor der Abteilung Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung an der Charité Berlin

Claudia Lehnen

Autorin

Claudia Lehnen wollte als Jugendliche Ärztin werden, entschied sich dann aber dafür, lieber über Medizin und Menschen und ihre Krankheits- und Genesungsgeschichten zu berichten. Die in Köln niedergelassene Journalistin, die im Tageszeitungs-Journalismus zu Hause ist, ist unter anderem auf das Themengebiet Gesundheit spezialisiert.